Bahnstreik in der Reisezeit? Warum? Interview mit GDL-Chef Weselsky

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Warum wählt die Gewerkschaft diesen Zeitpunkt — ausgerechnet in der Hauptreisezeit und vor der Bundestagswahl?

Kann das gut gehen? Wie wichtig sind öffentliche Stimmung und veröffentlichte Meinung?

Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) will nicht als Juniorpartner der DGB-Gewerkschaft EVG vom DB-Management vorgeführt werden. Der Konflikt ist kompliziert: Es geht um Arbeitsbedingungen, aber auch um Konkurrenz zwischen Gewerkschaften und das „Tarifeinheitsgesetz“, das Minderheitengewerkschaften seit 2015 systematisch benachteiligt.

Elmar Wigand führte am 8.Juli 2021 für die Sendung arbeitsunrecht FM Nr. 27 ein langes Interview mit dem Vorsitzenden der Bahn-Gewerkschaft GDL, Claus Weselsky.

Es geht um gute Gründe, bei der Bahn zu streiken und die Stimmung unter den Bahn-Beschäftigten. Ebenso geht es um den kritischen Zeitpunkt des bevorstehenden Streiks im gelockerten Corona-Lockdown und vor der Bundestagswahl im September 2021 sowie um Union Busting — hier insbesondere Meinungsmache und psychologische Kriegsführung gegen eine konfliktbereite und streikerprobte Gewerkschaft.

GDL-Vorsitzender Claus Weselsky
Der Lokführer Claus Weselsky ist seit 2008 GDL-Vorsitzender. (Foto: GDL)

Nachhören: Interview mit Claus Weselsky (download)


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Elmar Wigand: Herr Weselsky, was ärgert die Lokführer und Zugbegleiter am meisten?

Claus Weselsky: Die Ignoranz gegenüber Problemen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die 24 Stunden am Tag Dienst tun, 7 Tage in der Woche, 365 Tage im Jahr ein rollendes System am Leben erhalten und solche Führungskräfte wie bei der DB nicht verdient haben, die erstens gar nicht wissen, unter welchen Arbeitsbedingungen die Beschäftigten unterwegs sind und zweitens kein Interesse daran haben, die Probleme, die auftreten, zu lösen.

Hier herrscht absoluter Frust, nicht nur unter Lokführern und Zugbegleitern, sondern beim kompletten direkten Personal.

Das wäre ja im Grunde ein Management- oder Führungsproblem. Das lässt sich aber durch einen Streik leider nicht lösen. Man kann ja jetzt schlecht die Auflösung des Managements herbei streiken, sondern meistens geht es ja notgedrungen um konkrete Fragen, also mehr Geld in der Tasche, bessere Arbeitszeiten…

Sie haben mich gefragt, was die größten Probleme meiner Leute sind. Es sind die Alltagsprobleme, die eine Frustwelle auslösen. Und das führt insgesamt zu einer konfliktreichen Situation.

Ich sage immer, so wie die Führungskräfte des Großkonzerns Deutsche Bahn AG die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter behandeln, sind die schon frustriert bevor wir über Einkommen und Arbeitszeitbedingungen verhandelt haben. Weil der Arbeitsalltag von dieser Erfahrung geprägt ist: Der Mensch ist eine Personalnummer und hat zu machen, was angewiesen ist.

Zu den Arbeitszeit- und Einkommensbedingungen haben wir eine klare Haltung:

Wir lehnen es ab, dass genau die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Gürtel enger schnallen sollen, die die ganze Zeit trotz der erschwerten Corona-Bedingungen den Verker auf der Schiene aufrechterhalten haben. Es darf nicht sein, dass ausgerechnet für die ’systemrelevanten‘ Beschäftigten in diesem Jahr eine reale Minus-Runde rauskommt, weil sie 2021 null Einkommenserhöhung bekommen sollen und 2022 nur 1,5 Prozent. Das ist für uns nicht angemessen, nicht wertschätzend gegenüber denjenigen, die draußen die Arbeit geleistet haben.

Und deswegen sind wir in den Konflikt gegangen. Sehenden Auges. Wir haben dem Bahn-Management den Stuhl vor die Tür gesetzt und gesagt: Entweder ihr macht ein ordentliches Angebot oder wir sind jetzt an der Stelle, wo wir eine Urabstimmung durchführen und Streiks ins Haus stehen.

Wie hat sich die Corona-Situation für die Beschäftigten ausgewirkt? Viel wird ja geredet über Flugverkehr. Piloten werden entlassen trotz Milliardenkrediten, man soll den Gürtel enger schnallen. Ich vermute, bei der Bahn sind Entlassungswellen ausgeblieben und man hat sich durchgehangelt. Wie ist die Lage?

Interessanterweise hat sich die Politik zurück erinnert, dass Verkehrssysteme, die verlässlich sind — und das ist die Eisenbahn — auch einen Mehrwert abbilden. Plötzlich wurden wir als ’systemrelevant‘ eingestuft — wie viele andere ehrenwerte Berufe auch.

Auf einmal ist die Eisenbahn wieder wichtig, obwohl man uns in der Vergangenheit privatisiert und schon fast zu einem Börsengang getrieben hatte. Und systemrelevant heißt eben, dass das Eisenbahnsystem weiter voll funktioniert hat. Obwohl weniger Fahrgäste da waren, hat zum Beispiel sowohl der Eigentümer als auch das Management der DB entschieden, den Zugverkehr zu ungefähr 90 % aufrechtzuerhalten.

