Frontberichte 10/2019: Flaschenpost, SAP, Eurowings

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Presseschau: Betriebsratsbehinderung und Union Busting in Deutschland

Wer eine Flaschenpost findet hat Glück, oder? Für die Angestellten des Getränkelieferanten dürfte das wohl nicht gelten. Creative Commons Zero -CC0 – Pixabay.com
  • Flaschenpost / Münster: Menschenunwürdige Zustände bei hippem Startup?
  • SAP / Walldorf: Versuchte Kündigung eines Betriebsratsmitglieds
  • Eurowings / Düsseldorf: Neuer Tarifvertrag sichert erstmals gesetzliche Mitbestimmungsrechte
  • Deutschland / Union Busting? Nur noch 9% Betriebe mit Betriebsräten

Flaschenpost: Menschenunwürdige Zustände bei hippem Startup-Unternehmen?

Mitarbeiter erheben in einem anonymen Brief schwere Vorwürfe gegen den Münsteraner Getränkelieferant Flaschenpost und die Geschäftsführer Stephen Weich und Christopher Huesmann. Unter dem Titel Überlastungsanzeige haben sie Ende Juli einen siebenseitigen anonymen Brief an das Unternehmen und verschiedene Zeitungen geschickt. 

Die anonymen Mitarbeiter benennen dabei die Arbeitsbedingungen bei Flaschenpost als menschenunwürdig. In dem Brief prangern sie einen verheerenden Zustand der Toiletten und Hygiene in den Lagern des Unternehmens an. Zudem soll Flaschenpost zumindest in einigen der Lieferwagen die Klimaanlagen abgeklemmt haben, um Sprit zu sparen. Bei Temperaturen von über 30 Grad für die Fahrer eine Höllenqual. 

Doch die Beschuldigungen der Mitarbeiter gehen noch weiter. Sie sprechen von zu kurzen Pausen, sowie einem massiven Zeit- und Leistungsdruck, der durch Prämiensysteme noch weiter angeheizt wird. Flaschenpost stellt die meisten seiner Mitarbeiter nur als Teilzeitkräfte oder 450-Euro-Jobber an. Zudem sind die Verträge befristet und werden nur entsprechend der individuellen Leistung verlängert. Bei Unfällen während der Arbeitszeit müssen zudem die Fahrer in die eigene Tasche greifen. Diese haften mit einer Selbstbeteiligung von 200 Euro für jeden Schaden, die ihnen vom Lohn abgezogen werden.

Unternehmen bestreitet alle Vorwürfe

Geschäftsführer Stephen Weich bestreitet hingegen alle Vorwürfe und spricht davon, dass es eine „offene Feedbackkultur“ im Unternehmen gibt. Die Mitarbeiter sollen sich in internen Umfragen positiv geäußert haben. Na, wer will denn auch schon seine Weiterbeschäftigung riskieren, weil er sich ohne rechtlichen Schutz beim Chef über die Arbeitsbedingungen beschwert?


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So heißt es laut der Rheinischen Post in dem anonymen Brief unter anderem: „Die Erfahrung der Vergangenheit zeigt, dass geäußerte Kritik (auch berechtigte) an der Firma in etlichen Fällen mit fristloser Kündigung des jeweiligen Arbeitsvertrages durch sie quittiert wurde“

Auch der für Flaschenpost zuständige Gewerkschaftssekretär der NGG Piet Meyer hält den Brief der anonymen Mitarbeiter für „realistisch und authentisch“. Aus Gesprächen mit Mitarbeitern könne er die geschilderten Vorwürfe bestätigen. 

Zahnloser Betriebsrat 

Bei Flaschenpost gibt es zwar anders als bei anderen Startups der Internet-Dienstleistungsbranche einen Betriebsrat, dieser hat jedoch kaum Einflussmöglichkeiten. Anfang des Jahres hat das Unternehmen seine Rechtsform von einer Aktiengesellschaft (AG) zu einer europäischen Aktiengesellschaft (SE) geändert. Dadurch richten sich die Rechte des Betriebsrats nicht mehr nach dem deutschen Betriebsverfassungsgesetz, sondern nach den deutlich aufgeweichteren Richtlinien über den SE-Betriebsrat.

Dadurch hat der SE-Betriebsrat bei Flaschenpost eigentlich keinerlei Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen, so der Piet Meyer von der NGG.

