Amazon: Public Relations als Waffe gegen Streik

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Amazon PR-Abteilung antwortet auf Protestmails der aktion./.arbeitsunrecht | Wir stellen richtig

LKW des Frisch-Dienstes Amazon fresh in den Straßen von Seattle. Quelle: wikicommons
LKW des Lebensmittel-Lieferdienstes amazon fresh in den Straßen von Seattle. Quelle: wikicommons

Seit dem 17. Dezember 2015 organisieren wir Protest-Mails an Amazon und den Boss Jeff Bezos. Wir wollen damit die Streikenden unterstützen und Bürgerproteste gegen kriminell anmutende Geschäftsmodelle und aggressive Unternehmermethoden fördern.

Mittlerweile beantwortet die Amazon-PR-Chefin Anette Nachbar unsere Protest-Emails mit einem Standard-Brief, der die Beschäftigung ohne Tarifvertrag als Normalität darstellen soll. Das durchtriebene Schreiben ist hoch interessant für alle, die sich mit Public Relations, Meinungsmache und Krisen-Kommunikation beschäftigen.

Hintergrund: Seit 2013 fordern Amazon-Arbeiter_innen einen Tarifvertrag nach den Bedingungen des Einzelhandels. Immer wieder wird in verschiedenen Amazon-Versandzentren in Deutschland gestreikt.

Als Kronzeugen führt die Amazon-PR zweifelhafte Einrichtungen wie die Bertelsmann-Stiftung und das Ifo-Institut an, aber auch einen Gottesmann: den Augsburger Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger.


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Wir dokumentieren die E-Mail von Frau Nachbar und kommentieren ihre Halbwahrheiten und Unverschämtheiten:

Lieber Unterzeichner,

vielen Dank für Ihre E-Mail an uns, die wir nicht unkommentiert stehen lassen wollen. Das Management von Amazon hat mich gebeten, Ihnen zu antworten, was ich hiermit gern tue.

Sie fordern von uns den Abschuss eines Tarifvertrages für den Einzelhandel – lassen Sie uns diese Forderung relativieren: Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung und des ifo-Instituts zufolge sind nur 35 Prozent der Unternehmen in Deutschland tarifgebunden. 

  • Die Zahl ist irreführend. Wichtig ist nicht der Anteil der Betriebe, die Tariflohn zahlen, sondern der Anteil der Beschäftigten. Rund 60 Prozent der abhängig Beschäftigten in Deutschland haben (noch) einen Tarifvertrag.
    In der Privatwirtschaft sieht die Lage allerdings wesentlich schlechter aus als in öffentlichen, kommunalen oder staatlichen Einrichtungen. In der „freien Wirtschaft“ sind 2016 schätzungsweise weniger als 40% der Beschäftigten durch Tarifverträge geschützt.
  • Perfide ist: Obwohl Bertelsmann und das ifo-Institut als neoliberale Hardliner gelten, problematisieren sie in ihrer Studie die wachsende „Kluft zwischen armen und reichen Beschäftigen“. In den letzten 20 Jahren sei die Schere der Lohnungleichheit in Deutschland sogar stärker auseinander gegangen als in den USA und Großbritannien. Schuld sei vor allem die Tarifflucht der Unternehmen (Die Welt, 18. 3. 2015).

Es ist kaum davon auszugehen, dass die anderen zwei Drittel schlechte Arbeitgeber sind.

  • Doch, Frau Nachbar genau davon gehen wir aus: Heuern und feuern, willkürliche Lohnunterschiede und Bonuszahlungen, Kettenbefristungen, ungeregelte Überstunden. All das sind häufige Auswirkungen fehlender Tarifverträge und mangelnder gewerkschaftlicher Organisierung. Das lässt sich insbesondere für Amazon in den USA nachweisen, wo das Management die Arbeitsplätze unter massivem Einsatz von Union Bustern gewerkschaftsfrei gehalten hat.

Im Gegenteil: Wir bei Amazon zeigen Tag für Tag, dass man auch ohne Tarifvertrag ein fairer und verantwortungsvoller Arbeitgeber sein kann.