Das bedeutete für meine Kolleginnen und Kollegen, dass sie unter erschwerten Bedingungen, die durch Corona verursacht wurden, arbeiten mussten. Sie erinnern sich: Am Anfang wusste niemand, wie man mit dem Virus umgehen sollte. Die Zugbegleiter tragen über ein Jahr lang Maske, während ihrer Arbeit in den Zügen und sie haben einen Zugverkehr aufrechterhalten müssen, der geprägt war von wenigen Reisenden. Das frustriert einerseits. Andererseits hat es natürlich dazu beigetragen, dass die Arbeitsplätze nicht in Abrede gestellt wurden.

Man kann nicht erklären, das sei Daseinsvorsorge, die systemrelevant ist, und gleichzeitig Arbeitsplätze abbauen. Das ist vollkommen anders als im Bereich Luftfahrt, wo wir erleben mussten, wie die Flieger alle am Boden geblieben sind, wo Flughäfen geschlossen worden sind und wo Kurzarbeit an der Tagesordnung gewesen ist. Das war bei uns nicht der Fall.

Nun wird der Lockdown gelockert. Man weiß noch nicht, ob das gut geht. Und die Bundestagswahl steht an. Ausgerechnet jetzt wollen Sie in den Ring steigen. Ich frage mich, ob der Zeitpunkt eigentlich günstig ist. Ist es nicht erkennbar, dass die Gegenseite eigentlich will, dass Sie streiken? Möglicherweise, um die Gewerkschaft in die Falle zu locken oder im Bundestagswahlkampf vorzuführen.

Ich gebe Ihnen recht. Es ist klar erkennbar, dass die andere Seite den Arbeitskampf gezielt provoziert. Aber Sie haben nicht recht, wenn Sie sagen, es sei der falsche Zeitpunkt, weil ich Ihnen erläutere, dass wir den Zeitpunkt absichtlich und zielgerichtet so angestrebt haben.

Wäre es nach der Bahn gegangen, hätten wir Anfang April 2021 Verhandlungen gehabt, die scheitern und bereits dann zu einem Arbeitskampf geführt hätten. Aber das ging uns viel zu schnell. Wir wollten nicht überhitzen und vor allen Dingen auch nicht in irgendeine Falle laufen.

Deswegen haben wir das Heft des Handelns in die Hand genommen und haben die Zeiträume gestaltet und wissentlich die Sommermonate angestrebt. Nicht weil dann Corona zu Ende ging, sondern weil wir aufgrund der Vorbereitungen, die zu treffen waren, so viel Zeit brauchten. Jetzt läuft die Urabstimmung. Am 9. August wird ausgezählt. Ich kann und will nichts versprechen, weil wir die Menschen nie anlügen.

Aber wenn die Bahn ihr Angebot nicht verbessert und mit uns ernsthaft einen Abschluss machen will, der nah an diesem Schreckensszenario liegt, das das DB-Management mit einer anderen Truppe abgeschlossen hat. Wenn die Bahn dieses will, dann treibt sie uns gezielt in diesen Arbeitskampf. Aber den werden wir durchführen und wir werden im Ergebnis höheres Einkommen erzielen und vor allen Dingen bessere Arbeitsbedingungen. Und dritte Botschaft. Wir werden Tarifverträge für alle Eisenbahnberufe erzeugen und die Kolleginnen und Kollegen auf den Stellwerken, in den Werkstätten, bei der Fahrweginstandhaltung mit unseren besseren Tarifverträgen mitnehmen.

Denn wir wollen nicht nur mehr Entgelt, sondern wir müssen auch die Betriebsrente aus dem Zusatzversorgungstarifvertrag schützen, die das Management die abschaffen will. Die andere Truppe hat das schon zugesagt. Das werden wir nicht zulassen.

Und deswegen ist die Grundkonstellation des Arbeitskampfs um diese Zeit von uns auch ein Stück weit mitgesteuert.

Und ja, wir werden es nicht schaffen und auch nie wollen, bis zum Ende der Ferien abzuwarten, um niemanden zu beeinträchtigen. Ich sage Ihnen ganz offen, es gibt überhaupt keinen Zeitpunkt, in dem ein Streik im Eisenbahnsystem günstig ist. Sollen wir etwa nachts zwischen halb zwei und zwei streiken, wo niemand weiter betroffen wäre als durch eine halbe Stunde Verspätung?

Das ist nicht der Effekt, den wir erzielen wollen. Wir müssen das Management empfindlich treffen und klare Signale setzen von Seiten der Eisenbahner: So nicht mit uns!

Ja, ich denke auch, dass das dann gestreikt werden muss, wenn es der Gegenseite weh tut. Das ist natürlich richtig. Andererseits reden wir hier von asymmetrischer Konfliktführung. Die Medienmacht ist eindeutig konzentriert. Also zumindest hat sich da, glaube ich, seit 2014/15, seit Ihrem letzten großen Streik wenig zum Positiven verändert. Deshalb ist zu erwarten, dass ein ähnliches Trommelfeuer wieder über Ihre Gewerkschaft und auch Sie persönlich hereinbricht. Und wenn man jetzt erkennen kann, dass Gegenseite den Konflikt eigentlich wissentlich herbeiführt, dann stellt sich die Frage: Was ist das Kalkül dahinter?
Was treibt diese Leute an?

