Warum lässt Flink nicht einfach einen Betriebsrat wählen?

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Prozessbericht: Flink-Betriebsratsgründer kämpfen vor ArbG Berlin um ihren Job.

Flink-Justiziarin Sarah Erne diffamiert Wahlversammlung zur Gründung eines Betriebsrats in Berlin als „anarchistische Show“.

Gefeuerte Flink-Betriebsratsgründer und ihre Unterstützer vor dem Arbeitsgericht Berlin am 17. Januar 2023.
Gefeuerte Flink-Betriebsratsgründer und ihre Unterstützer vor dem Arbeitsgericht Berlin am 17. Januar 2023.

Absurde Hütchenspielertricks mit diversen „Flink Expansion GmbHs“ sollen Organisierung untergraben

Rund 20 solidarische Unterstützer*innen begleiteten am 17. Januar 2023 die Verhandlungen zu den Kündigungsschutzklagen der Flink-Betriebsratsinitiatoren Viktor B. und Elmar Wigand. Viele waren selbst bei einem Fahrrad-Lieferdienst beschäftigt. Beide Fälle wurden nicht abgeschlossen.

Elmar ist Pressesprecher des Vereins Aktion gegen Arbeitsunrecht und hatte von Dezember 2021 bis Mai 2022 mehrere Monate als Rider für Flink gearbeitet. Mit Viktor und weiteren  Fahrer*innen hat er eine Betriebsratswahl für den Flink-Standort in Berlin angestoßen. Flink kündigte beiden.1

Flink ließ sich durch Sarah Erne, Mitarbeiterin der Flink-Rechtsabteilung, vertreten. Die Betriebsratsgründer vertrat der Berliner Rechtsanwalt Martin Bechert. Martin Bechert hat bei den Lieferdiensten Gorillas und Lieferando bereits erfolgreich Betriebsratsgründungen begleitet. Er ist auch Vorstandsmitglied des gemeinnützigen Vereins Aktion gegen Arbeitsunrecht.

Eine Besonderheit von Flink ist eine gelbe Anti-Betriebsratsstruktur namens Ops Comittees. Flink versucht diese als alternative Betriebsratsstruktur zu verkaufen – dabei genießen diese von Gnaden der Geschäftsführung ernannten Komitee-Mitglieder weder gesetzlichen Schutz, noch Möglichkeiten ihre Forderungen per Einigungsstelle und Arbeitsgericht durchzusetzen. Wenn sie überhaupt fordern und nicht nur höflich bitten.


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Beschäftigte, die sich mit Beschwerden an solche Komitees gewendet haben, berichteten laut Martin Bechert anschließend gefeuert worden zu sein.

Wahl eines Wahlvorstands zur Betriebsratswahl gezielt chaotisiert

Für den 5. September 2022 hatten die Initiatoren alle Flink-Rider und Picker in Berlin zur Wahl eines Wahlvorstands eingeladen. Es galt potentiell 1.600 Flink-Beschäftigte zu managen, obwohl Flink die Herausgabe von Wählerlisten verweigert hatte.

Zur Versammlung erschienen Personen, die keiner der Anwesenden und Organisatoren als Kollegin oder Kollege erkannte, darunter manche, die für großen Tumult sorgten*. Vor dem Tor des Veranstaltungsortes gab der PR-Agent Boris Radke Interviews, in denen er die Wahlversammlung diskreditierte und den Tumult filmte*. (In welchem Vertragsverhältnis der Flink-Teilzeit-Pressesprecher zu dem Lieferdienst-start-up genau steht, wollte die Justiziarin Sarah Erne vor Gericht nicht verraten. Als seinen Hauptberuf gibt Radke auf linkedin an, dass er als „VP Corporate Affairs and Workplace XP“ für die Reiseplattform Omio arbeitet.)

Fall 1 – Viktor, der umetikettierte Ukrainer

Der aus Ungarn stammende Viktor hatte im Februar 2021 zunächst in München für Flink als Rider  gearbeitet, bevor er im April nach Berlin umzog. Flink-Vertreterin Sarah Erne behauptete vor Gericht, Viktor sei aus der Urkaine nach Deutschland gekommen.