Es gibt gute Gründe, warum stets nur eine kleine Minderheit streikt, während mehr als 1000 Mitarbeiter eine Pro-Amazon-Kampagne starten, um ihre Firma gegen falsche Anschuldigungen zu verteidigen.

  • Zur Union Busting-Strategie von Amazon gehört es, so genannte Kunstrasen-Initiativen der Beschäftigten zu gründen (oder deren Gründung durch das Management wohlwollend zu begleiten). Sie sollen gegen aktive Gewerkschafter, selbstbewusste Betriebsratsmitglieder und Streikende in Stellung gebracht werden. Diese Gruppierungen nennen sich etwa „Pro-Amazon“ und machen Anti-Gewerkschafts-Aktionen, mit denen sich die Amazon-PR dann brüsten kann („Warum Amazon-Pakete trotz Streik pünktlich sind“).
    Solche künstlich aufgepäppelten Gruppierungen sind typisch für US-amerikanische Anti-Gewerkschafts-Strategien.
    Kunstrasen-Initiativen (englisch: Astro-Turf-Movements, im Gegensatz zu organisch gewachsenen Graswurzelbewegungen) bestehen in der Regel aus Schleimern, Strebern, Bütteln und Rechts-Populisten, wie sie in jeder Belegschaft zu finden sind. Daneben ziehen sie auch Personen an, die nicht in der Lage sind, den Braten zu riechen (etwa durch mangelnde Sprachkenntnisse), oder von Vorgesetzten unter Druck gesetzt wurden.

Hier nur einige der Gründe:

Wir bezahlen am oberen Ende dessen, was für vergleichbare Tätigkeiten üblich ist. Mitarbeiter in unserer Logistik starten mit einem Basis-Stundenlohn von mehr als zehn Euro aufwärts.

  • Amazon spricht mit gespaltener Zunge. Amazon behauptet in Deutschland, ein Logistik-Unternehmen zu sein und will um jeden Preis Tarife für den Einzel- und Großhandel vermeiden. In den USA tritt Amazon aber erstaunlicher Weise als Einzel- und Großhändler auf und lehnt sein Gehaltsgefüge genau an die Tarife dieser Branche an.
    Hintergrund: In den USA gibt es mit der Transportgewerkschaft Teamsters eine kampfstarke Organisation, die für den Transport gute Tarife durchsetzen kann. So funktioniert wohl Globalisierung und transatlantische Partnerschaft: Man wählt immer die jeweils billigere Variante.

Hinzu kommen: Bonus, Weihnachtsgeld, Mitarbeiteraktien, Gratisversicherungen, ein Pensionsfonds und Mitarbeiterrabatte. Inklusive dieser Extras verdienen Mitarbeiter nach zwei Jahren durchschnittlich mehr als 2.300 Euro brutto pro Monat.

  • Die genauen Zahlen sind unklar. Hier besteht jede Möglichkeit der Manipulation. Offenbar werden Leistungen wie Pensionsfonds auf den Lohn umgerechnet. Sie wandern aber nicht in die Tasche der Beschäftigten.
  • Das Problem bei Sonderzahlungen, Mitarbeiterrabatten etc. ist: Sie unterliegen der Willkür des Managements. Häufig werden sie nach Gutdünken ausbezahlt.
    Häufig gehen Leute in nicht tarifgebundenen Unternehmen krank zur Arbeit, um ihre Bonuszahlungen am Jahresende nicht zu gefährden.
    Wir sind für Tarifverträge, damit nicht nur die besonders geschmeidigen Lieblinge der Chefs mit Vorteilen belohnt werden. Alle Beschäftigten haben das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Auch, wenn sie kritische Fragen oder Forderungen stellen.

Gerade Elemente wie Firmenaktien sind in traditionellen Tarifverträgen unbekannt.

  • Wir wollen echtes Geld für echte Arbeit. Keine Wettbeteiligungen im Börsen-Casino, sprich: Aktien.