Das Kalkül hängt zusammen mit dem Tarifeinheitsgesetz. Man stellt darauf ab, die GDL wissentlich, absichtlich und wider besseren Wissens, also entgegen der Faktenlage, als klein darzustellen.

Die Bahn hat entschieden, dass wir angeblich nur in 16 Betrieben des DB-Konzerns die Mehrheit hätten. Es gibt insgesamt 174 Wahl-Betriebe, die im Kernsystem Eisenbahn zum Tragen kommen, davon 71 in den drei großen Fahrbetrieben Cargo, Fernverkehr und Regio und 103, die in den Bereichen Netz, Fahrweginstandhaltung und Fahrzeuginstandhaltung eine Rolle spielen. Erstmal ist damit die Gesamtmenge reduziert.

Wir reden hier nicht über Betriebe, die außerhalb von Eisenbahnsegmenten liegen. Wir reden nicht über DB Schenker. Das ist eindeutig Gebiet der Kollegen von ver.di, mit denen wir keinen Stress haben und auch uns gegenseitig keine Mitglieder abjagen, sondern eine friedliche Koexistenz führen. Unsere Zielsetzung ist es, in den 174 Betrieben die Mehrheit zu erlangen. Dies legitim und sie wird uns auch aufgezwungen vom Tarifeinheitsgesetz. Deswegen sind die medialen Schlammschlachten nach dem Motto „Machtkampf EVG gegen GDL“ im Prinzip nichts anderes als das Ergebnis des Handelns unserer gesetzgebenden Parlamente.

Wir haben das Tarifeinheitsgesetz nicht erfunden. Aber ich darf mir an die Brust heften, dass wir eine Alternative innerhalb des Tarifeinheitsgesetz entwickelt haben, die da lautet: ‚Kümmere dich einfach um die Menschen draußen, die in den direkten Bereichen arbeiten, die in den Betrieben die wertschöpfende Arbeit bringen. Kümmere dich um die, nimm deren Probleme auf, bitte sie um Mitgliedschaft in deiner Gewerkschaft und versprich ihnen, bessere Arbeits- und Einkommensbedingungen herzustellen. Das ist nach meinem Dafürhalten das kleine Einmaleins einer Gewerkschaft. Das ist die Grundidee des solidarischen Zusammenschlusses, weil der Einzelne viel weniger wert ist als die Gemeinschaft. Sie werden es nicht glauben, aber das fällt auf fruchtbaren Boden.

In den letzten zwölf Monaten haben wir über 3.000 neue Mitglieder aufgenommen, alles aktive Eisenbahner, keine Rentner und Pensionäre, sondern Menschen, die draußen im Produktionsbereich tätig sind, die freudig bei uns eintreten und darauf setzen, dass sich etwas zum Besseren verändert.

Und von daher bin ich ganz zuversichtlich, dass wir bei einer gerichtsfesten Zählung in den Betrieben in einer wesentlich größeren Anzahl von Betrieben jetzt schon die Mehrheit an Mitgliedern abbilden. Wenn wir klug sind, wenn wir gut argumentieren und vor allen Dingen, wenn wir auch gute Ergebnisse erzielen, dann verstehen die Menschen, dass die GDL ihre Betriebsrente zum Beispiel geschützt hat. Dass die GDL dafür Sorge getragen hat, dass sie eine andere Einkommenserhöhung bekommen, als das ursprünglich mal angedacht war.

Und dass die GDL klar und deutlich artikuliert: Es kann nicht sein, dass sich die Führungskräfte Boni in die Tasche stopfen und der Mitarbeiter draußen, der 2021 vielleicht 3 Prozent Inflationsrate verkraften muss null Einkommenserhöhung bekommt. Das ist doch unanständig. Von daher fühlen wir uns eigentlich ganz wohl in dem was wir tun. Wir brauchen ein bisschen Zeit, weil die Menschen natürlich überzeugt werden müssen. Aber wir sind sehr zuversichtlich, dass in der Auseinandersetzung, die vor uns liegt, wenn sie denn gepflegt wird von der Arbeitgeberseite, nicht bloß Lokomotivführer und Zugbegleiter im Streik sein werden, sondern eine ganze Reihe von Eisenbahnern im Betriebsdienst, die in ihren ehrenwerten Berufen einfach nur die Nase voll haben von dem, was das Management so von sich gibt:

Denn die Solidarität der Eisenbahner-Familie wird vom Management immer nur beschworen, wenn es daran geht, dass die Beschäftigten im direkten Bereich den Gürtel enger schnallen sollen.

Die GDL müsste eigentlich ihren Namen jetzt bald ändern. Das ist auch glaube ich in der deutschen Gewerkschafts-Landschaft ohne Vorbild. Eine Gewerkschaft, die sich von Lokführern, von einer Spartengewerkschaft, längst weiterentwickelt und geöffnet hat für die Zugbegleiter und sich jetzt also über alle direkten und systemrelevanten Berufe in den gesamten Konzern ausbreiten will. Da ist der Name Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer fast schon anachronistisch, nicht wahr? Aber das ist vielleicht nur eine Nebensächlichkeit?

