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Union Busting bei Flink: 3 Kündigungen unwirksam, Job trotzdem futsch?

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Die sich selbst erfüllende böse Tat: Vergiftete Arbeitsbeziehungen und orchestriertes Chaos bei Flink.

Arbeitsgericht Berlin erklärt Kündigungsversuche gegen Betriebsratsgründer für nichtig, hebt aber das  Arbeitsverhältnis wegen dessen publizistischer Tätigkeiten auf. [in ENGLISH]

Vor dem Arbeitsgericht Berlin: Elmar Wigand (mit Plakat) sein Anwalt Martin Bechert (rechts) im Kreise solidarischer Unterstützer und Prozessbeobachter*innen.
Elmar Wigand (mit Plakat) sein Anwalt Martin Bechert (rechts) im Kreise solidarischer Unterstützer und Prozessbeobachter*innen.

Kritik des Pressesprechers der aktion ./. arbeitsunrecht an Union Busting und schmutzigen Methoden durch Flink SE und deren Dienstleister macht „gedeihliche Zusammenarbeit“ als Rider bei einer Flink-Tochter angeblich unmöglich — sagt das Arbeitsgericht Berlin.

Die Union Busting-Strategie von Flink ist in erster Instanz leider aufgegangen. Die Rede ist von einer sich selbst erfüllenden aktiven und mutwilligen Vergiftung der Arbeitsbeziehungen durch das Management und dessen Dienstleistern: Schamlos lügen, diffamieren, öffentlich brandmarken, intrigieren, schikanieren & bespitzeln — und wenn die Betroffenen sich wehren, wenn jemand in gebotener Schärfe öffentlich Kritik übt, dann ist laut Arbeitsgericht „keine gedeihliche Zusammenarbeit“ mehr möglich.

Na vielen Dank! Ist das Gerechtigkeit?

Führt das zu einer Verbesserung der Arbeitsbeziehungen? Fortschritt und Verbesserung entstehen auch durch Reibung, Initiative und Kritik. Hier fault der demokratische Rechtsstaat in einer strategisch entscheidenden Zone vor sich hin: Demokratie in Wirtschaft & Betrieb ist so nicht zu haben. So macht sich die Arbeitsgerichtsbarkeit zur verlängerten Werkbank des Union Busting (Was ist das?).

Wenn wir uns fragen, warum es in der deutschen Arbeitswelt so viele Duckmäuser, Ja-Sager, Angsthasen und Lakaien gibt, warum es so schwer fällt den aufrechten Gang zu üben, dann haben wir genau hier eine Tradition vorliegen, die bis ins Kaiserreich und den preußischen Obrigkeitsstaat zurück reicht. Die Chimäre der Betriebsgemeinschaft, vertrauensvollen, gedeihlichen Zusammenarbeit. Was aber, wenn die Geschäftsführung es darauf anlegt und bösartig handelt? Sollten Arbeitsrechte und Arbeitsgerichte dann nicht die Beschäftigten vor Nachstellungen und Fertigmachern schützen?

Am vorliegenden Fall lässt sich die Methode des Union Busting perfekt nachvollziehen: Ein Unternehmen überzieht einen aktiven Beschäftigten, gegen den keinerlei Beschwerden vorliegen, mit Schikanen, Abmahnungen, Kündigungen oder Schlimmerem und reißt anschließend vor Gericht mit großer Unschuldsgeste die Arme hoch und plädiert auf: „Das Verhältnis ist zerrüttet.“ Dabei hat das Unternehmen selbst  genau darauf hingearbeitet. Und erreicht am Ende sogar das eigentliche Ziel, die unliebsame Person aus dem Betrieb zu entfernen. Dafür nehmen aggressive  Unternehmen gerne Abertausende Euro Anwaltskosten in Kauf.


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Auch Elmar Wigand war bei seinem eigentlichen Arbeitsplatz, dem Hub Rummelsburg, welches von der Flink Expansion 4 GmbH betrieben wird, außerordentlich beliebt und geschätzt — bei Kolleg*innen, Kunden und Vorgesetzten. Streit gab es nur mit einer Bediensteten der Flink SE, nämlich vor Gericht mit der Flink-Justiziarin Sarah Erne. Und dem dubiosen Presse-Agenten Boris Radke, dessen genaue Beziehung zu Flink weiter im Unklaren ist.

Ferner ist Elmar Wigand ein berufsmäßiger Gegner des Union Busting-Anwalts Tobias Pusch (Pusch Wahlig), welcher die Betriebsratsverhinderung bei Flink federführend betreibt. Diese Figuren haben allerdings mit dem Arbeitsalltag eines Flink-Riders überhaupt nichts zu tun. Gerade hier krankt ja die algorithmisch gesteuerte Niedriglohnarbeit: Die Zentrale bleibt abstrakt und virtuell. Am Ende bist Du nur eine Nummer, deren Bedürfnisse nicht gehört werden, die von Bots und Programmen bearbeitet wird. Genau diese Lücke soll der Betriebsrat füllen, den Elmar Wigand mit Anderen bei Flink gründen will.

Was ist los mit Sarah Erne?

