Deep lobbying: Die unterwanderte Demokratie

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Lobbyismus, Seitenwechsler von Klaeden, Daimer-Benz
Seitenwechsler wie v. Klaeden sind nur die Spitze des Eisbergs. (Plakat von 1994, Quelle: Wikicommons)

Der Marsch der Lobbyisten durch die Institutionen

Tarnkappen-Professoren, Leihmanager, policy fellows… Die Unterwanderung von Staat und Wissenschaft durch Banken und Konzerne ist erschreckend weit voran geschritten

[Hinweis: Zentrale Aussagen dieses Beitrags wurden vom Bonner IZA gerichtlich unterbunden. Erst durch öffentlichen Druck und juristische Gegenwehr kann dieser Text seit Januar 2019 wieder unzensiert erscheinen. Siehe: Pressemitteilung, 21.1.2019]

Exakt vier Monate vor der Bundestagswahl sorgte Ende Mai 2013 die Mitteilung für Schlagzeilen, dass Eckart von Klaeden, bislang Staatsminister im Kanzleramt und damit Teil des engsten Führungskreises um Angela Merkel, nicht mehr für das Parlament kandidiert, sondern zum Ende des Jahres Cheflobbyist des Daimler-Konzerns werden wird.

Dieser Fall ist nur das jüngste Beispiel dafür, wie eine Person aus dem engsten Machtzirkel fast ohne jede Karenzzeit die Seiten wechselt, um für die Wirtschaft auf die Politik einzuwirken.


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Dieser Vorgang betrifft allerdings nur die herkömmliche, gewissermaßen klassische und zum Glück inzwischen keineswegs mehr unkritische Vorstellung, die wir von „Lobbyismus“ haben. Sie besagt: Lobbyisten wirken von außen in das Parlament, in die Regierung, in die Verwaltung und in die Parteien hinein. Und in der Tat: Diese Art Lobbyismus besteht nach wie vor und expandiert unvermindert weiter.1

Weitaus wichtiger ist jedoch eine neue Form des Lobbyismus, die noch gar nicht als solche bezeichnet wird: Diese Lobby sitzt längst im Staat, und vielfach wird sie von ihm sogar bezahlt. Dagegen helfen keine Karenzzeiten und auch nicht das schönste Lobbyregister, wie es gegenwärtig vielfach vorgeschlagen wird.2

Banken regieren mit

Bestes Beispiel für die Lobby im Staat sind die Banken und ihre immense „Staatsmacht“. Eingetragen als Lobbyist ist bekanntlich der Bundesverband deutscher Banken, faktisch aber ist er ziemlich unwichtig. Denn die Banken agieren längst in eigener Regie. Obwohl traditionell nicht einmal als Lobbyisten registriert, stellen sie gegenwärtig die mächtigste und erfolgreichste Lobby dar.

Wesentlicher Berater und sogar Mitentscheider etwa bei der ersten Bankenrettung 2008 war die Deutsche Bank, sichtbar vertreten durch ihren Vorstandssprecher. Josef Ackermann ging mit seinem Stab zu offiziellen und privaten Anlässen im Kanzleramt und bei Beratungen der europäischen Finanzminister ein und aus.3 Währenddessen konnten die professionellen Lobbyisten der Bank untätig und wohlgenährt herumsitzen.

Für die gegenwärtige Bundesregierung wurde die US-Investmentbank Goldman Sachs in Sachen Eurokrise zum wichtigsten Dauerberater. Christoph Brand, seines Zeichens deutscher Vertreter von Goldman Sachs und in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt, traf seit der Finanzkrise 48 Mal mit Vertretern der Bundesregierung zusammen. Allein der besagte Staatsminister im Kanzleramt, Eckart von Klaeden, wurde von ihm 25 Mal beraten.4 An zweiter Stelle bei der Häufigkeit von Treffen mit Regierungsvertretern rangieren Commerzbank und Deutsche Bank, dahinter folgen weitere Banken wie Barclays und United Bank of Switzerland.

Neben den monatlichen Treffen mit Regierungsvertretern gehörten auch Gespräche unter vier Augen mit der Kanzlerin zum üblichen informellen Lobbying. Die Bundesregierung erklärte anlässlich einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion zudem, dass zahlreiche Beratungen mit Vertretern derselben Banken auf der operativen Ebene stattfinden, aber weder gezählt noch mitgeteilt werden.5

Kurzum: Diese Dauerberater regieren faktisch längst mit. Sie, die von der Bundeskanzlerin Merkel gegenüber der Bevölkerung namenlos als „die Märkte“ bezeichnet werden, von denen sie sich nicht erpressen lassen will, gehen längst persönlich im Bundeskanzleramt fröhlich ein und aus.

