Union Busting-News 10/23: Whistleblowergesetz, Shopify, Prodiac, Millionen-Boni bei Deutsche Bahn

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Union Busting-News mit Jessica Reisner. Arbeitsunrecht und Betriebsratsbehinderung in Deutschland.

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Whistleblowergesetz: Weniger Schutz für Hinweisgeber als erhofft

Deutschland: Der Bundestag verabschiedete am 11.05.2023 eine abgeschwächte Variante des Whistleblower-Gesetzes. Der Bundesrat stimmte dem Gesetz bereits zu, es wird voraussichtlich noch im Juni in Kraft treten.

Das Whistleblower-Gesetz sollte einen besseren Schutz für Hinweisgeber *innen vor Schikanen, Benachteiligung und Sanktionen garantieren. Dagegen arbeitete vor allem die Union. Sie sah besonders kleine und mittelständische Unternehmen durch den ursprünglichen Gesetzesentwurf zu sehr belastet.1 Entgegen der Fassung, die der Bundestag im Dezember 2022 beschlossen hatte gilt nun:


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  1. die noch einzurichtenden Meldestellen sind nicht verpflichtet anonyme Meldungen zu ermöglichen
  2. die Bußgeldobergrenze für Verstöße wurde von 100.000,- auf 50.000,- Euro gesenkt

Neu ist, dass interne Meldestellen keinen Vorrang mehr vor staatlichen Meldestellen haben.2 Positiv ist die Beweislastumkehr im Fall von Benachteiligungen. Künftig muss der Arbeitgeber beweisen, dass eine Repressalie nicht mit dem Whistleblowing im Zusammenhang steht. Bislang war es umgekehrt. Der Betroffene sollte belegen, dass sein Whistleblowing der Grund für spätere Schikanen war.

Einen Entschädigungsanspruch bei immateriellen Schäden (z.B. infolge von Mobbing) oder einen Unterstützungsfonds zur Finanzierung kompensatorischer Leistungen und rechtlicher und psychologischer Beratung für Whistleblower beinhaltet das Gesetz nicht

Martin Porwoll, Vorstandsmitglied des Whistleblower-Netzwerks kommentierte, dass der fehlende Schmerzensgeldanspruch für immaterielle Schäden zeigt, dass der Gesetzgeber nicht verstanden hat, welchen schwerwiegenden Belastungen Whistleblower ausgesetzt sind.

Deutschland war mit der Umsetzung der EU-Richtlinie zu Whistleblowern erheblich in Verzug. Die EU-Richtlinie hätte bereits Ende 2021 in deutsches Recht umgesetzt werden müssen. 3

Die EU hat deshalb Klage beim Europäischen Gerichtshof eingereicht und verlangt für jeden Tag seit Ablauf der in der EU-Whistleblower-Richtlinie festgelegten Umsetzungsfrist 61.600 Euro, mindestens jedoch 17.248.000,- Euro. Über diese Klage ist noch nicht entschieden.

Shopify:Betriebsratsgründer gefeuert, Belegschaft halbiert

Berlin: Am 11. Mai 2023 wählten die Angestellten der Shopify Commerce Germany GmbH zwecks Betriebsratsgründung einen Wahlvorstand. Das berichtet die Webseite Golem.

Die Betriebsratsgründung steht unter keinem guten Stern: Die Einladung zur Versammlung hatten die Initiatoren der Betriebsratsgründung laut Gründerszene am 27. April 2023 verschickt.4 Schon wenige Tage später informierte Shopify-CEO Tobi Lütke dann über einen groß angelegten Stellenabbau von 20% weltweit.

In Berlin kündigte das Management laut verdi allerdings deutlich mehr als 20% der Belegschaft. 240 der rund 420 Berliner Shopify-Beschäftigten erhielten betriebsbedingte Kündigungen. Darunter auch fünf der sechs Beschäftigten, die zur Wahlversammlung für die Betriebsratswahl aufgerufen hatten.5

Wie es mit der Gründung des Betriebsrats angesichts der Kündigungen der Betriebsratsgründer und der Entlassungswelle weitergeht, ist offen. Zunächst einmal wird es eine Reihe von Kündigungsschutzklagen geben. Denn Betriebsratsgründer*innen genießen spätestens nach dem Aushang der Einladung zur Wahlversammlung besonderen Kündigungsschutz. 6

Die Shopify-Gruppe übernimmt Vertrieb-, Marketing- und Kundensupportdienstleistungen für Unternehmen. Weltweit arbeiteten vor der Kündigungswelle rund 10.000 Menschen für die Firma. Das Mandat für Shopify hat die Kanzlei Simmons & Simmons.

