Workers‘ buy-out statt Betriebsschließung

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Wenn der Boss den Laden dicht macht

 

Es muss nicht gleich Enteignung sein. Wie wäre es mit einem Vorkaufsrecht der Belegschaft?

Alternative zu willkürlicher Schließung und Arbeitslosigkeit. In Italien emöglicht das Marcora-Gesetz die Betriebsübernahme durch Genossenschaften.

Begleitet von Protesten gegen einen aus dem Ruder gelaufenen Massentourismus eröffnete im Juli 2019 in Mestre bei Venedig ein weiteres Hostel der österreichischen wombat’s-Kette.1

Zeitgleich mussten sich die Beschäftigten der Berliner Niederlassung darauf einstellen, demnächst ihre Jobs zu verlieren. Die Geschäftsleitung hatte entschieden, den Betrieb zum 31.8.2019 stillzulegen (Bericht vom Wombat’s Shut-down, 3.9.2019). Nicht etwa weil dieser keine Gewinne abwarf, sondern weil die Beschäftigten ihre Rechte eingefordert und ausgeübt haben.

Sie gründeten einen Betriebsrat und erstreikten in einer langwierigen Auseinandersetzung die Tarifbindung ihres Arbeitsplatzes. Auf diese „Art und Weise wolle man nicht weiter arbeiten“, hieß es dann 2019 in einem betriebsinternen Aushang des Managements, der das Ende des Beliner wombat’s Hostels einläutete.

Branchenübergreifend wurde dieser Akt ökonomischen Terrors als Angriff auf die Gewerkschaftsbewegung gewertet. Doch trotz gut besuchter Proteste: Abwenden konnte die Belegschaft die Schließungspläne nicht.


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Eigentum verpflichtet…? In Deutschland momentan zu gar nichts

Giovanni Marcora (1922-1983) war ein christdemokratischer italienischer Politiker der im bewaffneten Widerstand gegen den Faschismus gekämpft hatte (Brigate Fiamme Verdi, Brigaden der grünen Flammen, katholische Partisanen). Das nach ihm benannte Marcora-Gesetz (Legge Marcora) trat 1985 in Kraft. Es regelt die Übernahme von Betrieben durch die Belegschaft mittels eines Vorkaufsrechts und vergünstigter Kredite.

Die Entscheidung darüber, ob ein Betrieb stillgelegt wird, fällt nach Ansicht der Bundesregierung in Deutschland allein den Eigentümer*innen zu. Dies wurde der Linkspartei nach einer schriftlichen Anfrage jüngst erneut bestätigt. Dass die Geschäftsleitung des wombat’s Hostels gegen die Koalitionsfreiheit und das Sozialstaatsgebot verstoße, also gegen die Artikel 9 (3)2 und 20 (1)3 des Grundgesetzes, will die Regierung nicht erkennen.4

Sollten die Kolleg*innen in Italien einmal vor den selben Problemen stehen, wie die Berliner*innen heute, so werden sie sich jedenfalls nicht allein auf Proteste verlassen müssen. Seit 1985 regelt in Italien das Legge Marcora bei Unternehmensabwicklungen ein Vorkaufsrecht für seine Beschäftigten. Ein dichtes Netz verschiedener Institutionen begleitet die Arbeiter*innen dabei, ihren Betrieb in eine Genossenschaft umzuwandeln; unterstützt sie finanziell und durch entsprechendes Know-How.

Das Modell ist eine Erfolgsgeschichte: Die jüngsten Zahlen sprechen von 257 Betriebe, die durch das Gesetz demokratisiert und in Arbeiter*innenhand überführt wurden. Gerade einmal fünf Prozent der auf diese Weise übernommenen Betriebe sind Bankrott gegangen.5

Könnte ein ähnliches Modell auch in Deutschland umgesetzt werden?

Die Belegschaft des wombat’s Hostel Berlin geht aktuell davon aus, dass ihr Betrieb spätestens nach der gesetzlichen Karenzzeit wiedereröffnet wird – ohne betriebliche Mitbestimmung und ohne Tarifvertrag. Beispiele für diese extremste Form des Union Busting gibt es mittlerweile zuhauf. Ein Vorkaufsrecht könnte dieser Praxis einen wirksamen Riegel vorschieben und die Gewerkschaftsbewegung stärken.