Bei Bedarf bilden die Banken zudem Initiativen, um einzelne Interessen oder Gesetzgebungen durchzusetzen. Hier ist etwa die 2002 gegründete True Sale Initiative (TSI) zu nennen. Forciert von der CDU, setzte sie die Verbriefung, also den Verkauf und Weiterverkauf von Krediten, in Deutschland durch. Die entscheidende Studie dafür lieferte 2003 die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG).6 Auch die TSI gilt – wegen ihrer Fokussierung auf ein eng definiertes Ziel und wegen der zeitlich begrenzten Aktivität – nach herkömmlicher Definition nicht einmal als Lobbyist. Doch das von ihr besonders promotete neue Finanzprodukt spielte bei der Entstehung der Finanzkrise eine entscheidende Rolle.

Bafin von Banken finanziert

Banken sind jedoch längst auch direkt in quasistaatlichen Funktionen engagiert und tätig. Bestes Beispiel dafür: die deutsche Finanzaufsicht. Das Bundesamt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz: Bafin, macht gegenüber der Öffentlichkeit den Eindruck, es sei eine staatliche Behörde. Das ist es auch, wenn auch nur in einem oberflächlichen Sinne. Denn die Bafin hat eine wesentliche Eigenschaft, die es eigentlich verbietet, sie als eine staatliche Behörde zu bezeichnen: Sie wird direkt von den Banken finanziert.

Es handelt sich dabei um eine Extremform dessen, was im angelsächsischen Bereich am Beispiel der US-Finanzaufsicht Security Exchange Commission (SEC) als regulatory capture bezeichnet wird, wörtlich übersetzt: als Gefangennahme der Aufsicht.

Tatsächlich übernehmen in diesem Aufsichtsgremium die Beaufsichtigten selbst das Kommando.7 Wenn jedoch die Existenz einer Aufsichtsbehörde von der Finanzierung durch die Beaufsichtigten abhängt, ist selbstverständlich keinerlei Objektivität zu erwarten. Stattdessen bilden die Beaufsichtigten und die Aufseher eine Komplizenschaft – zugunsten der privaten Seite und gegen das Gemeinwohl. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Banken auch auf anderen Ebenen mitregieren.

Die Bafin hat so unter anderem die Aufgabe, die „systemrelevanten Banken“ zu definieren, die nach den Bafin-Regularien staatlich zu retten sind, auch wenn sie sich selbst zuvor in den Bankrott manövriert haben. Mit dieser Begründung schickten die Finanzaufsicht und die Bundesregierung in der Finanzkrise die zahlungsunfähigen Banken (wie IKB, Commerzbank, Hypo Real Estate und die Landesbanken) nicht in die Insolvenz, sondern retteten sie mit Hilfe von Steuergeldern – gegen Recht und Gesetz und gegen die Prinzipien der Marktwirtschaft.

Bafin vergibt Aufträge an Bank-Lobbyisten

Um die Notwendigkeit etwa der Rettung der Hypo Real Estate (HRE) per Gutachten zu untermauern, vergab die Bafin Beratungsaufträge direkt an Banken-Lobbyisten wie die US-Wirtschaftsprüfungsunternehmen Price Waterhouse Coopers, KPMG und Ernst & Young. Hier agiert also faktisch ein Lobbyist als staatliche Behörde, nämlich in gutachterlicher Funktion, und zwar für einen engstens verwandten und vielfach verbandelten Sektor der Privatwirtschaft. Wer wollte da an die Objektivität der Gutachten glauben?

Doch damit nicht genug: Seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 verwaltet die ausgelagerte Behörde namens Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) die 480 staatlichen Rettungsmilliarden für zahlungsunfähige Banken. Wohin die Rettungsgelder fließen, fädeln Banken und die von ihnen vorgeschlagenen Berater selbst ein.8

Die Banken haben also nicht nur erheblichen Einfluss auf die Bafin, sie bestimmen darüber hinaus über die FSMA auch noch über ihre eigene Rettung mit und lassen sich dafür aus Steuermitteln entlohnen.

„Partnerschaften Deutschland AG“: Investoren im Staat

Doch nicht nur Banken, auch Bau-, Pharma- und andere Konzerne vertreten die Interessen ihrer Unternehmen und Branchen unter staatlicher Tarnkappe.

