Geld her! Bornheimer Spargelstreik: Rumänische Erntehelfer wehren sich. Demo Montag 9:00

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Spargel Ritter / Bornheim: Katastrophale Unterbringung, kein Infektionsschutz.

Spargel Ritter
Spargel Ritter in Bornheim. (Foto: Schreenshot, youtube-Video vom 3.4.2020)
  • Protest-Kundgebung für vollständigen Lohn am 18. Mai 2020 in Bornheim.
  • Welche Rolle spielt Insolvenzverwalter Schulte-Beckhausen?

Am Freitag, 15. Mai 2020 legten in Bornheim bei Bonn 100-300 Erntehelfer*innen unter Protest die Arbeit nieder, die Mehrheit stammte aus Rumänien. Sie waren laut Presseberichten in der Corona-Krise angelockt worden — mit der Aussicht auf eine Bezahlung von rund 2.000. Als das Unternehmen Sabine & Claus Ritter GbR und sein Insolvenzverwalter Andreas Schulte-Beckhausen am Ende nur 200-250 Euro rausrücken wollten, gingen sie in den Streik.

RP-Online berichtet von Betroffenen, die bislang gar nichts bekommen haben: „Wir haben hart gearbeitet, wir brauchen unser Geld“, sagte eine 29-Jährige.1

Vor allem wissen die Leute auch nicht, wie sie ohne ihren rechtmäßigen Lohn überhaupt nach Hause kommen sollen. Die Aktion gegen Arbeitsunrecht ruft mit anderen Gruppen wie der FAU Bonn und der Interventionistischen Linken dazu auf, die Erntehelfer*innen zu unterstützen.


Geld her! Solidarität mit den Erntehelfer*innen im Bornheimer Spargelstreik!

Treffpunkt: Montag, 18. Mai 2020, 9:00 Uhr | Am Ühlchen 19, 53332 Bornheim | RB 48 / Haltestelle Roisdorf-Bornheim (2,4 km Fußweg) | KVB Linie 18 / Haltestelle Bornheim (1,5 km Fußweg)


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Der Skandal wird perfekt durch katastrophale Unterkünfte und fehlenden Infektionsschutz.

Obwohl es Anfang Mai recht kalt wurde, gab es in den Baracken, die bei einem Klärwerk (!) in Roisheim stehen, offenbar keine Heizung; die sanitären Einrichtungen sollen jeder Beschreibung spotten. Am Wochenende gingen den Erntehelfer*innen die Lebensmittel aus. Die FAU Bonn war vor Ort und organisierte Wasser und Essen, während das Gut Ritter die Polizei rief und das Gelände mit Security absicherte.

Mitten in der Pandemie gab es offenbar keine Schutzmaßnahmen gegen Ansteckung mit dem COVID-19-Virus.

Spargel Ritter Andreas Schulte-Beckhausen
Was ist da los? Insolvenzverwalter Andreas Schulte-Beckhausen wirbt am 3. April händeringed um deutsche Erntehelfer. Dann schickte ihm die Landwirtschaftsministerin billige Rumänen. Die will er jetzt nicht bezahlen. (Foto: Schreenshot, youtube-Video vom 3.4.2020)

Welche Rolle spielt Insolvenzverwalter Schulte-Beckhausen?

Erstaunlich ist das Timing: Der Bonner Express berichtete bereits am 12. März 2020 — also schon vor dem Corona-Lock-down und vor Beginn der Spargel-Ernte –, dass der Bauer Claus Ritter und seine Frau insolvent seien und ihr Unternehmen unter Zwangsaufsicht des Insolvenzverwalters Andreas Schulte-Beckhausen stünde. Damals türmten sich Müllberge auf dem Gelände, die zu Unmut bei Anwohnern und Behörden führten. Der General-Anzeiger berichtete, dass die Ernte 2020 „mit Hilfe eines anonymen Finanzierungspartners“ gesichert sei.2

Es sind halt nur Rumänen. Wildwest in der Provinz und industrieller Rassismus

Dass Unternehmer in die Insolvenz gehen, um sich vor ausstehenden Zahlungen zu drücken, ist gerade in der Landwirtschaft keine Seltenheit. Dass mit Andreas Schulte-Beckhausen ein Insolvenzverwalter in dieses Spiel eingebunden ist — nennen wir es mal systematischen Lohnraub –, lässt allerdings aufhorchen. In einem funktionierenden Rechtsstaat würde sich die Staatsanwaltschaft einschalten, um dem Treiben ein Ende zu setzen und die Verantwortlichen für derart dreiste Methoden und menschenunwürdige Wohnverhältnisse hart zu bestrafen.

