Das Transpazifische Freihandelsabkommen (TPP)

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Augenwischerei bei den Arbeitsrechten

Wir dokumentieren einen Artikel unseres Autors und Vorstandsmitglieds Dr. Werner Rügemer vom 10.12.2015, der im gewerkschaftlichen Debattenmagazin GEGENBLENDE erschienen ist:

TPP gefährdet Arbeitnehmerrechte (Bild wikicommons, GFDL, Container Terminal Altenwerder in Hamburg by Frank Grunwald)
Florierender Handel? TPP gefährdet Arbeitnehmerrechte (Bild wikicommons, by Frank Grunwald)

Die USA und 11 pazifische Staaten haben sich im Oktober 2015 auf das Transpazifische Freihandelsabkommen (TPP) geeinigt. Vor der Behandlung im Parlament versprach US-Präsident Barack Obama: Das Abkommen wird „neue Märkte für amerikanische Produkte öffnen, und zugleich wird es hohe Standards für den Schutz von Arbeitern und für die Bewahrung der Umwelt setzen“.

Hört sich erstmal gut an…

Weil das TPP-Abkommen von denselben Absichten wie das Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA bestimmt ist, können wir darauf Rückschlüsse ziehen. Im TPP-Abkommen geht es im Kapitel 19 um die Arbeitsverhältnisse. Es zeigt sich jedoch, dass hinter den schönen Worten eine gegenteilige Absicht verborgen ist. Es fängt gut an:

„Alle Unterzeichnerstaaten werden in ihren Gesetzen und Regulierungen und damit verbundenen Praktiken die folgenden Rechte übernehmen und aufrechterhalten, wie sie in der ILO-Erklärung enthalten sind:


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  • Vereinigungsfreiheit und die effektive Anerkennung des Rechts auf kollektive Tarifverträge Abschaffung aller Formen von Zwangs- und Pflichtarbeit;
  • Abschaffung von Kinderarbeit und, für die Zwecke dieses Abkommens, das Verbot der schlimmsten Formen von Kinderarbeit sowie
  • Abschaffung von Diskriminierungen in Hinsicht auf Beschäftigung und Beruf.“

So gut und eindeutig sich das anhört – es ist eine trickreiche Täuschung. Hier werden nämlich nicht die acht ILO-Kernarbeitsnormen herangezogen, sondern lediglich die „ILO-Erklärung“ aus dem Jahr 1998.

Die Tücken der ILO-Erklärung von 1998

Was bedeutet diese Erklärung? Die Staats- und Regierungschefs auf dem Weltgipfel für soziale Entwicklung diskutierten 1995 in Kopenhagen über die Auswirkungen der Globalisierung auf die Sozial- und Arbeitsrechte. Sie legten vier „Grundrechte“ fest, die sich auf die acht Kernarbeitsnormen der ILO bezogen, aber nicht deren verbindliche Ausführungsbestimmungen enthielten. Man wolle, so hieß es, angesichts der Globalisierung auf „die Vielfalt der Verhältnisse jedes Landes (zu) achten“, wo die ILO-Normen nicht ratifiziert worden sind. Man einigte sich deshalb auf einen „Mindestsozialstandard für alle“, eben diese vier „Grundrechte“. Das wurde 1996 von der Welthandelsorganisation WTO so übernommen.

1998 beschloss die ILO-Vollversammlung diese Erklärung. Sie erlaubt es den Staaten, sich auf die ILO zu berufen, auch wenn sie die Kernarbeitsnormen gar nicht ratifiziert haben und sich dementsprechend auch nicht an Ausführungsbestimmungen, die in der Erklärung fehlen, halten müssen. In der Erklärung wurden also die Kernarbeitsnormen der ILO in eine „bequeme“ unverbindliche Form gebracht.

