Union Busting-News #13/22: Tod eines Leiharbeiters bei ThyssenKrupp | Union Busting bei Allianz, Ott Hydromet, XXXL Lutz

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Union Busting-News mit Jessica Reisner. Arbeitsunrecht und Betriebsratsbehinderung in Deutschland. Nachrichten aus Wirtschaft & Betrieb.

Anhören, downloaden und für unkommerzielle Zwecke verbreiten: https://www.freie-radios.net/mp3/20221103-unionbusting-118436.mp3

Thyssenkrupp: Warum starb der 26-jährige Refat? Arbeitsschutz für Leiharbeiter vernachlässigt?

Duisburg: Der 26jähriger Arbeiter Refat Süleyman starb unter unklaren Umständen auf dem Werksgelände von Thyssen Krupp Steel, TKS. Er wurde am 14. Oktober 2022 als vermisst gemeldet. Seine Leiche wurde erst nach mehreren Tagen aufwändiger Suche in einem Schlackebecken aufgefunden.

Am 23. Oktober 2022 zogen 500-1000 Menschen (manche Quellen sprechen auch von bis zu 2000 Menschen), größtenteils Mitglieder der bulgarisch-türkischen Community, der Refat angehörte, in einem Protestmarsch zum Thyssen-Krupp-Gelände. Sie forderten die lückenlose Aufklärung des Falls und fürchten eine Vertuschung möglicher Todesumstände.1 Zu Recht kritisieren die bulgarisch-türkische Gemeinde und weitere Unterstützer*innen, die undurchsichtigen Beschäftigungsverhältnisse durch Sub-Unternehmerketten und die ausbeuterischen und unsicheren Arbeitsumstände bulgarischer Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter.

Soweit bekannt war Refat erst seit drei Tagen bei einer Leiharbeitsfirma in Oberhausen angestellt, die ihn jedoch weiter vermittelte.2 Am Tag seines tödlichen Einsatzes soll er an die Reinigungsfirma Buchen ausgeliehen worden sein.

Die Schlacke-Becken sind laut Berichten durch Zäune und Gitter gesichert. Laut Vorschrift darf auf dem Gelände nur in Gruppen von mindestens zwei Leuten gearbeitet werden. Offensichtlich war Refat während einer Frühstückspause am 14. Oktober 2022 trotzdem alleine unterwegs.3


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Auf der Seite des Europäischen Verbands türkischer Arbeitnehmer ATIK schreibt ein anonymer Thyssen Mitarbeiter: „Obwohl viele Leiharbeitskräfte kein Deutsch sprechen, werden ihnen die Sicherheitsvorschriften nicht in ihrer Muttersprache erklärt. Die Arbeitnehmer sind daher nicht ausreichend mit den Sicherheitsvorschriften vertraut. Die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Kleidung wird den Arbeitnehmern nicht zur Verfügung gestellt, und wenn doch, dann zum doppelten Preis des Marktpreises.“4

Auch Süleyman Gürcan, Bezirksvorstandsmitglied der IG BAU Duisburg verweist darauf, dass wichtige Sicherheitshinweise nicht übersetzt werden.

In einer Petition einer Aktivistin der Duisburger Migrant:innenorganisation Stolipinovo in Europa heißt es, dass mehr als ein Drittel der Arbeitsmigrant*innen in Duisburg bei Leiharbeitsfirmen oder ausbeuterischen Subunternehmern beschäftigt sind, die häufig weniger als halb so viel Lohn wie bei einer direkten Beschäftigung auszahlen.“ Im gleichen Text heißt es: „Konflikte zwischen Arbeiter:innen und Vorgesetzten sind so vorprogrammiert und es wird ein Umfeld geschaffen, in dem Unfällen und Misshandlungen Tür und Tor geöffnet werden.“

Die Forderungen der Petition können Sie hier mit Ihrer Unterschrift unterstützen: Konsequente Aufklärung von Refat Süleymans Tod, Abschaffung von Subunternehmen

Thyssenkrupp ist eine Aktiengesellschaft: Gewinnmaximierungen durch Auslagerungen nutzen nur den Aktionärinnen und Aktionären. Die Dividenden werden auf Kosten von Refat und anderen Leiharbeiter*innen in die Höhe getrieben.