Prodiac: LAG erkennt Wahl an – Was wird es nutzen?

Bielefeld: Das Landesarbeitsgericht Hamm bestätigte die Betriebsratswahl beim Sicherheitsdienst Prodiac im Frühjahr 2022. Seit der Wahl 2020 waren Schikanen, Mobbing, sogar die Ignorierung und Leugnung der Existenz des Betriebsrats an der Tagesordnung, berichtet die zuständige Gewerkschaft verdi.

Die Behauptung des Unternehmens, die Wahl sei manipuliert gewesen, ist damit vom Tisch. 7 Die Beschäftigten haben unterdessen allerdings auch schon wieder neu gewählt. Doch auch diese Wahl erkennt die Prodiac Geschäftsführung unter Rasmus Finn Wackerhagen und Tjark Wackerhagen nicht an.

Das sogenannte Sicherheitsunternehmen Prodiac gehört seit 7 Jahren zum Sicherheitsdienstleister KWS. KWS steht für Kieler Wach- und Sicherheitsgesellschaft.

Die Gewerkschaft verdi beklagt, dass das Unternehmen in der Vergangenheit Gerichtsentscheidungen immer wieder ignorierte. Insofern bleibt für die Betroffenen auch die Frage spannend, ob die mehrere tausend Euro nicht gezahlter Lohn für Betriebsratsarbeit nun endlich nachgezahlt werden.8 Laut Neue Westfälische ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen einer möglichen Behinderung der Betriebsratsarbeit.9 40 Gerichtsbeschlüsse blieben folgenlos, schreibt die Zeitung.10

Hertha BSC: Betriebsratsgründung der Belegschaft

Berlin: Die Angestellten des Fußballvereins Hertha BSC planen einen Betriebsrat zu gründen. Hintergrund ist Herthas Finanz-Not und die Angst vor einer Kündigungswelle. Dies berichtet die Berliner Zeitung.

In der Vergangenheit haben bereits die Mitarbeiter*innen der Fußballclubs BVB, VfB Stuttgart, St. Pauli, Schalke und HSV Betriebsräte gegründet. Trotzdem sind Betriebsräte in den ersten beiden Ligen die Ausnahme. 11 12

Unser dringender Rat lautet: Gründet Betriebsräte. Und zwar am besten nicht erst als Panikreaktion, wenn eine Kündigungswelle ins Haus steht. Gründet Betriebsräte am besten in aller Ruhe und mit guter Vorbereitung. Wenn Ihr mehr dazu wissen wollt, meldet Euch gerne.

DB: Boni für Versagen

Deutschland: Die Deutsche Bahn (DB) hat internen Dokumenten zufolge das Jahr 2022 zum Erfolgsjahr erklärt. Rund 30.000 DB-Beschäftigte erhielten trotz schlechter Leistung bei Pünktlichkeit und Kundenzufriedenheit einen Bonus. Das berichtet die Webseite der Tagesschau. 13

Nach Informationen von NDR und „Süddeutscher Zeitung“ beläuft sich die Gesamtsumme der Boni mindestens auf einen dreistelligen Millionenbetrag. Zu den Empfängern gehören rund 3800 Führungskräfte sowie weitere Teile der Belegschaft. Erfolgskriterien waren Frauenquote, das Erreichen finanzieller Ziele und Mitarbeiterzufriedenheit. Dass 2022 im Fernverkehr lediglich 65,2 Prozent der Halte pünktlich waren, interessiert bei der Erfolgsprämie genauso wenig wie Kundenzufriedenheit.

Tricksen mit Erfolgskriterien

Bei der Berechnung der Boni war die Bahn durchaus kreativ. Bei der Kennzahl „Frauen in Führungsposition“ übererfüllte die Deutsche Bahn beispielsweise ihre Zielvorgabe. Dies ging mit immerhin 200 Prozent in die Berechnung der Bonuszahlung ein. Allerdings misst diese Zahl allein den Anteil von Frauen in Aufsichtsrat, Vorstand, Geschäftsführung und den obersten beiden Führungsebenen.

Scharfe Kritik am Bonus-System kommt vom Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GdL), Claus Weselsky. Er bezeichnet die Boni als Unverschämtheit, da sie bei ohnehin hoher Grundvergütung eine Belohnung für Nichterfolg darstellten. Diese Selbstbedienungsmentalität müsse  beendet werden, forderte er.

