arbeitsunrecht FM 9/22 | Siebenhaar, Saturn, Leiharbeits-Bonus, Vergabe-Gesetz

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Union Busting-News mit Jessica Reisner. Arbeitsunrecht und Betriebsratsbehinderung in Deutschland. Nachrichten aus Wirtschaft & Betrieb.

  • Siebenhaar / Kassel: Staatsanwaltschaft fordert IG Metall zur Anzeige gegen Union Buster auf
  • Leiharbeit / DGB: Bonus für Gewerkschaftsmitglieder erfordert Outing bei Arbeitgebern
  • Saturn / Trier: Management überrumpelt Belegschaft
  • Vergabe-Gesetz / Sachsen: Öffentliche Auträge bald inklusive Arbeits- und Klimaschutz?

Staatsanwaltschaft Kassel fordert IG Metall zur Anzeige gegen Siebenhaar Antriebstechnik GmbH in Hofgeismar auf

Kassel: Im Zusammenhang mit einer geplanten Betriebsratsgründung versuchte die Firma Siebenhaar Antriebstechnik GmbH drei Initiatoren der Wahl zu kündigen. Die drei Kündigungen, die das Management gegen die Initiatoren ausgesprochen hatte, sind rechtlich jedoch unwirksam. Das entschied das Arbeitsgericht Kassel.

Die eigentliche Sensation liegt aber in einem anderem Punkt und berührt eines unserer Kernthemen. Nämlich die Strafverfolgung von Behinderung der Betriebsratsarbeit:

Die IG Metall Nordhessen hatte die Medien über das Vorgehen des Siebenhaar-Managements informiert. Ein Zeitungsartikel landete auch bei der Staatsanwaltschaft, die der IG Metall einen Brief mit dem Vermerk „Eilt“ schrieb. Darin hieß es „Die Staatsanwaltschaft Kassel führt in Zusammenhang mit dem in Kopie anliegenden Artikel der Hessische/Niedersächsische Allgemeine vom 5.März 2022 Vorermittlungen gegen Verantwortliche der Firma Siebenhaar Antriebstechnik GmbH wegen einer Strafbarkeit nach Paragraf 119 Abs. 1 BetrVG.“ Die IG Metall möge doch prüfen, ob sie einen Strafantrag stellen will.

Das ist ein absolutes Novum. Bislang scheiterten viele Anzeigen wegen Behinderung von Betriebsratsarbeit an Staatsanwaltschaften, die in den antidemokratischen Vorgängen kein öffentliches Interessen entdecken wollten.


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Dazu kommt: bislang ist der §119 BetrVG ein Antragsdelikt. Nur ein kleiner Personenkreis kann ihn überhaupt zur Anzeige bringen. Das soll sich, so ein Versprechen des Koalitionsvertrags, ändern: §119 BetrVG wird dann zum Offizialdelikt. Das bedeutet, dass Staatsanwaltschaften ermitteln müssen, sobald sie Kenntnis von dem Vorgang bekommen. Die Staatsanwaltschaft Kassel ist mit ihrer Nachfrage bei der IG Metall also ihrer Zeit deutlich voraus. Großartig – wenn auch verstörend, dass die Staatsanwaltschaft erst nachfragen muss, ob das kriminelle Vorgehen angezeigt wird.

Union Busting per Schadenersatzforderung

In diesem Licht steht nun auch ein weiterer Prozess, den Siebenhaar im Rahmen der Betriebsratsbehinderung losgetreten hat – und nun wohl besser stillschweigend zu den Akten legen sollte. Die Firma wirft einem der Betriebsratswahl-Initiatoren vor, er habe eine Maschine beschädigt, und verlangt rund 30.000 Euro Schadensersatz. „Das ist erneut ein Versuch von Siebenhaar, die aktiven Gewerkschafter mit an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen einzuschüchtern“, sagt Andreas Köppe, Gewerkschaftssekretär der IG Metall. „Das wird nicht gelingen, denn auch diesen Angriff werden wir gemeinsam und solidarisch abwenden“, so der Gewerkschafter. „Das mehr als befremdliche Vorgehen des Arbeitgebers zeigt, wie notwendig ein Betriebsrat in diesem Unternehmen ist“, so Köppe. 1

Das Vorgehen der Firma zeigt auch, wieviel Respekt Unternehmen vor Betriebsräten haben, meinen wir. Wären es belanglose, handlungsunfähige Gremien, würden Unternehmen sich die Mühe der Behinderung von Wahlen sparen.