Allianz SE: Union Busting per Anschreien – Geschäftsführer Tewes-Kampelmann setzt auf niveaulose Provokation

München: Der Betriebsrat und die Geschäftsleitung der Allianz Re unter Holger Tewes-Kampelmann kommunizieren fast nur über Rechtsanwälte und treffen sich häufig vor Gericht. Die Allianz Re ist der hausinterne Rückversicherer der Allianz Versicherung.

Bei der turnusmäßigen Betriebsratswahl 2022 protegierte das Unternehmen eine managementnahe Liste. Ein Prozedere, das bei Union Bustern derzeit hart im Trend liegt. Geschäftsleitungen geben sich mitbestimmungsfreundlich, versuchen jedoch managementnahe Marionetten in Betriebsräten zu installieren.

Installation eines gelben Betriebsrats missglückt

Die Beschäftigten der Allianz Re ließen sich jedoch nicht so leicht veräppeln und wählten statt dessen aktive Betriebsratsmitglieder.

Die Allianz Re setzte im nächsten Schritt auf Provokation. Gemeinsam mit anderen Störern stürmte Geschäftsführer Tewes-Kampelmann eine Betriebsversammlung und soll Betriebsratsmitglieder aus nächster Nähe angeschrien haben. Betriebsratsmitglieder vermuten, dass spontane Reaktionen provoziert werden sollten. Sie hätten als Kündigungsgründe benutzt werden können.

Hintergrund des aggressiven Union Bustings bei der Allianz sind Umstrukturierungen, die natürlich auf Kosten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen. Auch das dämliche Unterscheiden zwischen Allianz RE und Allianz SE, also die Schaffung künstlicher Abspaltungen, obwohl es sich offensichtlich um den gleichen Betrieb handelt, zählt für uns schon dazu.

Wenn Sie Freunde und Bekannte haben, die bei der Allianz in München oder an anderen Standorten arbeiten: wir garantieren Whistleblowerinnen und Whistleblowern Anonymität. Melden Sie sich gerne! Unsere Kontaktdaten finden Sie hier


Ott Hydromet GmbH: Mit Kanzlei Buse gegen aktiven Betriebsrat

Fellbach bei Stuttgart: Der Betriebsrat der Ott Hydromet GmbH stimmte im dritten Anlauf der Kündigung der eigenen Vorsitzenden Svetlana zu. Auch dies ein Beitrag zum Thema managementhörige Betriebsräte.

Zur Erklärung: Betriebsratsmitglieder stehen unter besonderem Kündigungsschutz und können nur mit Zustimmung des Betriebsrats gekündigt werden. Fehlt diese Zustimmung, muss sie vom Arbeitsgericht ersetzt werden. Ein aktiver Betriebsrat, der auch nur ansatzweise etwas auf sich hält, stimmt Kündigungen selbstredend grundsätzlich nicht zu.

Die Betriebsratsvorsitzende Svetlana hat sich bei der Geschäftsleitung von Ott Hydromet unbeliebt gemacht, weil sie sich 2022 gegen die Schließung des Kalibrierlabors und der Abteilung für Handmessgeräte stark machte. Es folgten drei Kündigung und eine schikanöse Herabstufung. Teile des Betriebsrats wurden offensichtlich gebrochen und auf die Seite des Managements gezogen.