Vor diesem frei erfundenen Hintergrund stellte Sarah Erne es als besondere Wohltat Flinks dar, dass die Firma Viktors Wunsch nach seinem Umzug in Berlin weiter beschäftigt zu werden entsprach. Doch was macht dieser undankbare, angebliche Flüchtling? Er will einen Betriebsrat gründen. Sapperlot. Einen Arbeitsvertrag bei dem neuen Berliner Arbeitgeber, einer anderen Flink-“Expansion“ als der Münchener, hat Viktor nicht erhalten. Die Berliner Sektion bezahlte**. Jetzt, wo Viktor Betriebsratsgründer ist, sieht Flink plötzlich keine Möglichkeit mehr ihn in Berlin einzusetzen.

Heckmeck mit Flink-“Expansions“

Eine Firma – eine Belegschaft? Nicht bei Flink. Das Management der SE (Europäische Aktiengesellschaft) setzt auf maximale Zersplitterung. Alleine in Berlin sind laut Sarah Erne drei*** verschiedene Expansions aktiv. Alle haben die gleiche Adresse: Brunnenstr. 19 – 21, D-10119 Berlin. 2 3 4 5 Für München soll eine Flink Expansion 9 GmbH zuständig sein.

Obwohl Flink operativ ein straffes und hierarchisches Unternehmen ist, das aus der Berliner Zentrale geleitet wird, firmiert es rechtlich über eine Flink SE in Luxemburg und diverse „Flink Expansion GmbHs“. Die Behauptung scheinselbständiger Unternehmen dient nach unserer Auffassung zur Erschwerung der Organisierbarkeit. Bei Licht betrachtet handelt es sich um potemkinsche Dörfer — also Täuschungsmanöver, um deutsche Gesetze mit Hütchenspielertricks auszuhebeln.

Die Aktion gegen Arbeitsunrecht lehnt solche Konstrukte ab. Sie sollen Betriebsratswahlen durch Gerrymandering und ständiges „Umstrukturieren“ untergraben.

Auch sonst haben solche Konstrukte arbeitsrechtlich erhebliche Nachteile: Beispielsweise müssen sich Beschäftigte ein und derselben Firma bei Betriebsschließungen komplett neu bei anderen GmbHs der selben Firma bewerben, anstatt durch die Regelungen eines Betriebsübergangs geschützt zu sein. Zu guter Letzt könnten solche Konstrukte auch der Verschleierung von Gewinnen und der Schaffung von Versorgungsposten dienen. Denn jede GmbH braucht schließlich eine Geschäftsführung plus eigener Verwaltung. Theoretisch.

In Berlin ist an der Brunnenstr. 19-21 praktischerweise Martin Esch Geschäftsführer aller vier GmbHs. Martin Esch tritt auch als Geschäftsführer der Flink SE auf.

Im Fall von Viktor wurde der Bullshit offensichtlich: Mit einem gültigen Vertrag der Münchner Flink Expansion 9 fuhr er monatelang ohne Probleme in Berlin für die Flink Expansion 4. Er erhielt auch sein Geld. Da die Kündigung nicht von der vertragsgebenden Nr. 9 kam, ist sie rechtlich ungültig. Nun behauptete Erne, dass die Flink Expansion 4 Viktor in Berlin keine Arbeit anbieten könne.  Richter, gegnerische Parteien und Publikum wussten, dass hier Hirngespinnste und Konstrukte verhandelt wurden.

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Viktor hatte, anders als andere Betriebsratsgründer*innen, keine Absichtserklärung über „Vorbereitungshandlungen zu einer Betriebsratsgründung“ bei einem Notar hinterlegt. Seit einer Reform vom Mai 2021 (Betriebsrätemodernisierungsgesetz) können Beschäftigte, die einen Betriebsrats gründen wollen, diese Gründungsabsicht bei einem Notar erklären. Sie genießen dann Kündigungsschutz für die nächsten drei Monate. Der entsprechende Passus steht im Kündigungsschutzgesetz §15, Absatz 3b (KSchG, §15, 3b). Die Aktion gegen Arbeitsunrecht berät Betriebsratsgründer*innen gern zu diesem Thema (Kontakt aufnehmen)!

