Corona-Desaster: Was machen eigentlich die Gewerkschaften?

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Jeder stirbt in der Coronakrise für sich allein.

Viel mehr als Beratung bieten die Gewerkschaften ihren Mitgliedern zur Zeit nicht an. Von kollektiven Ansätzen, die Krise mit Widerstand und Organisierung zu beantworten, ist keine Rede.

Branchenübergreifende Solidarität tut Not. Klare Kante für Arbeitsschutz und gegen Corona-Grauzone erforderlich.

Kommentar von Elmar Wigand

Vor dem zweiten Corona-Winter ist die deutsche Gesellschaft ermüdet, gelähmt – und gespalten. Das gilt auch für die arbeitende Bevölkerung. Sie teilt sich in überstresste Malocher auf der einen Seite, die den Laden am Laufen halten, und gut bezahlte Home-Office-Worker auf der anderen Seite – darunter ein wachsendes Heer an »Bullshit-Jobbern« wie Rechnungsprüfer, Unternehmensberater und Menschen, die für Wirtschaftskanzleien und private Krankenkassen arbeiten. Diese igeln sich zu Hause ein und lassen sich per Lieferdienst von dem anderen Teil der Arbeiterklasse bedienen.

Die Spaltung setzt sich fort in aufgeklärte, informierte und logisch denkende Zeitgenossen, die Corona als das erkennen, was es ist: eine tödliche Gefahr. Diese pochen auf Arbeitsschutz. Daneben aber gibt es eine diffuse Masse aus Überforderten, Abgestumpften, Ignoranten und Zynikern. Und wieder andere leugnen zwar Corona nicht, reagieren jedoch mit Todesverachtung oder Bagatellisierung auf das Virus. Diese gab es übrigens schon immer. Wer jemals Straßenarbeiter mit Presslufthammer gesehen hat, die sich weigern, Ohrenschutz zu tragen, oder Zimmermänner, die es für besonders cool halten, keine Handschuhe zu verwenden, weiß, wovon die Rede ist.


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Am Arbeitsschutz zeigen sich seit jeher Klassenbewusstsein und Organisationsgrad einer Belegschaft. So wie der Klassenkampf in erster Linie immer der Kampf der arbeitenden Klasse mit sich selbst ist – um Einigkeit zu erreichen –, so muss Arbeitsschutz von den Arbeitern selbst innerhalb eines Unternehmens durchgesetzt werden. Notfalls mit Druck gegen Uneinsichtige. Darin ähnelt der Arbeitsschutz dem Streik, wo es auch Trittbrettfahrer, Stänkerer, Zauderer oder Streikbrecher gibt.

Kollegen müssen zur Not vor sich selbst geschützt werden, wenn es nicht anders geht – in Einzelfällen auf die harte Tour. Sonst würde ein Teil der Belegschaft dem Chef bis zum Anschlag in den Allerwertesten kriechen, Überstunden machen bis zum Umfallen oder auf jeglichen Urlaub verzichten. Solidarität und gemeinsame Standards waren nie Selbstläufer. Sie entstehen nicht nur durch Appelle. Manchmal – das sage ich jetzt als jemand, der am Rande einer Zechenkolonie groß wurde – brauchten einzelne Kollegen klare Grenzen. »Noch son Spruch, Kieferbruch«, »Willst mucken, musste Zähne spucken«, hieß es früher im Ruhrgebiet. Heute ist dieses Gehabe zu Recht verpönt. Sagen wir also besser: Gerade in Krisenzeiten ist es wichtig, die eigenen Bedürfnisse deutlich zu äußern.

Und was machen »die Gewerkschaften«? Ihr Beitrag in der Coronakrise ist durchwachsen. Sie sind keine Leuchttürme der Zivilgesellschaft, eher spiegeln sie die Misere. Immerhin bieten DGB, Verdi, IG Metall & Co. über ihre Webseiten, Büros und Callcenter gut verständliche Rechtsberatung rund um Corona, Lockdown, Arbeitsrechte und Kurzarbeit für Beschäftigte an. Sie vertreten dabei eine klare, logische und wissenschaftliche Position. Aber viel mehr als Service ist nicht. Klare Kante gegen Corona-Leugner ist nicht zu sehen. Von kollektiven Ansätzen, die Krise mit Widerstand und Organisierung zu beantworten, keine Rede.

Dabei sollten die Forderungen klar sein:

  • Personalstärke in Krankenhäusern, Schulen und Pflegeeinrichtungen erhöhen!
  • Modernisierung, Sanierung und Renovierung der Infrastruktur!
  • Arbeitsschutz konsequent durchsetzen!

Dafür sind aktive Betriebsräte unerlässlich, die im Laden nach dem Rechten sehen. Wir brauchen mehr davon! Sie müssen gegen Union Busting verteidigt werden. Wünschenswert wäre eine Solidiarisierung aller Gewerkschafter und Lohnabhängigen mit dem aktuellen Streik der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Selbstverständlich auch Solidarität mit den Beschäftigten im Gesundheitssektor. Jeder Lohnabhängige muss gerade heute ein Eigeninteresse an guter Gesundheitsversorgung haben!

Aber eine branchenübergreifende Solidarisierung der Lohnabhängigen fehlt. Sie ist der DGB-Gewerkschaftskultur bislang fremd. Jeder streikt für sich allein. Jeder stirbt für sich allein.


Der Komentar erschienen zuerst im nd vom 24.11.2021


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