Es gibt mehrere Anachronismen, Herr Wigand. Ob und wann wir den Namen ändern, entscheiden wir in unserer Organisation, wenn die Zeit reif ist. Wir haben seit dem 17. November 2020 den sogenannten Öffnungsbeschluss. Wir sind bereit, für alle Eisenbahner Verantwortung zu übernehmen. Ich korrigiere Sie übrigens ungern, aber wir wollen nicht den gesamten Konzern organisieren. Die DB ist derzeit weltweit aufgestellt und hat auch in Deutschland Dependancen oder GmbHs, die mit Eisenbahn überhaupt nichts zu tun haben.

Ich sage klar und deutlich: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Wir verstehen was vom Eisenbahngeschäft. Wir verstehen uns sehr gut mit Fahrdienstleitern.

Wir verstehen uns sehr gut mit Werkstattmitarbeitern, die unsere Lokomotiven, unsere Züge reparieren. Mit denen können wir auch eisenbahnerisch viele Gemeinsamkeiten entwickeln. Aber wir verstehen uns nicht mit Systementwicklern, IT-Technologen oder was auch immer. Das gehört zur Phalanx darum herum.

Wir konzentrieren uns glasklar auf das Eisenbahnsystem in Deutschland. Das fordern wir auch für den Konzern ein. Wir fordern daher von der Politik, dass dieses Management klar angewiesen wird, sich auf das Herzstück der Eisenbahn in Deutschland zu konzentrieren und dass es diese weltweiten Aktivitäten Stück für Stück zurückbaut und es unterlässt, in China eine Hafenanlage zu kaufen oder in Amerika eine Fluggesellschaft. Das hat mit der Eisenbahn in Deutschland nichts zu tun.

30 Milliarden Schulden seit der kompletten Entschuldung im Jahr 1994 sprechen Bände. Die haben die Mitarbeiter im direkten Bereich nicht zu verantworten. Das ist Missmanagement und Verzocken von Steuergeldern am anderen Ende der Welt.

Das sehe ich auch so. Solche Holding-Strukturen, im Fall der DB mit über 700 Tochterfirmen, werden oftmals von Unternehmensberatern gezielt geschaffen, um Geld in einem aufgeblähten Apparat versickern zu lassen. An Geschäftsführungen und alle möglichen hochbezahlten Dienstleister.Das ahnt man schon beim Ansehen des Organigramms der DB.
Lassen Sie uns noch kurz über den Bundestagswahlkampf sprechen, der ja nun die Kulisse des Konflikts bilden wird. Parteien und Kandidaten im Wahlkampf suchen Themen. Und ich denke, man wird das Streikthema begierig aufgreifen, um auf Sie persönlich und auf Ihre Kollegen einzudreschen.
Ein Verkehrsminister wie Andreas Scheuer ist eigentlich untragbar, darin sind sich viele einig. Er müsste allein wegen der Maut-Millionen, die er versenkt hat, zurücktreten. Es ist nach meiner Meinung ein erschreckendes Zeichen für den Verfall der politischen Kultur, dass dieser Minister noch im Amt ist. Das wäre früher anders ausgegangen. Wie beurteilen Sie als Eisenbahner das Wirken dieses Verkehrsministers? Zumal er ja auch noch ein Parteifreund aus Ihrer Schwesterpartei CSU ist — eine besondere Absurdität der Konstellation!

Nennen Sie es ruhig Absurdität oder Anachronismus, dass ein CDU-Mitglied Gewerkschaftsvorsitzender ist. Es gibt schon noch ein paar. Ich sage Ihnen ganz offen: Meine Parteizugehörigkeit und die Parteizugehörigkeit meiner Mitglieder sind Privatangelegenheit. Wir sind nicht in Lager aufgeteilt, sondern wir sind alle auf der Basis unserer Berufe mit den sich daraus ergebenden Gemeinsamkeiten unterwegs. Und wir konzentrieren uns auf das Wesentliche: Verbesserung von Arbeits- und Einkommensbedingungen. Das steht in der Satzung und das ist auch im Fokus dieser Organisation. Von daher ist die Parteimitgliedschaft nachgelagert. Ich selbst bin konservativ und deshalb damals der CDU beigetreten. Dass ich das heute differenzierter betrachte, liegt unter anderem daran, dass meine Partei Miterfinderin des Tarifeinheitsgesetzes ist. Schlussendlich ist sie in der Koalition mitmarschiert und hat das Gesetz in Kraft gesetzt, obwohl die eigentliche Treiberin die SPD war — das ist eine wirkliche Absurdität, dass eine Arbeiterpartei das Tarifeinheitsgesetz geschrieben und 2015 in Kraft gesetzt hat. Von daher ist Parteizugehörigkeit uninteressant und ob Schwesterpartei oder nicht, spielt keine Rolle.

Zurück zu Ihrer Frage zum Verkehrsminister. Ich sehe bei Herrn Scheuer zwei Elemente. Die Maut lasse ich mal raus, das ist nicht mein Schalter. Von dem, was ich weiß, gebe ich Ihnen aber recht.

