Unternehmens-Matriarchin steigert Gewinn durch hunderttausende unbezahlte Stunden | Betriebsrat systematisch erpresst?
Möglicherweise gibt es schlimmere Betriebe, als solche, in denen kein Betriebsrat existiert. Wenn die gewählte Interessenvertretung zum inoffiziellen Organ der Geschäftsführung verkommen ist, können die Beschäftigten gleich von zwei Seiten zurecht geknetet werden. In diesem Fall aus dem Sauerland schlug der DGB mit Hilfe der Lokalpresse mal dazwischen.
In der Veltins-Brauerei aus Meschede (derzeit rund 570 Beschäftigte) pflegen der Betriebsrat und Geschäftsführung offenbar ein extrem kuscheliges Verhältnis: seit rund 20 Jahren leisten die Beschäftigten jede Woche 3 zusätzliche unbezahlte Arbeitsstunden. Das geht jedenfalls aus einem Artikel der WAZ vom 10.01.14 hervor, in dem die Kritik des DGB an der Praxis Thema ist.
Der DGB-Kreisvorsitzende Wolfgang Zeh sah in der Regelung zu den unbezahlten Stunden einen Rechtsbruch und Verstoß gegen das Betriebsverfassungsgesetz, weil solche Absprachen üblicherweise im Tarifvertrag geregelt werden und die Gewerkschaft jedoch an der Nebenabsprache nicht beteiligt war.Der Gewerschafter fand harsche Worte über die Zustände beim Bier-Lieferanten von Schalke 04: „Das ist ein abschreckendes Beispiel dafür, was betriebliche Bündnisse anrichten können.“
Zeh spricht von Erpressung des Betriebsrats durch die Geschäftführung und forderte mehr Kontroll- und Sanktionierungsmöglichkeiten durch den Gesetzgeber, um „dem Treiben ein strafbares Ende zu bereiten“, wie Oliver Eickhoff in der WAZ schreibt.
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Butterweiche Neuregelung: Zeiterfassungsmodell
Nur sechs Tage später konnte die WAZ Bewegung in Sachen Lohnraub durch „freiwillige“ Überstunden vermelden. In Absprache mit der Gewerkschaft NGG gab es eine Neuregelung, die uns nicht so recht überzeugen mag: Die freiwilligen Überstunden werden nun, im Gegensatz zu den letzten 20 Jahren, mit einem Zeiterfassungsmodell dokumentiert. (WAZ vom 16.01.14)
Man mag sich den Jubel der Mitarbeiter kaum ausmalen. Veltins-Generalbevollmächtigter Michael Huber setzt sogar noch einen drauf: Die freiwilligen Stunden könnten auch abgegolten werden! Das liest sich, als wäre es der neueste Klopper, dass ein Arbeitgeber auf Antrag eines Arbeitnehmers dessen Arbeitszeit auch bezahlen könnte.
Auf der Gewinnerseite: Familie Veltins
In den Artikeln der WAZ werden leider verschiedene Angaben dazu gemacht, seit wann die Vereinbarung über die „freiwillige“ Mehrarbeit, für die als Gegenleistung eine Beschäftigungsgarantie ausgesprochen wurde, genau gilt. So ist einmal von 1994, das andere Mal von 1996 die Rede. Fest steht, dass seit 1994 Susanne Veltins Geschäftsführerin der Brauerei ist und dass sie 1996 Michael Huber zu ihrem Generalbevollmächtigten machte. Rechnet man auch nur mit gröbsten Zahlen, so haben die Beschäftigten der Brauerei Susanne Veltins bei ständig steigenden Umsätzen den Lohn für mehrere hunderttausend Arbeitsstunden geschenkt. Irgendwie scheint sie diesen Deal verdammt gut verkauft zu haben. Die inzwischen abgewickelte Financial Times Deutschland ließ Susanne Veltins 2007 in der Reihe „Töchter der deutschen Wirtschaft“ hoch leben. In dem devot geschriebenen Portrait („Die leise Strategin“) heißt es, dass selbst Gewerkschafter ihre Person als Glücksfall für den Betrieb sähen – „hinter vorgehaltener Hand“.
Matriarchat muss nicht lustig sein
Auf unseren Seiten ist häufig von patriarchaler Unternehmenskultur die Rede, wenn eine Familie seit Generationen einen Betrieb und seine Arbeiter_innen nach Gutsherrenart beherrscht. Im Falle von Veltins handelt es sich dagegen um ein beginnendes Matriarchat. Bevor Susanne Veltins 1994 das Zepter übernahm, hatte ihre Mutter Rosemarie den Laden im Griff. Sie löste eine lange Reihe von männlichen Vorfahren ab. 1852 hatte ein Clemens Veltins die lokale Grevensteiner Brauerei aufgekauft und zu einem Industriebetrieb umgeformt.