So wurde etwa im Verantwortungsbereich des damaligen Finanzministers Peer Steinbrück, während der großen Koalition von 2005 bis 2009, die Partnerschaften Deutschland AG, kurz: PD AG, gegründet. Vorbild war das staatlich-private Unternehmen Partnerships UK, welches in Tony Blairs Regierungszeit entstanden war – mit tatkräftiger Unterstützung von Banken und Beratern der City of London.

Das Gründungs- und Startkapital der PD AG in Höhe von zehn Mio. Euro wurde durch die Bundesregierung aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt. Der Bund ist zwar Hauptaktionär, weitere Aktienanteile halten jedoch die an PPP-Projekten verdienenden Baukonzerne, Banken, Kanzleien, Wirtschaftsprüfer und Berater. In Vorstand und Geschäftsführung dominieren zudem die Vertreter der Privatwirtschaft.

Hier zeigt sich das eigentliche Problem: Die PD AG agiert mit staatlicher Autorität und dem Schein einer staatlichen Behörde, sie ist aber ein gewöhnlicher Lobbyist der Privatwirtschaft, der mit dem Ziel agiert, möglichst viele Projekte nach dem Muster des Finanzierungsprodukts Public Private Partnership (PPP) zu implementieren – im Bund, in den Bundesländern und in den Kommunen.9

Dabei hat sich das PPP-Verfahren sowohl im Ursprungsland Großbritannien als auch in vielen anderen Staaten als viel zu teuer und riskant erwiesen.

Spektakuläre und für die öffentliche Hand gewaltig überteuerte Projekte in Deutschland sind die Offenbacher Schulen, Toll Collect (LKW-Maut) und die Hamburger Elbphilharmonie.10 Doch obwohl die Landesrechnungshöfe genauso wie der Bundesrechnungshof einhellig Kritik an diesen Konzepten übten,11 wird die PD AG und mit ihr das Lobbying im Herzen des Staates weiterhin durch die Bundesregierung unterstützt.

Leihmanager und Großkanzleien: Lobbyisten im Inneren der Politik

Unternehmen tarnen sich jedoch nicht nur als staatliche Akteure, sondern sie greifen auch auf teilweise sehr direktem Wege auf staatliche Institutionen zu, um in ihnen ihren inhaltlichen Einfluss geltend zu machen.

Ein virulentes Beispiel für diese Form des internen Lobbyismus ist die bereits von der Bundesregierung unter Helmut Kohl eingeführte Praxis der Leihmanager (speziell in der Treuhand-Anstalt von 1990 bis 1994), die unter Kanzler Schröder wiederbelebt wurde.12 Leihmanager sind leitende Angestellte von Unternehmen und Unternehmensverbänden, die ad hoc beispielsweise für die Vorbereitung eines Gesetzes, einer Verordnung eines neuen Finanzprodukts oder eines Großprojektes an staatliche Stellen, vor allem an Ministerien, ausgeliehen werden.

In den meisten Fällen beziehen sie ihr Gehalt weiter vom Unternehmen und arbeiten im Staat „pro bono“, also ohne (staatliches) Gehalt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. In manchen Fällen werden sie vom Staat bezahlt. Auch in der Europäischen Kommission sind Leihmanager üblich.

Faktisch delegieren Konzerne wie Bertelsmann, Deutsche Bank, IBM, Fraport, BP, Lufthansa, EADS, Eon, Daimler, BASF, Price Waterhouse Coopers, Roland Berger, Morgan Stanley, Telekom und der Hauptverband der deutschen Bauindustrie ihre Manager auf diese Weise an die entscheidenden Schaltstellen, um öffentlich unbemerkt private Interessen durchzusetzen, und zwar innerhalb und in Komplizenschaft mit der staatlichen Verwaltung.13 Vor einigen Jahren waren über 100 Leihmanager in acht Bundesministerien und im Bundeskanzleramt bekannt; möglicherweise hat sich ihre Zahl seither etwas verringert.14

Inzwischen ist es darüber hinaus für Unternehmen auch üblich geworden, über US-Großkanzleien, die in Deutschland Niederlassungen betreiben, ihre Interessen vertreten zu lassen. Dabei müssen sich diese Kanzleien nicht einmal sonderlich um Einfluss bemühen. Vielmehr werden sie von Bundes- und Landesregierungen sowie von Kommunen übereifrig und nachhaltig mit Aufträgen versorgt.15

Die Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer (oder kurz Freshfields) etwa vertritt weltweit große Geldhäuser in den USA, in der EU und in Deutschland. Die Kanzlei beriet schon die Thatcher-Regierung bei den Privatisierungen und war für die Deutsche Bank beim Kauf der Bank Oppenheim und der Postbank tätig. In Deutschland ist sie die größte Kanzlei.