Auch Fachleute, wie z.B. der Augsburger Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger, selbst promovierter Volkswirt, hat sich bei seinem Besuch unseres Logistikzentrums in Graben bei Augburg positiv über dieses Modell der Mitarbeiterbeteiligung am Unternehmenserfolg geäußert:
http://www.amazon-logistikblog.de/2015/05/18/weihbischof-dr-dr-anton-losinger-besucht-amazon-graben/

  • Der Gottesmann war laut Presse begeistert, dass Amazon 21 Publikationen aus seiner Feder feil bietet. Auch Mitarbeiter-Aktien versetzen ihn in Verzückung – obwohl die Bibel sich darüber ausschweigt.
    Immerhin gab es bei dem Besuch der katholischen Delegation am Standort Garben auch kritische Stimmen: „Nicht nur Organistin Elisabeth Lidl fiel dabei das sehr flotte Arbeitstempo auf. Man ermittle die Leistungsdaten jedes Mitarbeiters und vergleiche sie mit dem Durchschnitt, teilte Ernst Schäffler [Standortleiter in Garben, Anm. d. Red.] mit. Das gefalle nicht jedem, berichtete Betriebsrätin Sylwia Lech.“ (Augsburger Allgemeine, 16.5.2015).
    In der glatt gebügelten Amazon-PR tauchen kritische Nachfragen selbstverständlich nicht auf.

Wir haben an allen deutschen Standorten Betriebsräte, mit denen wir eng kooperieren.

  • Anders als Union Busting-Vorreiter wie McDonalds oder UPS ist Amazon offenbar nicht gegen Betriebsräte – solange sie geschmeidig dem Managemt folgen. Amazon hat – ähnlich wie IKEA – selbst Betriebsräte geschaffen, bevor diese sich durch gewerkschaftliche Unterstützung und Basis-Organisierung im Betrieb gründeten (Gelber Betriebsrat in Pforzheim?, arbeitsunrecht.de 19.3.2013).
    Amazon setzt ganz offensichtlich auf die Einbindung von Betriebsräten und die Schaffung von gelben, management-hörigen Mehrheiten in den Gremien.

Wir haben viele Kanäle, über die sich Mitarbeiter äußern können und Antworten erhalten. Beispiele sind unsere Politik der offenen Tür, die „Voice of Associate“-Tafeln oder sogenannte „All Hands“-Treffen, bei denen alle Kolleginnen und Kollegen zusammenkommen. Mitarbeiter können also permanent Rückmeldung geben über innovative und kreative Wege, die alle einbinden und einen offenen Dialog fördern. Unsere Kolleginnen und Kollegen schätzen diese Möglichkeiten und nutzen sie regelmäßig.

  • Union Busting in Reinform. Frau Nachbar beschreibt nichts anderes als die neoliberale Form der professionellen Mitarbeiter-Betreuung durch Human-Resources-Manager, professionelle Industrie-Soziologen und Psychologen.Anstelle von arbeitgeber-unabhängiger Interessenvertretung und demokratischen Strukturen installiert das Management eine Stabsstelle, die Unmut erkennen und entschärfen soll. Allerdings: Zugeständnisse bei harten Fakten wie Löhnen und Arbeitszeiten werden nicht gemacht. Es geht um eine Verbesserung der (gefühlten) Stimmung, nicht der harten Realität.
    Wer dennoch auf arbeitgeber-unabhängige Organisierung pocht, gilt in derart durchgeformten Konzernen bald als „Querulant“, „schwierige Persönlichkeit“, bei gewerkschaftlichem Engagement als „fremdgesteuert“ oder gar „Klassenkämpfer“.
    Es folgt meist die unmissverständliche Aufforderung, sich einen anderen Arbeitsplatz zu suchen. Gerne wird mit fingierten Abmahnungen und anderen Methoden nachgeholfen. Genau das ist die Arbeitswelt, die wir bekämpfen.

Mit innovativen Programmen, wie beispielswiese „Career Choice“ investieren wir stark in die Entwicklung unserer Mitarbeiter. Wir unterstützen dabei Kolleginnen und Kollegen, die zum Beispiel eine Berufsausbildung oder einen Abschluss nachholen wollen, indem wir 95 Prozent der Kosten tragen, bis zu vier Jahre lang.