Die eigentlichen ILO-Normen enthalten eine ganze Reihe von verbindlichen Ausführungsbestimmungen, die bezüglich der „Erklärung“ auch im TPP-Vertrag fehlen. Das wird an drei ILO-Kernarbeitsnormen deutlich:

  1. Beim Recht auf Vereinigungsfreiheit (Koalitionsfreiheit) der Beschäftigten in unabhängigen Gewerkschaften heißt es im ILO-Original: Der Staat darf dieses Recht nicht durch innerstaatliche Gesetzgebung behindern und muss für die Umsetzung sorgen. Die USA haben diese Norm nicht ratifiziert. Sie tolerieren dagegen die gewerkschaftsfeindliche Gesetzgebung der Südstaaten ebenso wie das freie Agieren der antigewerkschaftlichen Dienstleistungsbranche „Union Busting“.
  2. Beim Recht auf kollektiv verhandelte Tarifverträge heißt es in der ILO-Originalnorm, dass die Beschäftigung eines Arbeitnehmers nicht davon abhängig gemacht werden darf, ob er Gewerkschaftsmitglied ist oder nicht. Weiterhin heißt es, dass Arbeitgeber keine abhängigen („gelben“) Arbeitnehmerorganisationen unterstützen dürfen. Die USA haben diese ILO-Norm nicht ratifiziert, weil sie das Gegenteil vielfach zulassen.
  3. Bei der Abschaffung von Zwangs- und Pflichtarbeit heißt es in der ILO-Originalnorm, dass die Ergebnisse von Häftlingsarbeit nicht zum Gewinn für Einzelpersonen und private Unternehmen dienen dürfen. Die USA haben diese Norm nicht ratifiziert, weil sie ihren Gefängnis-Industriekomplex aufrechterhalten.

Die USA haben von den acht ILO-Kernarbeitsnormen nur zwei ratifiziert, die drei oben genannten nicht. Trotzdem können sich die USA und andere Staaten, die sie nicht ratifiziert haben, nun mithilfe der Erklärung von 1998 auf die Normen berufen, ohne sie einhalten zu müssen. Aber auch europäische Staaten, die die acht ILO-Kernarbeitsnormennormen ratifiziert haben, werden durch die Erklärung von den Ausführungsbestimmungen entlastet.

Im TPP fehlen weitere 177 Arbeitsrechte

Die Augenwischerei geht allerdings noch viel weiter. Die Übernahme der ILO-Erklärung von 1998 suggeriert auch, dass man sich an das Normenwerk der ILO hält. Doch das stimmt in weiterer Hinsicht nicht.

Erstens sind in der Erklärung die vier Verwaltungs-Normen nicht enthalten, die das Handeln der Arbeits-Aufsichtsbehörden regeln.

Zweitens sind in der Erklärung die 177 „technischen“ Normen nicht enthalten. Der Begriff „technisch“ klingt neutral und eher nicht so wichtig. Aber sie haben es in sich. Sie regeln wesentliche Einzelrechte, zum Beispiel: das Recht auf Kündigungsschutz (insbesondere für Schwangere); das Recht auf bezahlten Urlaub; das Recht auf Kranken-, Arbeitslosigkeits-, Arbeitsunfähigkeits- und Renten-Versicherung; das Recht auf Schutz vor Gefahren am Arbeitsplatz; das Recht auf Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheit; das Recht auf geregelte Arbeitszeiten mit Pausen; das Recht auf geregelte Leiharbeit; die Rechte für Haushaltshilfen, indigene Arbeiter und Arbeitsmigranten und die Rechte und Pflichten von privaten Arbeitsvermittlern. Die USA haben von den 177 technischen Normen nur 11 ratifiziert, und keine der soeben genannten.

Alle diese ILO-Normen werden bei TPP so zusammengefasst: „Jeder Staat soll/wird Gesetze und Regulierungen übernehmen und aufrechterhalten und für entsprechende Praktiken sorgen, die akzeptable Arbeitsbedingungen hinsichtlich Mindestlöhnen, Arbeitszeiten und beruflicher Sicherheit und Gesundheit beinhalten.“ Das fasst die 177 Einzelrechte der technischen ILO-Normen grob zusammen und bleibt damit reichlich unbestimmt und lückenhaft. Zum Beispiel wird das Verbot der Sklavenarbeit nicht genannt, obwohl diese inhumane Unternehmensstrategie in wichtigen Bereichen (Kakao-Ernte, Coltan-Förderung) verbreitet ist. Zudem steht die Formulierung unter einem weiteren Vorbehalt: Jeder Vertragsstaat kann selbst bestimmen, was „akzeptabel“ ist. Damit das ganz klar ist, heißt es ergänzend: Kein Staat darf auf einen anderen Staat einwirken, um dort die im Vertragswerk vereinbarten Arbeitsrechte umzusetzen.