Die Bundesregierung unter Kanzler Schröder beauftragte Freshfields mit dem Entwurf der staatlichen Richtlinien für die neue Finanzierungsmethode der PPP16 und mit dem Entwurf und dem Aushandeln von Großverträgen mit Investoren, wie beispielsweise beim Toll-Collect-Vertrag zur LKW-Maut auf den Autobahnen. Seit 2004 zahlte das Verkehrsministerium weitere Millionen-Honorare an Freshfields für Nachberatungen bei ebendiesem Projekt. Ergebnis ist unter anderem, dass die Toll-Collect-Investoren den vertraglichen Schadenersatz für nicht erbrachte Leistungen in Höhe von etwa 7 Mrd. Euro seit einem Jahrzehnt verschleppen konnten und nach allem Anschein nie werden bezahlen müssen.17

Freshfields hatte zudem in der Zeit des Bundesfinanzministers Steinbrück von 2005 bis 2009 eine Art Dauerauftrag und erhielt dafür aus dem Ministerium Honorare in Höhe von 7,3 Mio. Euro.18 Darüber hinaus zahlte die bereits genannte FMSA allein in den Jahren 2008 und 2009 weitere 5,5 Mio. Euro an die Kanzlei. Diese Praxis betrifft aber nicht nur große US-amerikanische Anwaltskonsortien wie Freshfields, sie ist längst auch in „kleineren“ deutschen Kanzleien angekommen. So arbeiteten etwa Hengeler Müller, zu deren Mandanten die Deutsche Bank gehört, nach exakt demselben Muster.

Staatliche „Kontrolle“ durch Private:
„Wirtschaftsprüfer“ und Rating-Agenturen

Mit der Finanzaufsicht wurde bereits ein Bereich angesprochen, in dem effektive Kontrolle durch starke ökonomische Abhängigkeiten zwischen Kontrollierenden und Kontrollierten faktisch unmöglich gemacht wird. Der Gesetzgeber geht aber zum Teil noch weiter: Seit Jahrzehnten werden ureigenste Kontrollaufgaben im Unternehmensbereich sogar vollständig an private Akteure ausgelagert. Und auch wenn sich die dubiosen Insider-
Beziehungen längst als handfester Nachteil für den Staat und die Gesellschaft erwiesen haben – etwa durch erhebliche Steuer- und Arbeitsplatzverluste –, findet bisher keine Korrektur statt.

Exemplarisch für diese Problematik ist der hochsensible Berufszweig der Wirtschaftsprüfer. Ihre Aufgabe besteht darin, die Bilanzen vor allem der großen privatrechtlichen Unternehmen zu prüfen und deren Korrektheit zu testieren. Die Prüfer handeln dabei im staatlichen Auftrag. Ziel der Kon-
trolle ist unter anderem die Verhinderung gefälschter Bilanzen, die zu Unternehmens- und Wirtschaftskrisen führen können.

Diese Form staatlicher Beauftragung wurde bereits nach der Weltwirtschaftskrise 1929/30 – und als Konsequenz aus ebendieser – eingeführt. Anders als anzunehmen wäre, geht die Prüfung jedoch nicht mit staatlichen Vorgaben einher. Ganz im Gegenteil: Den „Prüfern“ wird erlaubt, die Kriterien in autonomer Selbstverwaltung zu erstellen, so dass staatliche Kontrolle ad absurdum geführt und gänzlich in die Privatwirtschaft ausgelagert wird.

Mit „Wirtschaftsprüfern“ sind hier vor allem die sogenannten Big Four gemeint: Price Waterhouse Coopers, KPMG, Ernst & Young und Deloitte. Diese haben den deutschen Markt in puncto Bilanz-„Prüfung“ seit Jahrzehnten unter sich aufgeteilt. So wird jeder einzelne der 30 deutschen DAX-Konzerne traditionell von einer der vier genannten Firmen geprüft.