Das Union Busting wurde von Rechtsanwältin Julia Bruck von der berüchtigten Union Busting Kanzlei Buse (ehemals Buse Heberer Fromm) begleitet. 5 Unser Kollege Kevin Hoffmann berichtete hier auch ausführlicher zum Union Busting in Fellbach: Gedemütigt, gemobbt und gekündigt: Ott Hydromet versucht Betriebsratsvorsitzende loszuwerden den eintrag von Ott Hydromet in unserem Union Busting-Wiki finden Sie hier: Ott Hydromet

Auch hier gilt: bitte melden Sie sich, wenn sie weitergehende Informationen zum Vorgehen von Ott Hydromet und Buse gegen Beschäftigte und demokratische Mitbestimmung haben. Unsere Kontaktdaten finden Sie hier


Residenz/Orpea: 15.000,- Schmerzensgeld für Betriebsratsvorsitzende

Bremen: Das Landesarbeitsgericht Bremen hat der Betriebsratsvorsitzenden Nicole 15.000,- Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Das Management des Seniorenheimbetreibers Residenz Gruppe hatte sie über zwei Jahre mit Union Busting Attacken überzogen.

Bereits in erster Instanz hatte Nicole recht bekommen. Die Residenz-Gruppe hatte allerdings die Chuzpe noch eine Instanz weiter zu ziehen. Dabei hatten zuständige Gerichte in Bremen und Nienburg in den verschiedenen Verfahren immer wieder für die Betriebsratsvorsitzende Nicole entschieden: Die genannten Kündigungsgründe waren nichtig, die Gehaltskürzungen unrechtmäßig.

Richter Böggemann vom Landesarbeitsgericht äußerte sich laut taz sehr deutlich in Richtung Arbeitgeber: „Alles, was Sie machen, zielt aber auf die Existenzangst der Klägerin“. Das bringt das Phänomen Union Busting auf den Punkt.

Eine Schadenersatzforderung, die die Residenz-Gruppe gegen Nicole geltend machen wollte, ist mit dem Urteil über das Schmerzensgeld vom Tisch. Die Residenz-Gruppe gehört zum französischen Konzern Orpea, der 2021 mit einem entsetzlichen Pflegeskandal traurige Berühmtheit erlangte.

Unser Resümee: 15.000,- Euro sind noch viel zu wenig für die Belastungen, denen Nicole vorsätzlich ausgesetzt wurde. Es wird schon längst Zeit die Gesetze so nachzuschärfen, dass die Straftat Union Busting auch empfindliche Strafen nach sich zieht. 6

Den Eintrag zur Orpea Residenz Holding GmbH in unserem Union Busting-Wiki finden Sie hier


XXXLutz Österreich: Einziger Betriebsrat im Österreich ist managementnah

Zurndorf: 120.000,- Euro Abfindung wollte der Möbelhändler XXXLutz dem Mitarbeiter Hans laut Berichten zahlen, wenn er auf eine Betriebsratsgründung verzichtet. Das bestätigt einen wichtigen Punkt: bei Union Busting geht es nie um Geld, sondern immer nur um Macht.

In Österreich gibt es 47 Filialen der Möbelhauskette und rund 9.500 Mitarbeiter*innen.7 Aber keinen Betriebsrat.

XXXLutz ist in Deutschland schon seit langem für die Behinderung von Betriebsratsarbeit bekannt. Die Aktion gegen Arbeitsunrecht berichtete bereits 2014 und 2016 von ausgesprochen rabiaten Methoden im Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. 8 9

Die bevorzugte Methode von XXXLutz in Deutschland ist die Zersplitterung der Möbelhäuser in zig einzelne GmbHs. Die betroffenen Kolleginnen und Kollegen müssen dann in diesen einzelnen GmbHs jeweils eigene Betriebsräte gründen. Dabei lassen diese einzelnen GmbHs sich jedoch viel leichter umstrukturieren, schließen und ggf. neu eröffnen, sobald Teile der Belegschaft aufmucken.