Flaschenpost beschäftigt nach eigenen Angaben zur Zeit rund 2.000 Mitarbeiter an 16 Standorten in Deutschland. Dabei will Flaschenpost in weitere Städte und auch das umliegende Ausland expandieren. 

Quellen:

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SAP versucht Betriebsratsmitglied zu kündigen

Der Softwarekonzern SAP mit Hauptsitz im baden-württembergischen Walldorf ist nicht nur das wertvollste deutsche Unternehmen im deutschen Aktienindex Dax, sondern auch dafür bekannt sich mit allen Mitteln gegen Betriebsräte zu stellen.

Erst im Jahr 2006 konnte die Belegschaft mit Hilfe des Arbeitsgerichts die Bildung eines Betriebsrats durchsetzen. Die Unternehmensgründer und Großaktionäre Dietmar Hopp und Hasso Plattner hatten dies vorher mit allen Mitteln verhindert und sogar gedroht die Konzernzentrale dicht zu machen und zu verlegen, sollte ein Betriebsrat gewählt werden. 

Anfang August 2019 haben Stefan Ries (Mitglied des SAP SE Vorstands) und Cawa Younosi (Personalchef) nun ein Mitglied des Betriebsrats fristlos entlassen. Ein offizieller Grund für die Kündigung ist bisher nicht bekannt. Laut der SAP-Presseabteilung soll es sich um eine „Individualentscheidung“ handeln, die nicht im Zusammenhang mit der Betriebsratsarbeit stehe. Dass das der Wahrheit entspricht, dürfte indes fragwürdig sein.

Kündigung wegen Betriebsratsarbeit

Sowohl die Christliche Gewerkschaft Metall (CGM), die das gekündigte Betriebsratsmitglied vertritt, als auch der Betriebsratsvorsitzende Ralf Z. sehen das anders. Beide gehen davon aus, dass die Kündigung direkt mit der Betriebsratsarbeit des Kollegen zu tun hat. 

„Die Kündigung halte ich für ungerechtfertigt, da diese meines Erachtens mit der Betriebsratstätigkeit zu tun hat“, so Ralf Z. in einer persönlichen Mitteilung. Martin Gerhardt, Leiter der CGM-Rechtsabteilung in Stuttgart geht davon aus, dass die Kündigung in Verbindung mit Informationsschreiben stehe, die das Betriebsratsmitglied regelmäßig an die Belegschaft geschickt habe und deren Inhalt von der offiziellen Linie der Unternehmensführung abweiche. In der jüngeren Vergangenheit soll das Unternehmen mehrfach versucht haben dem Betriebsratsmitglied die „betriebsübliche Kommunikation mit den Arbeitnehmern zu erschweren oder zu untersagen“. Hier versucht das Unternehmen einerseits die Betriebsratstätigkeit massiv einzuschränken und gleichzeitig die Meinungsfreiheit im Betrieb zu untersagen.

Die Kündigung könnte gleichzeitig ein Signal an die übrigen Betriebsratsmitglieder sein, um ihnen zu zeigen, wie man mit unbequemen Meinungen umgeht. Bei der CGM sieht man die Kündigung jedenfalls auch als „Disziplinierung der übrigen Betriebsratsmitglieder“.

Betriebsratsausschuss stimmt Kündigung zu

Verwunderlich an diesem Fall ist, dass der Betriebsrat die Entscheidung über seine Zustimmung zur Kündigung des Betriebsratsmitglieds an einen siebenköpfigen „Ausschuss für personelle Maßnahmen“ (PEM) übertragen hat, welcher der Kündigung knapp zustimmte. Drei Tage später stimmte noch einmal der gesamte Betriebsrat über die Kündigung ab und lehnte diese mit großer Mehrheit ab.

Inwieweit der Betriebsrat die Entscheidung überhaupt an den Ausschuss delegieren durfte und welche Abstimmung nun bindet ist, ist strittig. Fest steht jedoch, dass der 43-köpfige Betriebsrat stark zersplittert und zerstritten ist. Eine ganze Reihe von Betriebsratsmitgliedern scheint hier eher im Sinne der SAP Geschäftsführung und Personalleitung zu arbeiten, als im Interesse der Mitarbeiter. 

Ein erster Gütetermin vor dem Arbeitsgericht Mannheim ist für den 16. Oktober 2019 vorgesehen. Das Betriebsratsmitglied wird dort von den CGM Anwälten Martin Gerhardt und Joachim Müller vertreten. SAP hat die bereits durch Union Busting Fälle bekannt gewordene Kanzlei Kliemt bzw. ihren Anwalt Frederik Möller beauftragt die Kündigung des Betriebsratsmitglieds durchzufechten.