Wirtschaftsprüfer als Berater zur Steuervermeidung

In Wirklichkeit sind die Wirtschaftsprüfer jedoch keine objektive Prüfinstanz, sondern – Ausnahmen sind immer möglich, aber bisher nicht bekannt geworden – Komplizen der Unternehmensleitungen: Denn von ihnen werden sie schließlich bezahlt.19

Die Wirtschaftsprüfer dürfen nicht nur in vollkommener Eigenregie die Kriterien für die Kontrollen festlegen. Sondern sie verkaufen den Unternehmen weitere hoch bezahlte Dienstleistungen. So agieren die „Prüfer“ etwa auch als Steuerberater und somit vor allen Dingen als Dienstleister in Sachen weltweiter Steuervermeidung. Auf diese Weise wird die ökonomische Abhängigkeit zwischen den Prüfern und den zu überprüfenden Konzernen zusätzlich immens verschärft.

Die Big Four bilden das Rückgrat einer globalen Steuervermeidungs-
Industrie. Sie strukturieren zu diesem Zweck mit Hilfe der vier Dutzend noch existierenden Finanzoasen die großen Banken, Konzerne und auch die größeren Mittelständler in verschachtelte Netzwerke um, die von den nationalen Finanzbehörden nicht durchschaut werden sollen. Die OECD bezeichnet das als aggressive tax planning. So tragen die staatlich beauftragten Wirtschaftsprüfer auch zur systemischen Staatsverschuldung bei.20

Die Zahl der Falschtestierungen im Auftrag und Interesse der Unternehmensleitungen ist Legion. So wurden die Bilanzen und Buchführungen aller Pleitebanken auch in Deutschland (wie IKB, Hypo Real Estate, Commerzbank) bis zuletzt als korrekt testiert. Auch die Bilanzen von Siemens, Rheinmetall und Ferrostaal, die Schmiergelder im dreistelligen Millionenbereich unter täuschenden Zweckbestimmungen und aus schwarzen Kassen gezahlt haben, wurden als korrekt testiert. Trotzdem wurden diese mit staatlicher Autorität agierenden „Prüfer“ bisher nie straf- und zivilrechtlich belangt.

Eine vergleichbare Struktur findet sich auch bei Ratingagenturen wie Standard & Poor’s oder Moody’s und Fitch. Auch sie handeln im staatlichen Auftrag und sollen als objektive Wächter die Bonität von Kreditnehmern, Wertpapieren und Staaten beurteilen. Die übrigen Marktteilnehmer sind dabei verpflichtet, sich nach ihren Benotungen zu richten.

Dieser staatliche Auftrag ist in zahlreichen Gesetzen und Verordnungen festgeschrieben. Die Kriterien der Benotungen werden aber auch hier nicht vom Staat vorgegeben, sondern der Selbstverwaltung der Agenturen überlassen. Dabei sind auch sie nichts anderes als private Unternehmen, die im Interesse ihrer Eigentümer handeln. Diese Eigentümer sind die heute wichtigen Finanzakteure wie Hedgefonds, große Vermögensverwalter, Versicherungen und Investmentbanken.

So agieren die einseitig privatwirtschaftlich gebundenen Notengeber faktisch als Mitregenten, ohne sich als Lobbyisten bezeichnen zu müssen und als solche auf den ersten Blick erkennbar zu sein.

Lobbyismus in der Bildung

Doch nicht nur durch Einflussnahme in der Exekutive und durch privatwirtschaftlich gelenkte „Kontrolle“ üben Konzerne quasistaatliche Macht aus. Ihr Machtbereich beginnt wesentlich früher: Schon in Schulen und Universitäten versuchen sie, ihren Einfluss geltend zu machen.

So gründete etwa die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) 1998 die Initiative business@school („Eine Idee macht Schule“), die seitdem vom Konzernsitz in München aus betrieben wird. Mit Zustimmung der Landesministerien für Bildung sind Manager als ehrenamtliche Lehrer tätig und vermitteln „Wirtschaftswissen“ bundesweit in zahlreichen Klassen der gymnasialen Oberstufe.