Flink-Syndikusanwältin Sarah Erne legte es durch einen abstrusen Vortrag und beleidigende Schriftsätze geradezu darauf an, dass dem Kläger und seinem Anwalt irgendwann der Kragen platzt, um dann triumphierend zum Richter sinngemäß zu sagen: „Sehen Sie, hören Sie — mit diesem Mann ist keine vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich.“

Paragraph 9 des Kündigungsschutzgesetzes macht eine solche Strategie tatsächlich möglich.1 Allerdings könnte man auch anders argumentieren. Es bleibt nicht ersichtlich, warum ein deutsches Arbeitsgericht eine Firma vor selbstbewussten Arbeiter*innen beschützen muss, deren Management derart skrupellos und rechtsnihilistisch vorgeht — und nebenbei dadurch auch die Arbeitsgerichte systematisch überlastet.

Das derzeitige Management ist das Problem, vor dem die Firma beschützt werden müsste. Die Aufgabe eines Gerichts und einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft wäre es, hier für Recht und Ordnung zu sorgen, ordentlich dazwischen zu hauen, kriminelle Verabredungen aufzudecken, anstatt den Überbringer der schlechten Nachrichten galant aus der Tür zu geleiten.

Die 34. Kammer des Arbeitsgerichts Berlin unter dem Vorsitzenden Richter Claus-Peter Morof, war in der Verhandlung am 14. März 2023 offensichtlich auf der richtigen Spur, hatte aber am Ende wohl nicht den Mut, eine wegweisende Entscheidung für Meinungsfreiheit und demokratische Grundrechte in der Industrie 4.0 und im Berliner Start-up-Sumpf zu fällen.

Immerhin gab es einen Teilerfolg: Drei Kündigungsversuche von Flink wies das Gericht zurück. Sie erfolgten zum Teil mit abstrusen, hanebüchene und erstunkenen Begründungen — darunter eine angebliche körperliche Bedrohung des Flink Teilzeit-Pressesprechers Boris Radke und gegen ihn gerichtete „schwere Beleidigungen“ als „Pudel“ und „PR-Fuzzi“.

Radke sollte als Zeuge aussagen, leider kam es nicht dazu. Wir hätten gern mehr darüber erfahren, ob, und falls ja, wie oder wann Boris Radke mit Sarah Erne und dem federführenden Flink-Union-Buster Tobias Pusch geplant hat, die Wahl eines Wahlvorstandes zur Betriebsratswahl am 5. September 2022 mit Hilfe eines aufgepeitschten Mobs im Chaos zu versenken, um daraufhin die Wahl anzufechten. Auch hier findet sich das Element der sich selbst erfüllenden bösen Tat wieder.

Kritik an Unternehmen und Meinungsfreiheit im Betrieb verteidigen

Die Flink-Justiziarin Sarah Erne leidet möglicherweise unter Gedächtnisproblemen bzw. autonom voneinander arbeitenden Sprach- und Gedächtniszentren. Sie bestritt vor Gericht und vor rund 20 Zuschauer*innen, den Kläger geduzt zu haben, obwohl sie genau das zwei Sätze zuvor für alle hörbar getan hatte.

In der Güteverhandlung am 17. Januar 2023 hatte sie die Wahl des Wahlvorstandes vom 5. September 2022 als „anarchistische Show“ abqualifiziert und den Flink-Rider Viktor C. als ukrainischen Flüchtling dargestellt, obwohl dieser aus Ungarn stammt.

Der entsprechende Prozessbericht auf diesem Blog, der die Aussagen dokumentiert, wird durch die Medienverhinderungskanzlei Schertz Bergmann angegriffen, obwohl wir für jede der Aussagen mehrere eidesstattliche Versicherungen haben. Alle im Saal haben es gehört. Auch Richter Morof erklärte, dass er sich an Ernes Aussage erinnert, Viktor C. sei Ukrainer. Dass Sarah Erne dazu noch eine eidesstattliche Versicherung abgibt, ist mehr als erstaunlich.

Das Verhalten von Erne vor Gericht wirkt insgesamt rätselhaft bis abenteuerlich. Handelt es sich um eine Provokationsstrategie ohne Rücksicht auf Verluste, bis hin zur eidesstattlichen Falschaussage? In jedem Fall — ob sie sich bewusst, unbewusst, gewollt oder ungewollt nicht erinnert — scheint Erne als Justiziarin bzw. Syndikusanwältin ihren Beruf verfehlt zu haben. Hier geht es um messerscharfe Genauigkeit. Worte sind vor Gericht wichtig. Geplapper, an das man sich im nächsten Moment nicht mehr erinnern will, gehört bestenfalls in die Kneipe.

Wir warten auf die schriftliche Begründung des Urteils und gehen höchstwahrscheinlich in Berufung. Auch weil Flink zuvor bereits einen Kollegen, den Rider Raúl, wegen eines Interviews mit der taz gekündigt hatte (siehe Kritik am Job unerwünscht, taz 01.03.2023). Kritik an Unternehmen, auch dem eigenen Arbeitgeber, ist von der Meinungsfreiheit gedeckt. Dem Duckmäusertum sollte nicht weiter Vorschub geleistet werden — schon gar nicht von Arbeitsgerichten.

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Fußnoten / Anmerkung

1 §9 Kündigungsschutzgesetz, (1): Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.


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