Wenn ich auf das Eisenbahnsystem schaue, hat man einerseits das Gefühl, dass er der erste Minister ist, der es geschafft hat, tatsächlich mehr Geld ins System zu bringen. Das wäre sehr positiv, wenn es in ein System fließen würde, das effizient ist und das sich auch auf das konzentrieren, was für uns alle gemeinsam von Bedeutung ist: dass Steuergelder in Milliardenhöhe ins Eisenbahnsystem fließen und nicht in irgendwelche Aktivitäten am anderen Ende der Welt. Diese Konzentration, diese Vorgabe, hat er jedoch nie gemacht. Und von daher ist er zwar ein Minister, der mehr Geld ins System Eisenbahn gespült hat. Aber dieses wird undifferenziert im Konzern versenkt. Und das Management ist mittlerweile so selbstständig, dass es dem Verkehrsministerium mitteilt, wo der Hase hinzulaufen hat. Das ist unter anderem der Rechtsform geschuldet. Vorstände von Aktiengesellschaften haben vollkommen andere Freiheiten als z.B. der Geschäftsführer einer GmbH. Kluger Schritt ist z. B. gewesen, die sogenannte Autobahn GmbH zu gründen und die Autobahnen des Bundes zu konzentrieren in einer bundeseigenen Gesellschaft, nämlich einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung.

Hier hat man als Eigentümer ganz andere Durchgriffsrechte. Und diese Verselbständigung, dieses ‚Ich mache, was ich will‘, was die Herren in der DB AG uns vorleben, das ist in dieser Konstruktion einer GmbH nicht möglich. Deswegen sagen wir auch klar — und das ist das Versagen des Ministers, das Versagen aber auch der CDU in Koalition mit der SPD –: Wir brauchen eine Bahnreform 2:0. Wir brauchen eine vollkommen neue Struktur für dieses Unternehmen, eine Infrastruktur, die viel stärker eigenständig aus sich heraus agiert und im Eigentum des Bundes gesteuert werden muss.

Dazu muss die Infrastruktur aus dem Gesamtkonglomerat herausgelöst werden. Nicht durch Tunnelgraben oder irgendwelche Großprojekte, die dann als Leuchttürme dastehen, sondern im Kleinklein verbessern wir die Eisenbahn. Hier mal eine Weiche, dort ein Stück zweites Gleis, einen Flaschenhals ausbauen, der den Zugverkehr und die Kapazität verengt. Das sind die Projekte, die das System nach vorne bringen.

Und damit hält sich hier niemand auf. Wenn Sie die Manager betrachten, dann sind die alle getrieben vom Ehrgeiz, sich Denkmale zu setzen. Die versprechen alle Projekte, die von heute an gerechnet erst in 10 oder 15 oder 20 Jahren in Erfüllung gehen sollen. Und alle wissen, dass sie dann nicht mehr da sind und Rechenschaft ablegen müssen, wenn es in die Hose gegangen ist. Deswegen muss ein Controlling her, mit dem die kleinen Projekte so überprüft und messbar gestaltet werden, sodass sie in ein oder zwei Jahren eine tatsächliche Verbesserung für die Reisenden sehen und für den Güterverkehr, der im Moment benachteiligt ist. Das ist die Zielsetzung für das Eisenbahn System. Dafür ist ein Minister, der im Prinzip nur symbolisch Bänder durchschneidet oder Geld in ein schwarzes Loch schmeißt, nicht geeignet. Und daher sage ich auch glasklar:

Dieser Verkehrsminister hat für das System Eisenbahn versagt, weil er undifferenziert Geld reinpumpt und sich von Bahn-Management erklären lässt, was er zu tun hat.

Nochmals zum Streik, der jetzt wahrscheinlich bevorsteht, wenn nicht noch eine Kehrtwende passiert. Sie haben ja beim letzten Streik jede Menge aushalten müssen, also mediales Trommelfeuer, fast eine mediale Einheitsfront gegen sich gehabt — bis hin zu offenem Hass und persönlichen Angriffen. Ich habe da als krassen Fall in Erinnerung, dass ihre Privatadresse in Leipzig von FocusOnline veröffentlicht wurde.

Die Publikation wurde anschließend vom Deutschen Presserat gerügt, weil das einfach außerhalb jeglicher Norm ist. Hat aber nichts genützt. Die ist veröffentlicht worden.

Ja, wie fühlt es sich an, so dämonisiert zu werden? Wie kommt man damit klar, wenn ich das mal fragen darf? Und hat es vielleicht auch Nachwirkungen? Stress-Symptome und seelische Belastungen kommen ja mitunter erst Wochen später zum Durchbruch.

Also ich möchte nicht verhehlen, dass es eine nachhaltige Wirkung auf den Menschen, auf die Person ausübt und dass ich nach der Auseinandersetzung auch besondere Methoden angewendet habe, um mich wieder wohler zu fühlen und wieder in geordnete Verhältnisse zu kommen. Dazu gehörte eine Ayurveda-Kur, die mir ganz gut geholfen hat und mich auch wieder etwas auf mich selbst fokussiert hat und ein Stück weit stabilisiert hat.