Unterstützt wird BCG dabei von Konzernen wie Adidas, Commerzbank, Generali, Oracle, Axa, BMW, Ford, Hochtief, Lufthansa, Rewe und der Postbank, seit 2009 Tochterunternehmen der Deutschen Bank.21 Auch sie schicken Manager zum zeitweiligen Unterricht in die Schulen, organisieren Projekte und verteilen großzügig kostenlose Unterrichtsmaterialien, während die staatliche Versorgung der Schulen mit Schulbüchern immer schlechter und für die Schüler und Eltern teurer wird. Im Schuljahr 2012/13 nehmen 90 Schulen an dieser ganz speziellen Form der PPP teil. Doch damit nicht genug: BCG übernimmt sogar auch Lehrerfortbildungen.22

Dagegen werden andere Organisationen und Einzelpersonen, die über eine alternative Form des „Wirtschaftswissens“ verfügen, von den Kultusministern nicht gefördert. Auf diese Weise befördert der Staat statt einer freien Bildung die einseitige Einflussnahme auf Lehrer und Schüler durch starke, oft global agierende Unternehmen.

Auch an den Universitäten ist der Einfluss von Unternehmen immer deutlicher zu spüren. Neben mehreren Dutzend Lehrstühlen, die von Deutscher Bank, Energie Baden Württemberg (EnBW) und anderen Konzernen gestiftet werden, unterhalten andere Firmen eigene Business Schools und Unternehmenshochschulen. Diese werden allerdings vielfach vom Staat (mit)finanziert, wie etwa die Privatuniversität Herdecke und die European Business School (EBS) in Hessen.

Immerhin ist dies bekannt; insofern kann hier zumindest von einer gewissen Transparenz hinsichtlich der Vermengung von staatlichen und privaten Interessen gesprochen werden.

Eine andere Qualität erreichen dagegen jene Institute, die von der Privatwirtschaft direkt finanziert werden, aber gleichzeitig Teil einer staatlichen Universität sind. Hier bleibt die private Finanzierung der breiten Öffentlichkeit völlig unbekannt. Konstrukte dieser Art beherbergen die Ludwig-Maximilians-Universität München, die Johann Wolfgang von Goethe-Universität Frankfurt am Main sowie die beiden Technischen Universitäten München und Berlin.

Im Folgenden werden zwei Fälle herausgegriffen, die für diese Form des unsichtbaren Lobbyings unter staatlichem Siegel besonders exemplarisch sind.

ZAAR und IZA: Professoren mit Tarnkappen

2004 gründeten der Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie und der Arbeitgeberverband der baden-württembergischen Chemieindustrie die Stiftung für Arbeitsrecht (StAR), die die Bayerische Staatsregierung als gemeinnützig anerkannte. Mit Hilfe von StAR gründete und betreibt die Unternehmerlobby das Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (ZAAR) an der Universität München. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes An-Institut, sprich: eine organisatorisch und rechtlich eigenständige Forschungseinrichtung, die aber einer deutschen Hochschule angegliedert ist.

Die Professoren wurden zwar noch von der Universität zu ordentlichen Professoren ernannt, aber dann beurlaubt. Im ZAAR werden sie dann direkt von den Arbeitgebern bezahlt, dürfen sich aber weiter als Professoren der Universität bezeichnen. Als solche treten sie auch in der Wissenschaft und in den Medien auf. Das Institut ist materiell und personell wesentlich besser ausgestattet als die wenigen verbliebenen Universitätsinstitute für Arbeitsrecht, die staatlich finanziert werden.23

Inhaltlich geht es im ZAAR vor allen Dingen darum, das deutsche Arbeitsrecht aus seiner eigentlichen, auf Ausgleich und Kompromiss gerichteten Tradition herauszulösen und in ein Kampfrecht für Arbeitgeber umzudeuten. Dafür organisiert das ZAAR Konferenzen für Manager und Unternehmensvorstände, bei denen etwa Möglichkeiten zur Umgehung von Mindestlöhnen für Leiharbeiter vermittelt werden.24

An anderer Stelle polemisieren die Tarnkappen-Professoren gegen die „Machtanmaßung“ der Arbeitsrichter, halten Mindestlöhne für „schizophren“, beklagen die „Übermacht des Kollektivs“ durch Gewerkschaften und Betriebsräte und bezeichnen Tarifverträge als eine Krankheit, die man „schwer wieder loswird“.25

Quasistaatliche Institute mit neoliberaler Mission

Seit 1997 finanziert die Stiftung der Deutschen Post AG / DHL in gleicher Weise das Institut Zukunft der Arbeit (IZA). Vorsitzender der Stiftung ist der Ex-Vorstandschef des Konzerns, Klaus Zumwinkel.26 Das IZA ist wie das ZAAR ein universitäres An-Institut, allerdings der Universität Bonn. Faktenwidrig bezeichnet es sich als „unabhängig“.