SAP Deutschland SE  & Co. KG mit Sitz in Walldorf ist Europas größter Softwarekonzern. Insgesamt beschäftigt SAP rund 98.700 Mitarbeiter, 23.000 davon in Deutschland und 15.000 davon in der Region Rhein-Neckar. Im laufenden Jahr streicht SAP 4.400 Stellen, davon rund 1.000 in Deutschland.

Quellen:

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Neuer Tarifvertrag sichert erstmals gesetzliche Standards für Personalvertretung bei Eurowings

Die Gewerkschaft Verdi hat sich nach sechs Verhandlungsrunden mit der Airline Eurowings auf einen neuen Tarifvertrag zur Regelung der Mitarbeitervertretung der rund 1.200 bei Eurowings beschäftigten Flugbegleiter geeinigt.

Laut Angaben der Gewerkschaft wird die Personalvertretung durch den neuen Tarifvertrag zukünftig aus 15 statt wie bisher aus fünf gewählten Vertretern der Belegschaft bestehen. Damit wird erstmals der Rahmen für die gesetzlich festgelegten Standards der Mitbestimmung auch bei den Flugbegleitern von Eurowings geschaffen.

„Die Zeit der Benachteiligung der Kabine in der betrieblichen Mitbestimmung ist damit Vergangenheit“, so Verdi-Verhandlungsführer Volker Nüsse. Die kommende Zeit wird zeigen, ob sich die Lufthansa Tochter tatsächlich an die gesetzlichen Mitbestimmungsregelung halten wird.

In der Vergangenheit machten Eurowings Mitarbeiter immer wieder auf auf fehlende Mitbestimmungsrechte und Tarifverträge aufmerksam. Auch Arbeitsunrecht berichtete bereits darüber (Eurowings: Beschäftigte warnen vor Lohndumping der Lufthansa).

Das in Düsseldorf ansässige Unternehmen Eurowings beschäftigt nach eigenen Angaben insgesamt 9255 Mitarbeiter in Deutschland und ist Teil der Lufthansa Group. 

Quellen:

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Union Busting? Nur noch 9% Betriebe mit Betriebsräten

Die Anzahl der Betriebe in Deutschland, in denen es einen Betriebsrat gibt, geht immer weiter zurück. Laut der Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion im Bundestag gab es im Jahr 2018 nur noch in neun Prozent der Betriebe mit mindestens fünf Angestellten einen Betriebsrat. Allein seit dem Jahr 2002 verzeichnet das Ministerium einen Rückgang von Betrieben mit Betriebsräten um 18,2 Prozent.

Erstaunlicherweise verweist selbst das Ministerium als Ursache für den Rückgang auf eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, die auf das massive Problem von Union Busting (Was ist das?) in deutschen Betrieben aufmerksam macht.

Der Studie zufolge gaben allein 60 Prozent der befragten hauptamtlichen Gewerkschaftssekretäre an Erfahrungen mit Union Busting gemacht zu haben. Dieses rigorose und oftmals kriminelle Vorgehen gegen Gewerkschaften und Betriebsräte wird in Deutschland von den Gerichten und Staatsanwaltschaften jedoch kaum beachtet oder strafrechtlich verfolgt, obwohl dies mit Hilfe des Betriebsverfassungsgesetz möglich ist.

Die aktion ./. arbeitsunrecht fordert daher seit langem die Einrichtung von Schwerpunktsstaatsanwaltschaften zur besseren Kontrolle von Unternehmen, die durch massenhafte Verfahren gegen ihre Beschäftigten auffallen. Bereits 2017 veröffentlichte die Initiative Reformvorschläge zum besseren Schutz von Betriebsräten.

Die realen Zahlen von Unternehmen mit Betriebsräten schwanken stark zwischen den verschiedenen Branchen und zum Teil auch zwischen Ost und West. Während die Anzahl etwa im Bau- und Gastgewerbe in Ost und West bei knapp drei Prozent liegt, haben bei den Energie-, Wasser-, Abfall- und Bergbauunternehmen in Westdeutschland 43 Prozent und in Ostdeutschland rund 30 Prozent der Unternehmen einen Betriebsrat.

Grundsätzlich zeigt die Statistik: Je größer der Betrieb ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit der Existenz eines Betriebsrats.

Quellen:


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