Ausgenommen von den Sonderzahlungen ist der Konzernvorstand um Bahnchef Richard Lutz. Die Auszahlung der Boni für den Bahn-Vorstand für 2022 setzte der Aufsichtsrat aus. Laut Spiegel geht es dabei um circa neun Millionen Euro. Vorstandschef Richard Lutz etwa erhält neben seiner Festvergütung von fast einer Million Euro noch einmal knapp 1,3 Millionen Euro an leistungsbezogener Vergütung.14

Die Auszahlung der Boni für die acht DB-Vorstände wird derzeit vom Bundestag geprüft. Hintergrund ist die Frage, ob ein Unternehmen zeitgleich staatliche Zuschüsse wie die Strompreisbremse in Anspruch nehmen und Boni an Manager auszahlen darf. Die Deutsche Bahn ist ein staatliches Unternehmen, das derzeit mit 28,8 Milliarden Euro hoch verschuldet ist.

Quellen


1 Tagesschau: Bundestag beschließt Schutz für Whistleblower, 11.05.2023, https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/whistleblower-gesetz-102.html

2 Whistleblowernetzwerk: Allenfalls ein Meilenstein für den Whistleblower-Schutz, 12.05.2023, https://www.whistleblower-net.de/online-magazin/2023/05/12/allensfalls-ein-meilenstein-fuer-den-whistleblower-schutz/

3 Markus Jung, Henrick KafsackDeutschland muss 61.600 Euro am Tag als Strafe an Brüssel zahlen, FAZ, 27.04.2023, https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/whistleblower-deutschland-muss-61-600-euro-am-tag-als-strafe-zahlen-18850657.html

4 Lisa Ksienrzyk Kurz vor Massenentlassung: Deutsches Shopify-Team gründete Betriebsrat, Gründerszene, 09.05.2023, https://www.businessinsider.de/gruenderszene/perspektive/shopify-entlassungen-deutschland-betriebsrat/

5 Verdi: Geschäftsführung kündigt 240 Beschäftigte: Shopify-Beschäftigte wehren sich gegen rabiate Halbierung des Personals in Deutschland, 12.05.2023, https://bb.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++9e1c4e68-f0a4-11ed-ab9f-001a4a160100

6 Daniel Ziegener: „Diese Kündigungen sind unwirksam. Punkt“, 11.05.2023, Golem https://www.golem.de/news/shopify-entlassungen-in-deutschland-diese-kuendigungen-sind-unwirksam-punkt-2305-173987.html

7 NDR: Union Busting: Arbeitgeber erkennt Betriebsrat nicht an, 09.05.2023, abgerufen 15.05.2023 https://www.ndr.de/nachrichten/info/Union-Busting-Arbeitgeber-erkennt-Betriebsrat-nicht-an,ndrinfo45554.html

8  Wasi NRW: Nächste Klatsche für Wackerhagen und seine Komplizen, 28.04.2023 https://wasi-nrw.de/naechste-klatsche-fuer-wackerhagen-und-seine-komplizen/

9 Jens Reichenbach: Krieg bei Bielefelder Sicherheitsfirma: Staatsanwaltschaft ermittelt im Fall Prodiac, Neue Westfälische, 17.05.2023, https://www.nw.de/lokal/bielefeld/mitte/23564061_Krieg-bei-Bielefelder-Sicherheitsfirma-Staatsanwaltschaft-ermittelt-im-Fall-Prodiac.html

10 Jens Reichenbach: Interner Krieg bei Bielefelder Sicherheitsfirma, Neue Westfälische, 15.05.2023, https://www.nw.de/lokal/bielefeld/mitte/23561931_Interner-Krieg-bei-Bielefelder-Sicherheitsfirma.html

12 Robert Matiebel und Paul Gorgas: Job-Angst bei Hertha – Mitarbeiter wollen Betriebsrat gründen, BZ, 14.05.2023, https://www.bz-berlin.de/berlin-sport/hertha-bsc/job-angst-bei-hertha-mitarbeiter-planen-gruendung-eines-betriebsrats

13 Tagesschau: Boni für Tausende DB-Beschäftigte, 10.05.2023, https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/deutsche-bahn-boni-100.html

14 Gerald Traufetter: Aufsichtsrat der Bahn verweigert Auszahlung der Vorstandsboni, Spiegel, 27.04.2023, https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/deutsche-bahn-aufsichtsrat-verweigert-auszahlung-der-vorstands-boni-a-8da10ce3-4bd4-4b0d-a4c6-25cf4478bfdc


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