Corona-News KW15: Angriffe auf Arbeitsrechte. Deutschen Anwaltsverein stoppen!

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Der Corona-Crash und seine Auswirkungen auf die arbeitende Bevölkerung. Teil 2, Kalenderwoche 15/2020.

Land unter. Katastrophen sind aus Sicht marktliberaler Strategen vor allem Chancen: Im Moment des größten Schocks können Privatisierungsvorhaben durchgesetzt und Sozialstandards abgesenkt werden. Die Autorin Naomi Klein hat das Prinzip 2007 in ihrem Buch Die Schock-Strategie untersucht. (Bild: New Orleans, 2005 zerstört durch den Wirbelsturm Katrina, Quelle: pixabay)
1976 gewann Milton Friedman den Nobelpreis für Wirtschaft. Er beriet den chilenischen Diktator Pinochet. Friedmans Irrlehren führten direkt in die Weltfinanzkrise von 2007. (Foto: Wikicommons)

Der Guru der neoliberalen Wirtschaftslenker heißt Milton Friedmann (1912-2006). Das strategische Kerndogma des Wirtschaftsprofessors aus Chicago lautete: „Nur eine Krise – eine tatsächliche oder empfundene – führt zu echtem Wandel.“1

Solange die Bevölkerung im Schockzustand sei, habe die Regierung „ungefähr sechs bis neun Monate Zeit, um tiefgreifende Veränderung zu erreichen; nutzt sie die Gelegenheit nicht, während dieses Zeitraums entscheidend zu handeln, wird sie sie nicht noch einmal bekommen.“2

Nun scheint der größte Teil der deutschen Bevölkerung derzeit noch weit entfernt von einem Corona-Trauma. Solange unsere größte Sorge Klopapier heißt, ist nicht aller Tage Abend. An vielen Orten wächst die Gesellschaft sogar zusammen, Solidarität ist derzeit in aller Munde, das Bewusstsein richtet sich eher auf Fehler im System, die die Corona-Krise begünstigten.

Doch derweil arbeiten Arbeitgeberverbände, Unternehmensberater*innen und Wirtschaftskanzleien auf Hochtouren daran, den Corona-Crash zu ihrem Vorteil zu nutzen.


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COVID-19: Regierung beschließt Notstandsgesetz zur Arbeitszeit in systemrelevanten Berufen

Befristet bis zum 30.06.2020 gilt die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales erlassene COVID-19-Arbeitszeitverordnung (COVID-19-ArbZV, pdf). Ausgerechnet in traditionell schlecht bezahlten Branchen – die plötzlich als systemrelevant erkannt wurden – wie Nahrungsmittelproduktion, Landwirtschaft, Logistik und Gesundheit haben Unternehmen nun folgende Möglichkeiten:

  • Ausweitung der Arbeitszeiten auf täglich 12 und wöchentlich 60 Stunden (in Ausnahmen sogar noch mehr),

  • Verkürzung der Ruhepausen zwischen den Diensten auf 9 statt 11 Stunden (der Ausgleich soll durch Freizeit erfolgen),

  • Anordnung von Sonn- und Feiertagsarbeit.

Die Ausweitung der Arbeitszeiten soll zwar nur erfolgen „soweit die Verlängerung nicht durch vorausschauende organisatorische Maßnahmen einschließlich notwendiger Arbeitszeitdisposition, durch Einstellungen oder sonstige personalwirtschaftliche Maßnahmen vermieden werden kann“,3 klare Regelungen zu entsprechenden Kontrollen und gar Sanktionen bei Verstößen bleibt die Verordnung allerdings schuldig.

Die Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten bleiben laut Verordnung zwar in Kraft, allerdings gibt es schätzungweise nur in 9% der deutschen Betriebe mit mehr als fünf Beschäftigten Betriebsräte. Diese sind in der Corona-Krise gefragt, um die Kolleg*innen durch Alternativen wie Neueinstellungen, Aufstockung von Teilzeitverträgen, Entfristungen etc. zu entlasten.