Das IZA versteht sich als weltweit vernetzter Think-Tank. Zu den Research und Policy Fellows gehören unter anderem Entwicklungsminister Dirk Niebel, Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegießer, Professor Klaus Rürup von der Maschmeyer Rürup AG, Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin, Nikolaus Piper von der „Süddeutschen Zeitung“ und Heinz Buschkowsky, Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, kurzum: ausschließlich ausgesprochen konzernfreundliche Personen.

Das Institut war unter anderem an der Ausarbeitung der Hartz-Gesetze beteiligt und ist Dauer-Berater der Europäischen Kommission, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Bundesregierung. Es bereitet die Fortsetzung der Agenda 2010, nämlich die Agenda 2020 vor: Erklärtes Ziel ist die weitere Auflösung des Standard-Arbeitsverhältnisses und die Durchsetzung längerer und flexiblerer Arbeitszeiten.

IZA-Direktor Klaus Zimmermann – lange Zeit gleichzeitig Direktor des Berliner Instituts für Wirtschaftsforschung DIW – fordert, das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre anzuheben. Die Stoßrichtung des Instituts ist also eindeutig und kann aufgrund seiner Konstruktionsart auch nicht verwundern.

Von „freier Wissenschaft“ kann hier allerdings beim besten Willen nicht gesprochen werden.

Lobbyregister gut und schön, entschlossenes Handeln ist notwendig!

„Mehr Transparenz!“ lautet die Losung, die im Kampf gegen Lobbyismus immer wieder zu hören ist. So wird regelmäßig die zentrale Registrierung von Lobbyisten gefordert. Doch wenn der politische Wille, den Einfluss der wirtschaftlich Mächtigen tatsächlich zurückzudrängen, nicht vorhanden ist, dann nützen auch Instrumente wie ein Lobbyregister nichts.27 Die Lobbyisten finden dann immer Wege, die jeweilige Regelung zu unterlaufen.

Das gilt umso mehr dann, wenn sich die Lobbyisten wie beschrieben bereits an den Schalthebeln der Macht befinden. So ist das vielfach im Ausland als vorbildlich gelobte US-Lobbyregister schon lange nur noch ein dürftiges Alibi. Denn längst haben Anwaltskanzleien, Wirtschaftsprüfungs-
gesellschaften, Steuer- und Unternehmensberater einen wesentlichen Teil des Konzernlobbyismus übernommen. Und sie können das „ganz legal“ tun, da der Lobbyismus nicht ihr Hauptgeschäft ist und sie deshalb gar nicht im Lobbyregister erfasst werden – weder in dem des US-amerikanischen noch dem des Europäischen Parlaments.28

Zu den Grundannahmen der neoliberalen Propaganda gehört bekanntlich, dass der Staat sich aus Wirtschaft und Finanzen heraushalten muss. Dementsprechend haben die Vertreter neoliberaler Politik in den vergangenen 30 Jahren nicht nur drastische Deregulierungen gefordert, sondern auch tatsächlich Gesetze und Kontrollmechanismen abgeschwächt oder sogar ganz abgeschafft. Die so entstandene Lücke wurde jedoch keineswegs verteidigt, sondern im Gegenteil dazu genutzt, neue Institutionen und Bürokratien der „Regulierung“ unter zumeist staatlichem Label zu schaffen, die aber ausschließlich privatwirtschaftlichen Maximen folgen.

Wer die Demokratie vor ernsthaftem Schaden bewahren will, muss daher zuallererst diese Privatlobby bekämpfen und ihren Einfluss auf Staat und Gesellschaft zurückdrängen.

Dafür braucht es jedoch politischen Willen und eine transparente Debatte, die sich nicht scheut, die eigentlichen Gefahren des Lobbying offen zu benennen. Gegenwärtig sind wir leider von beidem weit entfernt.


Anmerkungen + Fußnoten

1 Vgl. Christina Deckwirth und Timo Lange im Auftrag von LobbyControl, Lobbyreport 2013. Die Lobbyismusdebatte 2009-2013: Eine Bilanz der schwarz-gelben Regierungszeit, Köln 2013.

2 Vgl. die Mehrheit der Stellungnahmen bei der Anhörung „Mehr Transparenz bei Lobbyismus –
Anhörung als Beginn eines gemeinsamen Prozesses“ im Hessischen Landtag am 16.4.2013,
www.landtag.hessen.de, Lobbyismusanhörung ÄR Stellungnahmen und Antworten Teil 1 und 2.