  • Auch hier wäre die genaue Ausgestaltung interessant. Oft beinhalten diese unternehmensfinanzierten (dualen) Ausbildungen eine moderne Form der Leibeigenschaft.
    Wird die Ausbildung abgebrochen, oder sucht man sich nach der Ausbildung einen anderen Job, können evtl. hohe Schulden oder Konventionalstrafen drohen. Also Vorsicht!

Allein im Jahr 2015 haben wir in Deutschland über 1000 unbefristete Stellen geschaffen.
http://www.amazon-logistikblog.de/2015/12/23/ueber-1-000-neue-arbeitsplaetze-in-der-amazon-logistik/

  • Leider bleibt unklar, ob es sich dabei um Vollzeit-Stellen handelt oder um Stellen, bei denen die Beschäftigten aufgrund der geringen Stundenzahl auf Überstunden angewiesen sind – die ihnen im Konfliktfall auch jederzeit entzogen werden können.

Wir geben Menschen eine Chance, die sich sonst am Arbeitsmarkt nicht so leicht tun, z.B. Langzeitarbeitslose oder ältere Menschen. Für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung hat uns die Arbeitsagentur Koblenz ausgezeichnet:
http://www.amazon-logistikblog.de/2014/10/30/agentur-fuer-arbeit-zeichnet-amazon-koblenz-fuer-integration-von-mitarbeitern-aus/

  • JobCenter und Arbeitsagenturen sind der Hauptmotor, um Menschen in Deutschland in Leiharbeit, Werkverträge und befristete Beschäftigung zu pumpen und den „besten Niedriglohnsektor in Europa“ (Gerhard Schröder) am Rotieren zu halten. Eine Auszeichnung aus dieser Ecke bedeutet in unseren Augen nicht viel.

Wir investieren zudem enorm in die Sicherheit und können hier eine sehr gute Bilanz vorweisen.

In unserem europäischen Logistiknetzwerk haben wir überdies 40 Millionen Euro für Klimaanlagen ausgegeben, eine extrem seltene Maßnahme in Industrie und Logistik.

  • Jetzt wird es vollends grotesk: Muss sich Amazon wirklich damit brüsten, selbstverständliche Dinge wie Arbeitsschutz und erträgliche Arbeitsbedingungen zu gewährleisten? Sollen wir den Herrn preisen und Kerzen im Dom aufstellen, weil man uns Schwitzbuden und Todesfallen wie in Bangladesh erspart?

Zu guter Letzt: Wir investieren ebenfalls stark in Technologie, um die Arbeit zu erleichtern. Zum Beispiel nutzen wir eine Software, die möglichst kurze Laufwege berechnet.

  • Die Generalsekretärin des Internationalen Gewerkschaftsbunds ITUC, Sharan Burrow, sagte am 22. Mai 2014 in Berlin: „Amazon behandelt seine Beschäftigten wie Roboter. Das Unternehmen macht kein Geheimnis daraus, dass es Beschäftigte in nur wenigen Jahren durch Roboter ersetzen wird.“

Weitere Informationen finden Sie auch auf dem angehängten Faktenflyer.
Gern können Sie sich einmal selbst davon überzeugen, an drei unserer neun Standorte in Deutschland gibt es mittlerweile die Möglichkeit, sich ein Logistikzentren von innen anzusehen. Buchen Sie sich doch einen Termin unter: http://de.amazonfctours.com/
Wir sind überzeugt: Unser Modell des respektvollen Miteinanders und der direkten, betriebsinternen Kooperation hat ebenso seine Daseinsberechtigung wie andere Modelle, die Sie zu favorisieren scheinen. […]

Mit freundlichen Grüßen
Ergebenst Ihre
Anette Nachbar

Unternehmenskommunikation | Amazon Deutschland Services GmbH |

Mehr Infos über kriminell anmutende Amazon-Geschäftspraktiken:

11 Gründe nicht bei Amazon zu bestellen.

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2 Kommentare

  1. Gier, Gier und Gier,- Profitmaximierung um jeden Preis, – das ist Eure Lebens“qualität“. Mögen Euch Eure Roboter in die Hölle geleiten (denen kann es ja egal sein, obs brennt oder nicht)

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