Bewegung in den USA und Großbritannien

In einer Untersuchung des democracy collaborative hat sich jüngst herausgestellt, dass in den USA 69% der Befragten ein solches Modell befürworten würden – und zwar über das gesamte parteipolitische Spektrum hinweg.6 Für Großbritannien entwickelt die Labour Party unter dem Schlagwort des ‚right to own‘ einen an das italienische Gesetz angelehnten Entwurf.

Die aktion ./. arbeitsunrecht denkt, es ist an der Zeit, die Debatte auch hierzulande zu beginnen. Auch in Deutschland brauchen wir wirksame Mittel, um der Androhung von willkürlichen Betriebschließungen zu begegnen. Dazu gehört neben der Strafverfolgung krimineller Unternehmer*innen auch ein Vorkaufsrecht der Belegschaften sowie notfalls die Enteignung von Eigentümern, die sich sozialschädlich verhalten.


Auf der 2. juristisch-politischen Fachkonferenz der aktion ./. arbeitsunrecht am 26. und 27. Oktober in Köln gibt es zwei Veranstaltungen zum Thema Workers buy-out. (siehe unten)


Fußnoten + Anmerkungen

1 Hostelkette öffnet in Mestre, doch Proteste aus Berlin hallen nach, Südtirol News, 22.7.2019, https://www.suedtirolnews.it/italien/hostelkette-oeffnet-in-mestre-doch-proteste-aus-berlin-hallen-nach

2 Art. 9 (3) Grundgesetz: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.“ https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_9.html

3 Art. 20 (1) Grundgesetz: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ (4) „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_20.html

4 Schriftliche Frage von MdB Jutta Krellmann mit der Arbeitsnummer 120 / Juni 2019.

5 Vieta, M. (2015) “The Italian Road to Creating Worker Cooperatives from Worker Buyouts: Italy’s Worker ‐Recuperated Enterprises and the Legge Marcora Framework”, Euricse Working Papers, 78|15.

6 Gowan, Peter (2019): Right to own. A policy framework to catalyze worker ownership transitions, in: https://thenextsystem.org/rto, aufgerufen am 20. Juli 2019

2. juristisch-politische Fachkonferenz - Stell Dich dem Kampf Facebook-Banner

PROGRAMM | REFERENT*INNEN | ONLINE ANMELDEN

Samstag, 26. Oktober 2019, Bürgerzentrum Alte Feuerwache, Melchiorstraße 3, 50670 Köln

15:00 – 17:00 Uhr – Eigentum verpflichtet. Oder auch nicht…

Willkürliche Betriebsschließung als letztes Mittel des Union Busting. Enteignung als Gegenwehr? Verstaatlichung + Selbstverwaltung von Betrieben in Deutschland. Workers buy-out – Vorkaufsrecht durch die Belegschaft. Grundzüge und Stand einer notwendigen Debatte. Referent: Raphael Kamps (Betriebsratsvorsitzender Wombat’s Hostel Berlin)


19:30 – 21:00 Ausgerechnet Italien!?

Selbstverwaltung und Arbeiterkontrolle in italienischen Kooperativen | ÖFFENTLICHE VERANSTALTUNG

Die RiMaflow Kooperative arbeitet seit 2013 in Arbeiterselbstverwaltung, nachdem die Eigentümer die Fabrik nach Polen verlagern wollten. Das Marcora-Gesetz von 1985 ermöglicht es der Belegschaft, ihren Betrieb mit Hilfe eines Vorkaufsrechts und staatlicher Beihilfen zu übernehmen. Auch wenn sich die Beschäftigten von RiMaflow für ein anderes Modell entschieden, existieren in Italien doch über 300 Betriebe, die nach dem Marcora-Gesetz in Belegschaftskontrolle überführt wurden.

Wie passt dieses – von Deutschland aus betrachtet – geradezu utopisch wirkende Modell in die desaströse politisch-ökonomische Landschaft Italiens?

Referenten: Gigi Malabarba (Arbeiter, RiMaflow) | Giuliana Giorgi (attac AG solidarische Ökonimie)


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