Beim aktuellen Fall in Zurndorf bediente sich das Unternehmen, neben dem Versuch den Betriebsratsgründer herauszukaufen, einer ganzen Reihe von Maßnahmen. Darunter:

  • Kündigung des Initiators der Betriebsratsgründung
  • Sabotage der entscheidenden Versammlung
  • Verweigerung der Herausgabe des Wählerverzeichnisses
  • Einzelgespräch mit Mitgliedern des Wahlvorstands
  • Unterschriftensammlung gegen die Betriebsratgründung
  • Aufstellung einer managementnahen Liste

Der Coup funktionierte. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Standort Zurndorf wählten mehrheitlich Arbeitgeber-Marionetten, statt eines aktiven Betriebsrats.

Betriebsratsinitiator Hans gab letztlich auf und nahm eine Abfindung von 12.000,- Euro mit auf den Weg. Sein Rederecht immerhin hat er offensichtlich nicht verkauft. Sonst gäbe es den Bericht über die Verhinderung eines aktiven Betriebsrats bei XXXLutz in Österreich nicht.

Auch in Österreich ist die Installation gelber Betriebsräte offensichtlich derzeit eine beliebte Union Busting Methode. Gelbe, also managmentnahe, Betriebsräte sollten unserer Einschätzung nach mehr Beachtung finden und auch offen als solche benannt werden. Sie richten nicht nur an den Belegschaften, die sie vertreten sollen erheblichen Schaden an. Sie beschädigen auch den Ruf von Betriebsratsarbeit insgesamt.

Demokratie muss jeden Tag verteidigt werden. Auch im Betrieb.


Quellen

1 Alexander Keßel: Duisburg: Mitarbeiter-Tod sorgt für Unruhe bei Thyssenkrupp – Polizei äußert sich zu Mord-Gerüchten, Der Westen, 25.10.2022 https://www.derwesten.de/staedte/duisburg/duisburg-thyssenkrupp-tot-tod-arbeiter-mord-id300098481.html

2 Henning von Stolztenberg: Todesfalle Stahlwerk, junge welt, 25.10.2022 https://www.jungewelt.de/artikel/437363.tote-arbeiter-todesfalle-stahlwerk.html

3 Protestdemonstration: Werden hier die Umstände vertuscht? Aufklärung gefordert, Rote Fahne News, abgerufen 31.10.2022 https://www.rf-news.de/2022/kw43/tod-leiharbeiter-bei-thyssenkrupp

4 Gerechtigkeit für den bulgarischen Arbeiter Refat Süleyman, Europäischer Verband türkischer Arbeitnehmer, abgerufen 02.11.2022  https://www.atik-online.net/deutsch/2022/10/26/gerechtigkeit-fuer-den-bulgarischen-arbeiter-refat-sueleyman/ abgerufen 31.10.2022

5 Kevin Hoffmann: Gedemütigt, gemobbt und gekündigt – Ott Hydromet versucht Betriebsratsvorsitzende loszuwerden, Frontberichte 10/2022,  arbeitsunrecht.de, 31.10.2022 https://arbeitsunrecht.de/frontberichte-10-2022-otthydromet-allianz-tiktok-motornuetzel/#anker01

6 Lotta Drügemöller: Sich zu wehren, lohnt sich doch, taz, 20.10.2022 tazhttps://taz.de/Kampf-gegen-Union-Busting-in-Bremen/!5885634/

7 Andreas Bachmann: Kündigung und 120.000 Euro, damit er’s lässt – Wie XXXLutz einen Betriebsrat bekämpfte, www.moment.at, 28.10.2022, https://www.moment.at/story/xxxlutz-betriebsrat

8 Jessica Reisner: XXXL Lutz/Schweinfurt: Betriebsratsverhinderung übelster Sorte, www.arbeitsunrecht.de 07.04.2014 https://arbeitsunrecht.de/frontberichte-052014/#anker03

9 Jessica Reisner: XXXLutz: 99 Beschäftigte wie räudige Hunde vom Hof gejagt, www.arbeitsunrecht.de 24.02,.2016 https://arbeitsunrecht.de/xxxlutz_beschaeftigte-wie-raeudige-hunde-vom-hof-gejagt/


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