Sie sehen, dass ich sechs Jahre danach immer noch gesund und munter und mit meinen 62 Jahren, zumindest sagt das mein Umfeld, durchaus agil unterwegs bin. Deswegen sage ich, dass es mir nicht geschadet hat. Das hat den Lokomotivführern nicht geschadet. Das hat den GDL-Mitgliedern nicht geschadet. Und das hat auch einen Grund. Die veröffentlichte Meinung stimmte nicht überein mit der öffentlichen Meinung. Es gab ziemlich zum Ende des Konflikts ein Politbarometer des ZDF, als wir in einen etwas längeren Streik eingetreten sind. Danach waren immer noch 64 Prozent der Bevölkerung der Meinung, dass es richtig und gerecht ist, was die GDL macht und fordert. Das wurde aber ganz schnell wieder aus dem Äther genommen. Von daher sehen Sie auch, dass es durchaus — ohne Verschwörungsmythen zu verbreiten — Verknüpfung gibt und Gleichschaltung bzw. gleiche Ausrichtung nach den Botschaften: ‚Streik ist schmuddelig‘, ‚Streik darf nicht sein‘, erst recht nicht im Eisenbahnverkehr. Das war Union Busting vom Feinsten. Das war auch Amerikanisierung unter der Überschrift „‘Wenn wir die GDL kleinkriegen, trauen sich die anderen auch nicht mehr‘. Das kann man wirklich sagen, ohne dass wir uns besonders hervorheben wollen. Wäre die GDL gefallen, wären die Lokführerstreiks nicht erfolgreich gewesen, hätte es anschließend eher weniger Gewerkschaften gegeben, die auch nur ansatzweise wieder in den Arbeitskampf gegangen wären, weil sie Angst vor fatalen Folgen gehabt hätten.

Wir haben einen langen Machthebel, wir haben einen langen Tarif-Machthebel, den wir verantwortungsbewusst wahrnehmen und auch nie einsetzen, um Kleinklein zu spielen, sondern dann, wenn es erforderlich ist.

Und wenn Sie die Frage stellen, wie es mir gelungen ist, das zu überstehen, die Druckwelle, die damals entstand und auch die persönlichen Anfeindungen.

Punkt 1: Ich habe zum Schluss in sehr engem Kontakt mit der Polizei gestanden. Die haben sich den E-Mail-Verkehr angeschaut, die haben auch meine Wohnung zeitweilig unter engere Beobachtung genommen, weil man ja nie weiß, ob nicht irgendwann eine betrunkene Truppe mal meint, sie müsste dem Gewerkschaftsführer zeigen, wo es lang geht.

Man hat gemerkt und gesehen, dass der Rechtsstaat funktioniert. Unter meinen Kolleginnen und Kollegen von der Polizei waren bestimmt auch welche, die gedacht haben ’naja, meine Frau ist gestern auch nicht zur Arbeit gekommen, weil der hier streikt.‘ Aber sie haben ihre Funktion wahrgenommen und die Schutzfunktion ausgeübt. Das hat mir gutgetan. Obwohl ich gerne darauf verzichtet hätte.

Punkt 2: Die Einzigen, denen ich Rechenschaft schuldig bin, sind meine Mitglieder. Ich lebe von deren Geldern. Ich arbeite in deren Auftrag. Und wenn Streik angeblich schmuddelig sein soll, wenn dieses Recht nicht ausgeübt werden darf in einem Land, dessen Grundgesetz nach Artikel 9.3 die Koalitionsfreiheit unabdingbar in den Vordergrund stellt, dann müssen wir uns fragen, wie weit wir in der Demokratie gekommen sind.

Und die einzige Frage lautete zum Schluss: Wo stehen unsere Mitglieder? Und die haben klar gesagt: Claus, wir passen auf, dass du dort vorne stehenbleibst. Wir stützen dich und die Solidarisierung innerhalb der Organisation war unglaublich groß und gut. Daraus schöpfen Sie Kraft. Weil Sie — wie ein Kapitän — nicht bloß Vorsitzender sein können, wenn die Sonne scheint und die See glatt ist. Sie müssen auch, wenn Sturm ist und die Wellen hochschlagen, als Vorsitzender aufrechtstehen und ihren Mitgliedern Vorbild sein. Denn wenn das Mitglied sieht, dass der Vorsitzende wackelt, was will man dann denn von ihm oder ihr erwarten, sobald der Streik beginnt?

Unsere Mitglieder sind unter Druck und unter Repressalien wissentlich und absichtlich in den Arbeitskampf gegangen, weil sie gesagt haben ’so geht es nicht weiter‘. Und wir sind jetzt wieder an dieser Stelle. Und ich sage: ‚Wenn ich es das erste Mal geschafft habe, nicht bloß erfolgreich zu sein, sondern auch diese Druckwelle auszuhalten, dann schauen wir mal, wie die nächste aussieht. Ein stückweit hat das Land auch gelernt. Da bin ich zuversichtlicher geworden. Denn die Solidarisierung der Gewerkschaften untereinander, die fand auch statt.

Aus der IG Metall und aus anderen DGB-Gewerkschaften sind Solidaritätsadressen angekommen, die uns klar und deutlich gemacht haben. Wir stehen dazu. Wir stehen zu euch und wir unterstützen euch auch. Das hat geholfen, das hat gewirkt und das hat auch meiner Mannschaft den Rücken gestärkt. Denn der Einzelne, das einzelne Mitglied ist ja anfällig, wenn die Arbeitgeberseite mit Druck und Repressalien agiert.