Demokratie und Rechtsstaat gelten in der deutschen Arbeitswelt bislang offenbar nur eingeschränkt. Wo keine Betriebsräte, keine Gewerkschaften und keine behördlichen Kontrollen existieren, macht sich auf Unternehmerseite zwangsläufig Rechtsnihilismus breit. Hinzu kommt eine provinzielle Abgeschiedenheit im rheinischen Spargelrevier, die Geklüngel und systematisches Wegschauen anscheindend stark begünstigt.

Der insolvente Spargel-Bauer Claus Ritter. (Foto: Schreenshot, youtube-Video vom 3.4.2020)

Rechtsnihilismus: Legal, illegal, scheißegal?

Sprechen wir es klar aus: Hier kommen industrieller und institutioneller Rassismus zusammen. „Es sind halt nur Rumänen.“ Möglicherweise ist das Interesse der verantwortlichen Behörden an günstigem Spargel und frischen Erdbeeren größer als an Menschen- und Arbeitsrechten, denen sie laut Verfassung verpflichtet sein müssten.

Auffällig ist, dass abstoßende Müllberge bei Spargel Ritter Anwohner und Behörden sehr wohl mobilisieren können, während das Elend rumänischer Arbeiter*innen offenbar nur ein müdes Achselzucken auslöst.

Zudem stellt sich die weiter gehende Frage:

Inwiefern ist die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner mitverantwortlich?

Klöckner ermöglichte durch „unbürokratische“ Sonderregeln für Saison-Arbeiter in der Landwirtschaft überhaupt erst, dass osteuropäische Erntehelfer*innen während der Corona-Krise nach Deutschland eingeflogen werden konnten. Sie durften zudem sozialversicherungsfrei beschäftigt werden. Bei den Unternehmern kam offenbar folgendes Signal an: Anything goes – alles ist möglich.

Die Zeitung Die Stimme schreibt am 13.5.2020: „Vom 9. April bis Anfang dieser Woche seien 28.000 Saisonarbeiter nach Deutschland gekommen, darüber hinaus sei bei der Bundespolizei die Einreise weiterer 5.500 Saisonarbeiter angekündigt worden. Schon zuvor seien rund 20.000 Saisonkräfte in Deutschland gewesen. […] Klöckner sagte, auch für Mai sei abzusehen, dass die Betriebe mit Saisonkräften und anderen helfenden Händen ausreichend versorgt seien. Die wichtigen Arbeiten hätten bisher erledigt werden können. Eine Neuregelung ermögliche bereits auch, Saisonkräfte 115 Tage statt sonst 70 Tage sozialversicherungsfrei zu beschäftigen, was schon eine Spanne von April bis August abdecke.“

Am 3. April 2020 versuchte Claus Ritter mit einem youtube-Video Erntehelfer aus Deutschland für die Arbeit auf seinem Hof in Bornheim zu begeistern. In dem Clip ist auch der Insolvenzverwalter Andreas Schulte-Beckhausen zu sehen. Er verspricht dort einen Lohn von 10,- Euro pro Stunde. 3


Links + Quellen

1 Erntehelfer bei NRW-Spargelbetrieb protestieren gegen Missstände, RP-Online, 15.5.2020, https://rp-online.de/nrw/panorama/bornheim-erntehelfer-bei-nrw-spargelbetrieb-protestieren-gegen-missstaende_aid-51169835

3 Erdbeer und Spargelkulturen Ritter – Erntehelfer gesucht!, Spargel Ritter, yuotube-Video vom 3.4.2020, https://youtu.be/aIC8r7IPr50


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1 Kommentar

  1. Wenn ich das alles lese, wird mir schlecht. Wie der Wähler, der gute Lebensmittel kaufen möchte, hinters Licht geführt wird, ist schon einzigartig. Wie Menschen in unserer Gesellschaft ausgebeutet werden und wie das Infektionsschutzgesetz und andere Gesetzte ausgehebelt werden, schreit zum Himmel. Das muss sich in den Bundestagswahlen im September niederschlagen. Wir brauchen keine Politiker*innen, die ständig das Gemeinwohl verletzen und sich zusätzlich zu Ihren Diäten von Lobbyisten aushalten lassen. Klöckner, Scheuer und Seehofer gehören weg von der politischen Bühne.

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