We are back! Das Bürgertum entdeckt die arbeitende Klasse

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1992

Das Ende der Geschichte ist zu Ende

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Grafik "so süß wie maschinenöl" von Roy Brick
so süß wie maschinenöl… ist eine Kolumne von von Elmar Wigand für arbeitsunrecht FM und die Graswurzelrevolution Nr. 489, Mai 2024.  (Grafik: Roy Brick)

Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein großer Schritt für die Sueddeutsche Zeitung. Das dachte ich — in Anlehnung an den ersten Mann auf dem Mond1 –, als ich neulich im Wirtschaftsteil der SZ den folgenden Begriff las: „die arbeitende Klasse“.2

Stand das da wirklich?

Ich traute beim Morgenkaffee meinen Augen nicht.

„Ein kleiner Schritt für einen Mann, ein großer Schritt für die Menschheit“ — so kommentierte der Astronaut Neil Armstrong seine Mondlandung vom 20. Juli 1969. Ich habe nebenbei bemerkt große Zweifel, ob er damit richtig lag. Die Appollo 11-Mission war ein großer Schritt für die Entwicklung der Television, Propaganda, Public Relations – nicht für die Menschheit, vielleicht für die NATO. Sie sollte den Sowjets die Vormacht im Weltall streitig machen, die narzisstische Kränkung der USA durch den Sputnikshock von 1957 therapieren.

Wir dürfen den Einfluss der Sueddeutschen Zeitung nicht überschätzen; ebenso scheinen die seherischen Fähigkeiten ihres Redakteurs Alexander Hagelüken begrenzt, der auch nur Ökonomie studiert und den Geld-Teil der SZ erfunden hat. Aber irgendetwas muss vorgefallen sein, irgendetwas ist anders…


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1969: Buzz Aldrin auf dem Mond. Quelle: Wikicommons.

Wir schreiben den 9. April 2024: „Die Alterung der Bevölkerung und der damit einhergehende Personalmangel beschert der arbeitenden Klasse mehr Macht.“ Der SZ-Journalist erkennt in seinem an sich erschreckend flachen Beitrag den bevorstehenden Renteneintritt der Boomer als Grund für eine neue Macht der Lohnabhängigen. Es geht um eine mögliche Renaissance von Tarifverträgen in Deutschland.

Der Beitrag blendet aus: Dass die Arbeitskraft auch deshalb knapp wird, weil sich Fachkräfte in den Ballungszentren keine Wohnungen mehr leisten können oder keine Kita-Plätze finden, dass abertausende Arbeitswillige abgeschoben werden oder im Mittelmeer ertrinken, dass das herrschende System also dysfunktional und reformunfähig erscheint.

Warum werden keine Wohnung gebaut, Leerstand beschlagnahmt, Flüchtlinge geschult? Warum bleiben 20% der Schulabgänger*innen ohne Ausbildung? Dieser systemische Irrsinn fällt ebenso unter den Tisch wie die Tatsache, dass es in der arbeitenden Klasse passive und aktive Renitenz gegen die herrschende Arbeitskultur gibt — etwa eine wachsende No-Work Bewegung und Ablehnung von Bullshit-Jobs.

Wenn am 9. April 2024 – mal angenommen — eine Epoche endet, in der die arbeitende Klasse systematisch negiert wurde, in der das Bürgertum also seine Versuche einstellt, die arbeitende Klasse nicht nur begrifflich aufzulösen, so stellt sich die Frage:

Wann hat diese Epoche angefangen?

Vielleicht 1989. Mit dem Zerfall der Sowjetimperiums hatte der US-Politikwissenschaftler Francis Fukuyama „Das Ende der Geschichte“ proklamiert.3 Er konterkarierte damit paradoxerweise den ersten Satz des Manifest der Kommunistischen Partei aus der Feder von Karl Marx und Friedrich Engels: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen“.4 Und diese Geschichte sollte nach 140 Jahren mit dem Ende des Kalten Krieges 1989 vorbei sein — so der Wunschtraum der US-Eliten und ihrer Vasallen.

Die neue Weltordnung der USA brach an.

Im Osten keine Sowjetunion und deren aufgeblasenes Getöse von der „Mission der Arbeiterklasse“. Im Westen keine kommunistischen Parteien, keine Klassenkämpfe, keine Streiks. Gewerkschaften und Sozialdemokratie ja, vielleicht, am Besten als Karikaturen oder Perversion ihrer selbst (Workfare, New Labour, Agenda 2010). Tarifverträge nur wenn es sein musste, Betriebsräte als Auslaufmodell.

Momentan erleben wir den Zusammenbruch der New World Order.

Die alleinige Weltherrschaft der übrig gebliebenen Supermacht USA, endet mit den Kriegen in Syrien, der Ukraine, Gaza. Und nicht zu vergessen: mit dem Einmarsch der Taliban in Kabul im August 2021 und dem völligen Scheitern des Versuchs, in Afghanistan mit Fördergeldern und NGOs eine so genannte Zivilgesellschaft als importierten westlichen Kunstrasen zu verlegen, während US-Drohnen auf dem Land gleichzeitig Hochzeitsgesellschaften und Bauern massakrierten, weil sie (fälschlich) als Taliban identifiziert wurden und weil es auf ein paar Dutzend Muselmanen mehr oder weniger halt nicht ankam… Gerade deswegen war die neue Weltordnung zum Scheitern verurteilt.

Das Ende der Geschichte ist zu Ende: Die arbeitende Klasse existiert wieder..

Wir sind zurück!

Das liberale Bürgertum ruft die Gewerkschaften zur Hilfe. Jetzt ganz offiziell in der Sueddeutschen Zeitung. Was das bedeuten könnte, darüber mehr in der nächsten Ausgabe…


Elmar Wigand ist Pressesprecher der aktion ./. arbeitsunrecht. Der Verein unterstützt aktive Betriebsräte, konfliktbereite Gewerkschafter*innen und solche, die es werden wollen. Mehr infos: https://arbeitsunrecht.de/ueber-uns/


Quellen / Anmerkungen

1 „Ein großer Schritt für die Menschheit“, Zeit, 26.8.2012, https://www.zeit.de/wissen/geschichte/2012-08/fs-neil-armstrong

2 Alexander Hagelüken: Gewerkschaften — Kommt die große Zeit der Tarifverträge zurück?, SZ, 9.4.2024, https://archive.ph/6Vqmd

4 Karl Marx / Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, 1848, https://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1848/manifest/1-bourprol.htm


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