Das sexistische Vorurteil, Frauen seien humanere Chefs oder kollegialere KollegInnen, wird auch hier widerlegt: Laut FTD haben Mitarbeiter einen Rüffel der Matriarchin zu befürchten, wenn sie in zu lässiger Kleidung, also im Pullover, zum Gespräch mit ihr erscheinen. Abgesehen von solchen Banalitäten, die auf Außenstehende lächerlich wirken, spricht der „freiwillige“ Lohnraub, der mit der Thronbesteigung von Susanne Veltins einher ging, für sich.
Die Neuregelung der Freiwilligkeit
Bei Veltins gilt – theoretisch – der Manteltarifvertrag der Sieger-/Sauerländer Brauereien. Dieser schreibt eine 37-Stunden-Woche fest, gesteht aber den Unternehmen Möglichkeiten zur Flexibilisierung zu. Dazu ist in der WAZ zu lesen:
Mit dieser Flexibilisierung wiederum, so Adolphs, sei der Betriebsrat „sehr, sehr flexibel“ umgegangen: Eine Absprache zur freiwilligen Mehrarbeit hätte er nicht treffen dürfen, eben weil es dazu Regelungen im Manteltarifvertrag gebe. Für die drei Stunden bestünde auch ein Anspruch auf Vergütung und eine Pflicht zur Erfassung. Adolphs: „Mehrarbeit darf nicht auf Zuruf kommen.“ Jetzt soll die bisherige mündliche Vereinbarung von Betriebsrat und Unternehmen zur Seite gelegt und der Manteltarifvertrag als Grundlage dienen. Es soll weiterhin keine Verpflichtung zur Mehrarbeit und der Grundsatz der Freiwilligkeit gelten.
Wir würden vorschlagen, liebe Frau Veltins, es mit den Gehältern der Belegschaft so zu halten, wie in dem unsäglichen Spot, in dem sich die Tatort-Komissarin Susanne Thomalla an der Seite ihres damaligen Macho-Partners Rudi Assauer zum Affen machte: „Nur gucken, nicht anfassen!“. Also: Hände weg von den Gehältern der Angestellten! Lohnraub bleibt Lohnraub, auch wenn noch so viele Untergebene beteuern, freiwillig beraubt zu werden.
Veltins und andere: Gewinnmaximierung per Kartellabsprache
Auch in der bundesweiten Presse tauchte die Marke Veltins mit schlechten Neuigkeiten auf. Das Bundeskartellamt ist den Sauerländer Pils-Baroninnen auf den Fersen. Der Bier-Riese beteiligte sich – so der dringende Verdacht – an Preis-Absprachen (so Spiegel-Online). Natürlich ging es um Erhöhungen. Der weltweiten Großbrauerei Inbev-Anheuser gelang in diesem Verfahren ein Coup erster Klasse: durch Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung geht Inbev als einzige Brauerei straffrei aus dem Verfahren des Bundeskartellamtes hervor, während die Brauereien Veltins, Bitburger, Warsteiner und Barre zusammen über 100 Millionen Euro Strafe zahlen müssen, die sie laut Spiegel-Online voraussichtlich wieder per Preiserhöhung auf die Verbraucher umlegen werden. Inbev Anheuser, die wegen der Streichung von 151 Stellen in der Bremer Beck’s Brauerei in der Kritik steht, konnte so sowohl von den Kartellabsprachen profitieren, als auch der Konkurrenz nachhaltig schaden.
Veltins-Generalbevollmächtigter Michael Huber in einem Anfang 2013 erschienenen Artikel des Unternehmermagazins Impulse zu den Preiserhöhungen:
Für 2013 zeigte sich Huber eher pessimistisch. Zum allgemeinen schwierigen Trend auf dem Biermarkt kommt eine Preiserhöhung, die sich seit Mitte Januar mit 50 Cent pro Kasten bemerkbar macht. “Dass wir bedingt durch die Preiserhöhung mit leichten Schmerzen rechnen müssen, war uns klar”, sagte Huber. Wenn 2013 das Niveau gehalten werde, sei er zufrieden.
Außen hui – innen Pfui. Das war mal eine tolle Marke, doch mir ist der Durst vergangen. Einige wenige machen sich die Taschen voll. Wie schnell der Bumerang zurückkommen kann, sieht man ja ein Dorf weiter in Warstein.
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