Fall 2 – Elmar, Fahrradkurier und Pressesprecher

Der Fall des Arbeitsunrecht-Pressesprechers mit Nebenjob bei Flink konnte nur angerissen werden, da Sarah Erne den letzten Schriftsatz der Kanzlei Bechert angeblich nicht kannte bzw. weil der Schriftsatz nicht ordentlich zugestellt wurde. (Er war irrtümlicherweise an die Hardcore-Kanzlei Pusch Wahlig gegangen, welche die Verhinderung und Behinderung von aktiver Betriebsratsarbeit bei Flink federführend betreibt. Erne behauptete vor Gericht ohne rot zu werden, den Schriftsatz nicht zu kennen oder nicht rechtzeitig erhalten zu haben.)

Dennoch wurde die Verhandlungsstrategie von Flink sehr deutlich: Obwohl Elmar von Dezember 2021 bis zu seiner angeblichen Kündigung im April 2022 als Fahrrardkurier für Flink arbeitete, sei es ihm laut Erne gar nicht um die Arbeit gegangen, sondern darum, einer „unliebsamen Branche“ Schaden zuzufügen. Eine Erklärung, warum der Pressesprecher eines gemeinnützigen Vereins sich als Fahrradkurier nichts dazu verdienen und einen Betriebsrat gründen sollte, blieb Flink-Justiziarin Erne freilich schuldig. Mit ihrer kruden Argumentation bewegt sie sich offenkundig außerhalb des deutschen Rechtsrahmens.

Folgende Union Busting-Methoden und -Muster (Was ist das?) kamen zur Anwendung:

1) Verkehrung von Ursache und Wirkung: Nicht das Flink-Management mit seiner antidemokratischen Haltung, sondern Elmar Wigand habe die schlechte Presse und die Berichterstattung über die Behinderung der Betriebsratsgründung beim Lieferdienst zu verantworten.

2) Vertrauensverhältnisse zerrütten, damit sie zerrüttet sind: Eine gedeihliche Zusammenarbeit von Flink und Elmar Wigand als Rider sei nicht mehr möglich. Deshalb müsse die Kündigungsschutzklage zurückgewiesen werden. Dabei hatte Elmar einfach seine gesetzlich verbrieften Mitbestimmungsrechte geltend gemacht.

3) Betriebsräte ja, aber bloß nicht dieser Betriebsrat: Mit ermüdender Redundanz brachte Sarah Erne die Lieblingsfloskel aller Union Buster zum Einsatz, die da lautet:  Wir finden Betriebsräte prima. An und für sich. ABER nur leider gerade den Betriebsratsgründer oder Kandidaten, den man mit fadenscheinigen Begründungen zu kündigen versucht, eben nicht.

4) Betriebsversammlung stören und Anfechtungsgründe schaffen: bei der Wahlversammlung am 05.09.2022 erschienen Personen, die niemand als Kollegen kannte. Vor den Toren und im Hintergrund war Flink-Teilzeit-Pressesprecher Boris Radke aktiv. Da eine Betriebsversammlung keine öffentliche Veranstaltung ist, wurden sie nicht eingelassen und pöbelten daraufhin am Einlass herum, riefen die Polizei, diskreditierten die Wahlversammlung und ihre Organisator*innen. Das beliebte Manöver diente dazu, später die Wahl des Wahlvorstands anfechten zu können und den Beschäftigten zu signalisieren: „Seht Ihr, diese Kandidaten können es nicht und schaffen nur Chaos“.

Sarah Erne erklärte die Wahlversammlung folgerichtig zur „anarchistischen Show“. (Offenbar ist ihr eine grundlegende Kenntnis politischer Philosophien der Arbeiterbewegung nicht gegeben.)

5) Datenschutz vorschieben: Steht eine Betriebsratswahl an, entdecken Union Buster plötzlich den Datenschutz für sich und behaupten, keine Daten zu den Beschäftigten herausgeben zu dürfen. Auch Flink griff zu diesem Instrument. Gleichzeit leitete das Unternehmen Schriftsätze an Journalisten weiter, ohne die persönlichen Daten wie zum Beispiel die Adressen der beteiligten Beschäftigten zu schwärzen.

Kleine Sternstunde

Der Vorsitzende Richter Claus-Peter Morof war jedoch ziemlich auf Zack und sorgte mit einer einfachen Rückfrage für eine kleine Sternstunde:

Warum lässt Flink denn nicht einfach einen Betriebsrat wählen? Dann braucht das Unternehmen auch keine schlechte Presse zu fürchten.