Tarifvertrag Leiharbeit gegen alle Organizing-Regeln: Gewerkschaftsmitglieder sollen sich bei Arbeitgebern outen

Deutschland: Wer sich im Betrieb organisieren, sich mit Kolleginnen und Kollegen vernetzen und Arbeitsbedingungen verbessern will, agiert am besten solange es irgendwie möglich ist, unterhalb des Radars des Arbeitgebers.

Der Tarifvertrag zwischen der DGB-Tarifgemeinschaft Leiharbeit und den Zeit-Arbeitgeberverbänden BAP (Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e.V. ) und iGZ (Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V.) sieht etwas ganz anderes vor.

Im Tarifvertrag ist eine Zusatzzahlung für Gewerkschaftsmitglieder vorgesehen. Diese Zusatzzahlung müssen Gewerkschaftsmitglieder allerdings beim Leihunternehmen, also ihrem Arbeitgeber, beantragen. Für das Outing gibt es dann 2x jährlich eine Sonderzahlung, auch Mitgliedervorteil genannt,  zwischen 70 und 200 Euro.

Die Sonderzahlung für Gewerkschaftsmitglieder richtet sich nach der Verweildauer beim Verleihbetrieb: wer ein Jahr dabei ist, bekommt jeweils 70 Euro Urlaubs- und Weihnachtsgeld, wer vier Jahre und länger beim Verleihbetrieb ist, bekommt auf Antrag 200,- Euro. 2

Wir meinen DGB-Gewerkschaften sollten sich lieber mit Nachdruck für die Abschaffung von Leiharbeit einsetzen, anstatt mit den Arbeitgeberverbänden BAP und iGZ solche Deals zu machen. Das Signal ist schließlich verheerend: eine Gewerkschaftsmitgliedschaft ist demnach belanglos – Kritik, Gegenwehr, Streik von Gewerkschaftsmitgliedern nicht zu erwarten.

Dazu kommt: niemand kann kontrollieren wie lange solche Daten bei den Leiharbeitsfirmen gespeichert bleiben und wie sorgfältig mit ihnen umgegangen wird. Zum Beispiel, wenn ein Entleiher einen Leiharbeiter übernehmen will.

Saturn: Knebelverträge um Sozialplan zu umgehen

Trier: Seit Anfang März wissen die Beschäftigten von Saturn in Trier, dass ihre Filiale geschlossen wird. Um die Abwicklung der Filiale möglichst reibungslos und günstig vonstatten gehen zu lassen, bedrängte die Geschäftsführung der Saturn-Mega Markt GmbH Trier unter Anna Katharina Aumann und Jörg Priebe, die 34 Mitarbeiter*innen Auflösungs- und Abwicklungsverträge zu unterschreiben.

Die einseitig diktierten Verträge setzen die Mitarbeiter*innen massiv unter Druck. Bis 18. März sollten die Beschäftigten unterzeichnen, sonst würden ihre Abfindungen zusammen gestrichen. Saturn versuchte so der Wahl eines Betriebsrates zuvor zu kommen, mit dem das Unternehmen sonst einen konkreten Sozialplan verhandeln müsste.

Der Druck auf die Beschäftigten und die Angst leer auszugehen war anscheinend so groß das laut dem Verdi Sekretär Alex Sauer wohl die überwiegende Mehrheit der Belegschaft die „Erpressungsverträge“ unterschrieben hat.