Betriebsräte haben in der Corona-Krise allen Grund selbstbewusst aufzutreten: Ihre Verhandlungsmacht dürfte selten so groß gewesen sein wie jetzt. Deshalb ist es jetzt wichtig aktive Betriebsräte und engagierte Beschäftigte in besonderem Maß zu schützen und ihnen den Rücken zu stärken.

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Arbeiten bis zum Umfallen?

Die COVID-19-Arbeitszeitverordnung trifft gleich mehrere Berufsgruppen, die bereits vor der Pandemie deutlich länger gearbeitet haben. Im medizinischen Bereich geschah dies häufig aus Personalmangel und einem Verantwortungsgefühl gegenüber Patienten und Pflegebedürftigen. Hinzu kommt ein zutiefst menschliches, aber zugleich selbst-ausbeuterisches Bedürfnis, die Mängel eines auf Profit getrimmten Gesundheitssystems durch persönliche Opferbereitschaft auszugleichen.

Ärzte schon im Normalbetrieb am Limit

Eine Mitgliederbefragung des Marburger Bundes ergab, dass 41 Prozent der Ärtzt*innen bereits vor der Krise inklusive Dienste und Überstunden zwischen 49 und 59 Stunden pro Woche arbeiteten. 22 Prozent gaben an, sogar zwischen 60 und 80 Stunden pro Woche Dienst zu tun. (arzt-wirtschaft.de, 18.02.2020). Wenn das der Normalbetrieb sein soll, wann soll dann der in Aussicht gestellt Freizeitausgleich stattfinden können?

Ausbeutung in LKWs und Landwirtschaft

Die Speditionsbranche steht geradezu sinnbildlich für die Ausbeutung osteuropäischer LKW-Fahrer und Verstöße gegen die gesetzlich vorgegebenen Lenk- und Ruhezeiten (DGB, 30.11.2018). Dabei dürfte es gerade hier kein Problem sein Personal aufzustocken, sofern die Speditionen bereit wären, angemessene Löhne zu zahlen.

Genauso verhält es sich in der Landwirtschaft, wo der Deutsche Bauernverband durchsetzen konnte, dass trotz Pandemie 80.000 Erntehelfer*innen aus Osteuropa einfliegen dürfen. Deutsche Bewerber*innen, die in der Krise gerne eingesprungen wären, berichteten, dass einige Bauern sie zu den für die Osteuropäer vorgesehen Konditionen weit unter Mindestlohn beschäftigen wollten (siehe Quarantäne-Gulags, arbeitsunrecht de, 04.04.2020)   

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Durchmarsch geplant: Deutscher Anwaltsverein will Betriebsräte entmachten und Leiharbeit ausweiten.

Dringender Aufruf: DAV soll Stellungnahme 18/2020 zurückziehen!

Im Kielwasser der Corona-Krise fordert der Deutsche Anwaltsverein (DAV), der die Interessen von 62.000 Juristen in Deutschland vertreten soll, in seiner Stellungnahme 18/2020 vom 24.3.2020 (pdf) eine ganz Reihe schwerwiegender Gesetzesänderungen. Vorübergehend will er folgende Gesetze zum Teil außer Kraft setzen:

  • Betriebsverfassungsgesetz: Ein demokratisch nicht legitimierter „Dreier-Ausschuss“ soll den Betriebsrat entmachten. Die Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen nach §99 BetrVG soll aufgehoben werden.

  • Arbeitszeitgesetz: Das Überschreiten der Arbeitszeiten in systemrelevanten Berufen soll routinemäßig als Notfall bagetellisiert werden.

  • Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG, regelt die Leiharbeit): Leiharbeit soll erleichtert und ausgeweitet werden.