Sabotage der Betriebsversammlung + Schikanen für Wahlvorstandsmitglieder

Eine Antwort erfolgte freilich nicht. Statt dessen thematisierte Sarah Erne den Tumult bei der Wahlversammlung, schob sie den Ridern in die Schuhe und sprach — wie oben erwähnt — von einer anarchistischen Show. Martin Bechert, Anwalt der Flink-Betriebsratsgründer, legte deshalb noch einmal dar, dass eine Betriebsversammlung für 1.600 Leute ohne Unterstützung durch die Firma für Beschäftigte ohne Wählerverzeichnis, schwer zu organisieren sei.

Sechs von neun gewählten Wahlvorstandsmitgliedern gaben in den Monaten nach der Betriebsversammlung aufgrund von Schikanen durch Flink bereits auf. Der Rest des Wahlvorstands hat eine Einsetzung des Wahlvorstands durch das Arbeitsgericht beantragt.

Schutz durch Erklärung der Gründungsabsicht

Anders als sein Kollege Viktor hatte Elmar mit einem Abstand von drei Monaten gleich 2 mal bei einem Notar die Absicht einer Betriebsratsgründung hinterlegt. Im reformierten Kündigungsschutzgesetz (KSchG §15, 3b) ist keine Höchstzahl angegeben, wie oft der dreimonatige Kündigungsschutz beansprucht werden kann. Eine Betriebsratsgründung unter erschwerten Bedingungen ist innerhalb in drei Monaten kaum zu bewerkstelligen. Ein mehrmaliger Schutz für Betriebsratsgründer*innen von mehrmals je drei Monaten macht also durchaus Sinn macht.

Da Sarah Erne (mit oder ohne Hilfe der Kanzlei Pusch Wahlig?) erst einmal den letzten Schriftsatz durcharbeiten muss, geht es mit der Verhandlung der Kündigungsschutzklage erst am 14. März 2023 um 11.45 Uhr weiter. Wir rufen zur solidarischen Begleitung auf!

Korrekturen der ursprünglichen Version unseres Artikels:

Es freut uns, dass die Flink Geschäftsleitung uns so ernst nimmt, dass Sie aufmerksam unsere Veröffentlichung liest und uns sogar manchmal auf Fehler hinweist, die wir natürlich gerne korrigieren (über den Prozess dazu werden wir später berichten).

* An dieser Stelle hatten wir Mutmaßungen darüber angestellt, wer hinter den Tumulten steckt. Wir haben uns jetzt dazu entschlossen, es unseren Lesern und den vielen Anwesenden auf der Versammlung selbst zu überlassen, sich Ihre Meinung dazu zu bilden.

**An dieser Stelle hatten wir berichtet, dass Viktor seine erste Kündigung von dem Münchener Standort erhalten hat. Tatsächlich erhielt er die Kündigung von einer in Berlin ansässigen Flink Expansion GmbH (was allerdings die Sache für Victor auch nicht besser macht).

*** An dieser Stelle hatten wir berichtet, dass Frau Erne von 4 in Berlin tätigen Flink Expansion GmbHs gesprochen hat. Tatsächlich hat sie in der Verhandlung von 3 in Berlin tätigen Expansion GmbHs gesprochen. Wir sehen darin allerdings keinen wesentlichen Unterschied, insbesondere angesichts der Tatsache, dass beim Handelsregister Berlin Charlottenburg mehr als 30 GmbHs mit der Firmenbezeichnung „Flink Expansion“ + Ziffer eingetragen sind. Flink hat also noch viel vor (und braucht deshalb natürlich auch dringend einen Betriebsrat).


Quellen

1 Moritz Aschemeyer: Arbeitskampf bei Flink, nd 17.01.2023 https://www.nd-aktuell.de/artikel/1170228.lieferdienst-arbeitskampf-bei-flink.html

5 Northdata, abgerufen 23.01.2023 https://www.northdata.de/Flink+Expansion+4+GmbH,+Berlin/Amtsgericht+Charlottenburg+%28Berlin%29+HRB+229931+B

weitere Berichte zum Union Busting bei Flink:


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