Trotzdem wählten 82 Prozent der Mitarbeiter*innen Ende März 2022 noch einen dreiköpfigen Betriebsrat. Dieser soll nun die Bedingungen der Verträge nachverhandeln und so Verbesserungen für alle Mitarbeiter*innen erreichen. Da jedoch fast alle Mitglieder die Knebelverträge von Saturn bereits unterschrieben haben, dürfte der Betriebsrat hier vor keiner leichten Aufgabe stehen.

Dass die international agierende Media-Saturn-Holding GmbH zu solchen Geschäftsmethoden greift sollte eigentlich niemanden überraschen. Dennoch hat es die Trierer Belegschaft offensichtlich völlig unvorbereitet getroffen.

Unser Aufruf: sprecht über Arbeitsverhältnisse, über Löhne und Mitbestimmung. Arbeiten zu müssen ist kein individuelles Schicksal, das im Privaten verheimlicht werden sollte. Und das betrifft nicht nur Niedriglöhner: auch Gutverdienende werden nur benutzt und abgesägt, sobald es den Interessen des Managements dient. Vernetzt euch und gründet Betriebsräte. Unser Tipp: werdet Mitglieder der Aktion gegen Arbeitsunrecht. 3

Sachsen will Vergabegesetz anpassen

Sachsen: Bislang läuft es im Bundesland so: ist ein Auftrag zu vergeben, bekommt das billigste Angebot den Zuschlag. Arbeitsbedingungen und Umweltstandards spielen keine Rolle. Mit drastischen Folgen: zum Beispiel für Natursteine, Kopfsteinpflaster, Grabsteine, Gehwegplatten werden oft Natursteine beim größten Exporteur China gekauft. Dort wird faktisch keine Rücksicht auf Umweltfaktoren oder Arbeitsschutz genommen. Beim anderen großen Exporteur Indien muss von Kinderarbeit entlang der Produktionskette ausgegangen werden. Für Sachsen egal: Hauptsache billig!

Nach der Sommerpause soll jedoch endlich ein neues Vergabegesetz in Sachsen beschlossen werden. Das neue Gesetz soll eine Lohn-Untergrenze für Firmen im Auftrag der öffentlichen Hand festlegen, einen sogenannten Vergabe-Mindestlohn. Er wird voraussichtlich bei zwölf Euro oder leicht darüber liegen.

Was keine Erwähnung findet: wieso werden öffentliche Aufträge überhaupt an Firmen ohne Betriebsrat vergeben? Wird Mitbestimmung ein Thema im neuen Vergabegesetz sein?

Bislang ist unklar, wie groß die Wirkungskraft des neuen sächsischen Vergabegesetzes sein wird. Denn noch gibt es keine klare Ansage dazu, ob das Gesetz nur für die Landesverwaltung gilt oder auch für die Kommunen, die in Sachsen rund zwei Drittel aller öffentlichen Aufträge vergeben.

Übrigens: neben Sachsen gibt es auch in Sachsen-Anhalt und dem reichen Bayern bislang kein Vergabegesetz, das Arbeits- und Umweltstandards mit einbezieht. 4

Quellen


1 IG Metall 26. April 2022 Kündigungen weggeklagt – jetzt doch Betriebsratswahl bei Siebenhaar https://www.igmetall.de/im-betrieb/betriebsrat/jetzt-doch-betriebsratswahl-bei-siebenhaar

3 Kevin Hoffmann Saturn / Trier: „Erpressungsverträge“ statt ordentlichem Sozialplan 03.05.2022 Arbeitsunrecht https://arbeitsunrecht.de/frontberichte-04-2022-prominent-saturn-bosch-kindergartencity/#anker03

4 André Seifert Dulig will Gesetz für Mindestlohn bei öffentlichen Aufträgen 18.05.2022 MDR https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/landesregierung-neues-vergabegesetz-100.html


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