  • SGB III §97 zur Kurzarbeit soll um folgenden Passus ergänzt werden: „In Betrieben ohne betriebliche Interessenvertretung gilt die individuelle Zustimmung zur Einführung und Durchführung von Kurzarbeit in dem beantragten Umfang als erteilt, wenn mindestens 66% der in der jeweiligen Betriebsabteilung Beschäftigten individuell der Kurzarbeit zugestimmt haben.“4 Der VDJ schreibt dazu: „Hier wird die Privatautonomie der Beschäftigten mit einem Federstrich abgeschafft. […] Stattdessen wäre es geboten, eklatante Schutzlücken der Beschäftigten im Kontext mit der Kurzarbeit zu schließen. Zu nennen ist hier z. B. die Nichtberücksichtigung des Kurzarbeitergeldes bei der Bemessung des Elterngeldes, die empfindliche Einbußen für Familien bedeutet, die ohnehin in vielfacher Hinsicht besonders unter der Krise leiden.“

Die Vereinigung der demokratischen Jurist*innen (VDJ) warnt ausdrücklich vor dem angestrebten Ausnahmezustand, der zu einer Schwächung der kollektiven Interessenvertretung, der Privatautonomie der Beschäftigten und der sie schützenden Gesetze führen würde.

Der VDJ schreibt:

„Die einseitige Verfolgung von Arbeitgeberinteressen durch den DAV, die Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht und deren Ausschüsse, wird von uns auf das Schärfste abgelehnt. Sie ist nicht zuletzt deshalb besonders empörend, weil die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen in diesen Zeiten der Krise maßgeblich dazu beitragen, dass diese im Zusammenwirken der Betriebsparteien bewältigt werden kann.“

Ein Blick auf die Zusammensetzung der federführenden Ausschüsse für Arbeitsrecht zeigt, dass im DAV Wirtschaftskanzleien wie Freshfields, CMS Hasche Sigle, Gleiss Lutz und andere den Ton angeben.5

Der VDJ ruft Jurist*innen auf, einen Aufruf zum Rückzug der Stellungnahme des DAV zu unterstützen: Covid-19-Pandemie: Kein geeigneter Katalysator für einseitigen Lobbyismus

Der VDJ fordert, die Stellungnahme des DAV zur Schleifung der Arbeitsrechte zurück zu nehmen. Juristinnen und Juristen können die Erklärung des VDJ hier online unterstützen oder eine Mail schreiben: antwort@dka-kanzlei.de

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Wir sollten uns jetzt sammeln, zusammen schließen und wappnen!

Milton Friedmans Empfehlung für die Schock-Strategie lautet, sämtliche Verschlechterungen in einem Schwung umzusetzen. So kann die bürgerliche Gegenwehr gezielt überfordert werden.

Es ist absehbar, dass Unternehmerverbände die anrollende Welt-Wirtschaftskrise für genau dieses Szenario nutzen werden. Gerade weil viele Beschäftigte ihre Jobs verlieren und die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt dramatisch steigen wird, ist es wichtig, dass wir uns jetzt zusammen schließen. Damit wir Beschäftigte und Betriebsräte in der Krise stärken und uns für weitere Angriffe auf Arbeits- und Menschenrechte wappnen.


Fußnoten / Anmerkungen

1 Milton Friedman: Capitalism and Freedom, Chicago 1962, Vorwort ix. Zitiert nach: Naomi Klein: Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus, Frankfurt 2007, S. 17.

2 Milton und Rose Friedman: Die Tyrannei des Status quo, München 1985, S. 10. Zitiert nach: Naomi Klein: Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus, Frankfurt 2007, S. 18.

4 Stellungnahme Nr.:18/2020 des Deutschen Anwaltvereins zu der Notwendigkeit, die Handlungsfähigkeit der Betriebspartner in der aktuellen Krise zu gewährleisten, S.6, DAV, 24.3.2020, https://arbeitsunrecht.de/wp-content/uploads/2020/04/203024_Stellungnahme-deutscher-anwaltverein-dav-sn_18-2020.pdf

5 Im DAV-Ausschuss für Arbeitsrecht finden sich u.a. folgende Unternehmer-Anwälte: Thomas Müller-Bonnani, Heinz Josef Willemsen (Freshfields), Christian Arnold (Gleiss Lutz), Björn Gaul, (CMS Hasche Siegle), Barbara Reinhard (Kliemt).


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1 Kommentar

  1. „Zweck des Vereins ist nach seiner Satzung die Wahrung und Förderung aller beruflichen und wirtschaftlichen Interessen der Anwaltschaft und des Anwaltnotariats.“ Was kümmert die der Alltag in Betrieben?

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