3 Bis heute legendär ist das zu Ackermanns Ehren, aus Anlass seines 60. Geburtstags, ausgerichtete Abendessen der Kanzlerin im illustren Kreis und auf dem Höhepunkt der Bankenkrise 2008; vgl. dazu Thilo Bode und Katja Pink, Geburtstagsparty im Kanzleramt, in: „Blätter“, 6/2012, S. 75-82.

4 Diese Dauerbeziehung ist auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil von Klaeden auch und in erster Linie als Koordinator für den Bürokratieabbau tätig ist.

5 Beziehungen von Geschäftsbanken und Investmentbanken zur Bundesregierung, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke, BT-Ds. 17/12332, 14.2.2013.

6 Mit Hilfe von Verbriefungen konnten die Banken in den Boomjahren großzügig sein, vgl. „Süddeutsche Zeitung“, 7.7.2009.

7 Michael E. Levine und Jennifer L. Forrence, Regulatory Capture, Public Interest and the Public Agenda: Toward a Synthesis, in: „Journal of Law Economics and Organization”, 6/1990 (special issue), S. 167ff.

8 Vgl. zum folgenden: Verschlusssache Bankenrettung, in: „Handelsblatt“, 27.3.2013; Profiteure der Bankenkrise, in: „Handelsblatt“, 18.4.2013.

9 Der Wirtschaftstrojaner. Staatslobbyismus, in: „die tageszeitung“, 28.1.2012.

10 Werner Rügemer, Die Effizienzlüge. Die Spur des Scheiterns, in: „Neues Deutschland“, 21.3.2013; vgl. auch ders., Der Ruin der Kommunen: Ausverkauft und totgespart, in: „Blätter“, 8/2012, S. 93-102 sowie ders., Public Private Partnership: Die Plünderung des Staates, in: „Blätter“, 2/2010, S. 75-84.

11 Die Präsidentinnen und Präsidenten der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder: Gemeinsamer Erfahrungsbericht zur Wirtschaftlichkeit von ÖPP-Projekten, Wiesbaden, 14.9.2011.

12 Zu den Leihmanagern in der Treuhand vgl. Werner Rügemer, Privatisierung in Deutschland. Eine Bilanz, Münster 2008, S. 33 ff.

13 Sascha Adamek und Kim Otto, Der gekaufte Staat. Wie Konzernvertreter in deutschen Ministerien sich ihre Gesetze selbst schreiben, Köln 2008.

14 Einsatz externer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Bundesministerien und Bundesbehörden, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke, BT-Ds. 17/12631, 6.3.2013.

15 Vgl. Werner Rügemer, Die Berater. Ihr Wirken in Staat und Gesellschaft, Bielefeld 2004, S. 68 ff. und 161 ff.

16 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen (Hg.), Freshfields Bruckhaus Deringer, Price Waterhouse Coopers, Alfen Consult: PPP im öffentlichen Hochbau, Berlin 2003.

17 Reinhard Jellen, Verzichtet die Bundesregierung auf 7 Milliarden Euro? Interview mit Werner Rügemer, www.telepolis.de, 17.1.2013.

18 Kanzlei kassierte in Steinbrück-Ära 7,3 Millionen Euro, www.focus.de, 22.2.2013.

19 Vgl. Rügemer, Die Berater, a.a.O., S. 33 ff., 175 ff. und 213 ff.

20 Walter Wüllenweber, Legale Staatsfeinde, in: „Stern“, 14.3.2013, S. 84.

21Alexander Häusler, Die „unsichtbare Hand“ des Marktes in der Schule, in: Werner Rügemer, Die Berater, a.a.O., S. 111 ff.

22 Vgl. www.business-at-school.net.

23 Vgl. die jährlichen Tätigkeitsberichte und den Internetauftritt auf www.zaar.uni-muenchen.de.

24 Werkverträge: Das nächste Lohndumping-Modell der Arbeitgeber, „Monitor“ (ARD), 2.2.2012.

25 Vgl. die Kolumnen von Volker Rieble auf www.zaar.uni-muenchen.de/forschung/publikation/kolumnen/index.html.

26 Vgl. www.iza.org.

27 Dies gilt umso mehr, als sich auch die Parteien zu einem großen Teil über Spenden in die Abhängigkeit von Konzernen begeben haben.

28 Wolfgang Böhm, „Dreiste“ Intervention der US-Lobby in Brüssel, in: „Die Presse“, 21.2.2012.


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