Ich denke, dass die der Faktor der Öffentlichkeit nicht zu unterschätzen ist. Wie hoch würden Sie den einschätzen eigentlich? Er hat ja nicht nur Wirkung auf die Streikenden oder die Streikbrecher, auch auf die Arbeitsgerichte. Wie wichtig sind Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, die Meinung der Herrschenden und vorherrschende Meinung für den Erfolg eines Streiks?

Wenn Sie das zum Maßstab für die Frage, ob Sie streiken oder nicht streiken machen, sollten Sie es lassen.

Die Frage ist, ob man gewinnt. Wer sich durchsetzt.

Die Frage, ob man gewinnt, ist nicht davon abhängig, ob die öffentliche Meinung sich gegen die Streikenden stellt, sondern von einer Reihe weiterer Komponenten. Aber meiner Meinung nach haben wir in den letzten Jahren auch alle gelernt. Die Menschen in diesem Land haben begriffen, dass die Medien teilweise die Medienmacht auch nutzen und das nicht immer zum Vorteil der Allgemeinheit. Dadurch sind sie kritischer geworden im Umgang mit den Medien.

Wenn ich in der DDR 30 Jahre alt geworden bin, also in einem anderen Rechtssystem, dann war doch klar, dass das Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, das Neue Deutschland, nicht unbedingt die Zeitung ist, die nur die Wahrheit verbreitet. Wie soll ich dann bei einem Lokomotivführer oder beim Zugbegleiter unterstellen, dass er das, was er in der Bild-Zeitung liest, für die Wahrheit hält? Von daher ist die kritische Auseinandersetzung der Einzelnen mit den Medien durchaus ein positiver Aspekt.

Das Beste, was man im Leben tun kann, ist, sich eine Meinung zu bilden, indem man versucht, zu objektivieren und mit Argumenten herauszuarbeiten, rauszukitzeln, was denn tatsächlich der Grundgehalt eines bestimmten Vorgangs ist. Das ist das Gefahrenmoment. Ich sehe eine Medienlandschaft, die sich im Prinzip ganz oberflächlich beeinflussen lässt und sich nicht mit den Ursachen und Hintergründen einer konfliktären Situation befasst.

Es geht eigentlich um die Frage, wer den schwarzen Peter in der Tasche geschoben kriegt. Es geht nicht darum, warum sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dagegen wehren, so behandelt zu werden. Und da wird als erstes natürlich die große Heulnummer rausgezogen. Jetzt nach der Corona-Krise. Es gibt viele Menschen, die arbeitslos geworden sind, die ihre Geschäfte verloren haben. Ja, das ist wahr. Und das ist auch bitter. Aber da sind nicht die Lokomotivführer und die Zugbegleiter Schuld, sondern da müssen wir auch mal die Frage beantworten: ‚Wie ist denn hier eigentlich der Umgang mit dieser gesamten Corona-Krise zu bewerten?‘

Was ich und meine Kolleginnen und Kollegen gesehen haben, war eine riesige Mangelverwaltung, die allerdings verdeckt worden ist durch hektische Aktivitäten. Und daran ist niemand Schuld. Und wenn so etwas eingetreten ist und das Eisenbahnernsystem als stabiles Versorgungs- und Verkehrssystem funktioniert hat, dann bin ich felsenfest davon überzeugt, dass die Menschen draußen auch wissen, was sie an ihren Kolleginnen und Kollegen haben, die dieses System aufrechterhalten haben. Und wir haben auch gelernt, dass das nicht die Raffkes sind, sondern dass sie teilweise eine unterirdische Bezahlung hatten und so bescheidene Arbeitszeitregeln, dass jeder, der in einem Arbeitsverhältnis steckt, auch Verständnis dafür hat, dass man sich dagegen wehrt.

Von daher ist die Frage spannend und nie vorher zu beantworten, wie sich die mediale Begleitung in diesem Streikfall auswirken wird. Ich gehe davon aus, es wird mindestens mal wieder die Stimmungsmache betrieben wie damals in den Jahren 2014 / 2015. Die Bahn zeigt ja klar, wo sie hinwill mit ihrer medialen Macht, die sie im Hintergrund abbildet unter Steuerung der Medien bzw. Beeinflussung der Medien, mit Halbwahrheiten oder mit gezielten Unwahrheiten. Von daher kann ich nicht einschätzen, ob sich die veröffentlichte Meinung wieder so negativ gestaltet wie im GDL-Streik 2014 / 2015.
Aber ich sag es nochmals: Es gibt einen Unterschied zwischen der veröffentlichten Meinung und der öffentlichen Meinung. Die nehmen Sie wahr, wenn Sie mit Fahrgästen reden, wenn Sie sich draußen der Diskussion stellen und die Menschen mit Argumenten überzeugen, warum, wieso, weshalb die Sachzusammenhänge so sind.