Mehr Kooperation mit den Arbeitgebern

Der längste Teil des TPP-Kapitels 19 zu den Arbeitsrechten ist der „Kooperation“ gewidmet. Beschäftigte und Arbeitgeber sollen ihre gemeinsamen Interessen in neuen Verfahren und Gremien erarbeiten. Zu den 24 Aufgaben der Kooperation gehören folgende: Schaffung von Arbeitsplätzen; Förderung von produktiver und qualitativer Beschäftigung; Förderung von beschäftigungsintensivem Wachstum; Förderung der Nachhaltigkeit. Das sind im Prinzip sinnvolle und anspruchsvolle Ziele. Doch ihre Durchsetzung im gewerkschaftlichen Sinne bleibt zweifelhaft, denn nirgends ist von einer prinzipiellen Stärkung der Mitbestimmung die Rede.

Weitere Aufgaben der Kooperation sollen sein: die innovative Entwicklung der Arbeitsplätze, um das „Wohlbefinden der Arbeiter ebenso zu verstärken wie die Wettbewerbsfähigkeit“ und die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit (employability) des Humankapitals. Das klingt doch sehr nach den bekannten Arbeitgeberwünschen.

Als Aufgaben der Kooperation werden aber auch einige Arbeitsrechte genannt: die Abschaffung der Diskriminierung von Migranten, Alten, Behinderten, Frauen, Niedriglöhnern, Gelegenheits- und Leiharbeitern. Wie das aussehen soll, nachdem man sich von den Ausführungsbestimmungen der ILO-Normen verabschiedet hat, bleibt unklar.

„Verbesserte Arbeitsbeziehungen“ erhofft man sich im Kooperationskapitel des TPP-Abkommens durch „alternative Streitschlichtungen“. Damit ist die von der Arbeitgeberseite geförderte Praxis gemeint, dass Beschäftigte bei Kündigungen oder anderen Konflikten nicht vor Gericht gehen, sondern sich einem vom Arbeitgeber beauftragten Moderator anvertrauen.

Außerdem sollen alle Staaten „Arbeitsräte“ (labor councils) gründen, die aus Regierungs- und Behördenvertretern bestehen. Sie werden von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite benannt. Beide Seiten sollen in diesen Räten „Kontaktstellen“ einrichten, die eine geregelte Kommunikation gewährleisten. Sollte es einmal nicht zur Einigung kommen, werden auch hier außergerichtliche Streitschlichtungsverfahren eingesetzt. Die private Schiedsgerichtsbarkeit erfreut sich einer großen Beliebtheit in Freihandelsabkommen.

Die Instrumente der Kooperation zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern sollen gemeinsame Seminare, Dialoge, digitale Plattformen, best practice-Listen und gemeinsame Studienreisen sein. Hier soll also eine neue Bürokratie eingerichtet werden, die bisherige Formen der Konfliktaustragung, auch die in staatlichen (Arbeits)Gerichten, ersetzen soll. Im gesamten TPP-Text ist übrigens nirgendwo von Gewerkschaften die Rede, sondern nur von Beschäftigten bzw. Vertretern der Beschäftigten.

Das Prinzip sozialer Gerechtigkeit auf dem Rückzug

Die transnationalen Konzerne (z.B. bezüglich der Skandale in Textilfabriken) und viele westliche Regierungen sind gegenwärtig einer wachsenden Kritik im Bereich der Arbeitsverhältnisse ausgesetzt. Ob sie dem mit ihrer trickreich entschärften ILO-Erklärung von 1998 entgegenwirken können, bleibt dahingestellt

In der Präambel der Gründungsurkunde der ILO von 1919 heißt es: „Der Weltfriede kann auf Dauer nur auf sozialer Gerechtigkeit aufgebaut werden.“

US-Präsident Obama hat mit einer ähnlichen Botschaft sein Amt angetreten, auch im Hinblick auf die im eigenen Land geduldeten Arbeitsverhältnisse. Beim TPP-Abkommen ist er mit dieser Absicht gänzlich gescheitert. Das TPP-Abkommen ist nicht nur eine Blaupause für TTIP, sondern bestärkt auch die Kritik an dieser Form von Freihandelsabkommen.


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