Ich meine, Geschichte wird von Siegern geschrieben und wer siegen will muss — im Umkehrschluss — auch eigene Geschichten schreiben. Wir beraten auf einer niederschwelligen Ebene Betriebsräte, die unter Feuer stehen. Die einzelnen aktiven Betriebsratsmitglieder stehen im Konfliktfall durchaus unter ähnlichen Spannungen. Nicht wenige werden im betrieblichen Alltag dämonisiert und sollen zum Zusammenbruch oder zur Abfindung getrieben werden, ähnlich wie Ihnen das jetzt auf großer Bühne passiert ist. Dabei geht es auch um den Kampf der Narrative. Wer setzt seine Erzählung durch? Wem glauben die Leute? Die Erzählmuster der Gegenseite lauten: ‚Ein durchgeknallter Gewerkschaftsboss nimmt Deutschland in Geiselhaft‘, oder ‚Ausgerechnet jetzt sind Corona Zeiten. Wollen die ausgerechnet jetzt streiken, wo das Leben langsam Fahrt aufnimmt?‘ ‚Egoistische Besitzstandswahrer ruinieren Familie Schmitz den wohlverdienten Urlaub!‘

Ich weiß nicht, ob man sich das wieder traut. Verschiedene Punkte sind in den Köpfen der Menschen hängengeblieben.

Punkt 1: Dass dort eine Gewerkschaft agiert hat, die recht hat.

Punkt 2: Dass der Vorsitzende eines schonmal kann. Er kann glaubhaft und authentisch rüberbringen, dass er für eine Sache steht. Und von der Sorte wünschen sich viele Menschen noch mehr. Nicht bloß in Gewerkschaften, auch in der Politik.

Wir brauchen keine Menschen, die eine Viertelstunde sprechen und nichts gesagt haben, sondern wir brauchen Menschen, die authentisch sind und die sich für eine Sache einsetzen, weil sie das aus Überzeugung tun.
Wenn man mir was nachsagen kann, dann ist es Verlässlichkeit, Konsequenz und Konstante.

An vielen Stellen werde ich auch angesprochen. Nicht erst wieder, seitdem der Tarifkonflikt nun sichtbar und hörbar in den Medien verarbeitet wird, sondern auch in den Jahren dazwischen, dass sie verstanden haben, wohin die Reise geht und dass sie sich wünschen, dass mehr Menschen aufstehen und sagen: ‚Jetzt ist Schluss mit lustig! Wir lassen uns nicht veralbern.‘

Da würde ich Ihnen vollkommen recht geben. Aber was sagen Sie der Krankenschwester oder dem Müllmann, die uns jetzt vielleicht zuhören? Was bekämpfen Sie als Gewerkschafter, das auch diese Leute als Problem kennen? Und warum sollten diese Leute sich mit dem GDL Streik identifizieren?

Wir kämpfen für besseres Einkommen- und bessere Arbeitsbedingungen innerhalb dieser Eisenbahn-Unternehmungen. Ob das Infrastruktur oder Fahrbetrieb sind, ist an dieser Stelle egal. Wir kämpfen für den Erhalt unserer Betriebsrente. Der Name ist ‚Zusatzversorgungstarifvertrag‘, wo die Kleinstrente, die am Ende 150 Euro pro Monat ausmachen soll, gekürzt werden soll um 50 Euro, also um ein Drittel, weil das Management sich verzockt hat, Milliarden an Schulden hat und nun keine Rückstellungen mehr bilden will.

Wir treten auch dafür an, dass diese Unkultur zu Lasten derjenigen beendet wird, die die Wertschöpfung im Unternehmen bringen. Dass man sich oben die Taschen vollstopft und in wohlgesetzten Worten und mit bunten Power-Point-Folien die da unten einfach nur für dumm verkauft. Unter der Überschrift: ‚Die haben zu machen, was wir anordnen.‘ Wir kämpfen für eine gerechte Verteilung dessen, was erzeugt wird, nämlich ein Produkt. Und das gilt für viele. Und natürlich ist der Zugverkehr nicht unbedingt ein Produkt, was jeder kauft. Aber viele nutzen es. Eine Krankenschwester, wenn man ihr Produkt betrachtet, hilft Menschen, sie bringt Leben wieder zurück oder sie hilft, Leben zu erhalten. Und das muss nach unserem Verständnis viel mehr wertgeschätzt werden.

Der Begriff ‚Nieten in Nadelstreifen‘ hat an vielen Stellen seine Wahrheit gefunden. Wir erleben hier eine Welt, in der die Nadelstreifen-Anzüge durchs Land laufen und die Menschen für dumm verkaufen. Die sich selbst die Taschen füllen und den kleinen Leuten nicht mal den Inflationsausgleich gönnen. Da glaube ich, spreche ich eine Sprache, die jeder Arbeitnehmer verstehen kann, der im direkten Bereich tätig ist und einer anständigen Arbeit nachgeht und am Ende des Tages auch nachweisen kann, dass er mit seiner Hände Arbeit etwas geschaffen hat. Denen spreche ich aus dem Herzen und von daher sind die Sympathien wesentlich größer, als wir in der Veröffentlichung gemeinsam wieder erleben werden.

Das ist ein wunderbares Schlusswort, Herr Weselsky. Dem kann ich nicht viel hinzufügen. Ich danke Ihnen für das Interview. Wir werden den Konflikt solidarisch begleiten. Mal sehen, wie sich der Sommer weiterentwickelt.


Elmar Wigand ist Pressesprecher der aktion ./. arbeitsunrecht e.V. und moderiert jdeden Donnerstag um 17:00 Uhr die Sendung arbeitsunrecht FM.


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