Gelungene Einweihung unseres Büros in Köln-Sülz

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Mit vielen guten Wünschen und dem Segen eines Arbeiterpriesters: 80 Gäste feierten bei Sonne und Musik

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Rund 80 Vereinsmitglieder, Nachbarn, Freunde, Bekannte, Gäste und Sympathisant*innen kamen am 21. Mai 2017 vorbei, um die Einweihung des ersten Büros der aktion ./. arbeitsunrecht mit uns zu feiern.

Werner Rügemer: „Für jede Revolution ist bekanntlich ein Büro notwendig, unter anderem. Bitte erschreckt nicht beim Begriff Revolution, er bedeutet „wesentliche Veränderung“, und eine solche wollen wir in den Arbeitsverhältnissen.“

Manche nahmen lange Wege auf sich: Wir konnten Mitstreiter*innen u.a. aus Frankfurt, Berlin, Remagen, Bad Oyenhausen, Essen, Bochum, Ibbenbüren, Karlsruhe begrüßen.

Der Andrang war teilweise so groß, dass die bescheidenen 35m² der ehemaligen Metzgerei, die wir nun in der Luxemburger Str. 176 in Köln-Sülz bezogen haben, gar nicht alle Gäste fassen konnten. So stellten wir Tische und Bänke aufs Trottoir.

Das Schicksal – oder St. Petrus? – meinte es an diesem Sonntag ausgesprochen gut mit der aktion ./. arbeitsunrecht. Es war sonnig und mild, durch die Stadt wehte durch die überraschende Europa-Cup-Qualifikation des 1. FC Köln am Vortag eine gelassene Atmosphäre.


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Frikadellen, kühles Kölsch und warme Worte

Nach einer Begrüßung durch die Gründungsmitglieder Werner Rügemer (Rede im Wortlaut) und Jessica Reisner sprachen unter anderem:

  • Markus Krost (Berlin), Vorstandsmitglied der aktion ./. arbeitsunrecht und Betriebsratsvorsitzender einer Reha-Klinik auf Usedom, über die dringende Notwendigkeit der Vernetzung von Betriebsrats- und Gewerkschaftsaktivisten insbesondere in Gefahr und höchster Not.
  • Rainer Hastrich (Köln) berichtete über die Kampagne Schwarzer Freitag, der 13. ( „Jetzt schlägt’s 13!“) und die bisherigen-Aktionstage gegen aggressive Unternehmer, Ausbeutung und Union Busting (Was ist das?)

Weitere Grußworte erfolgten mit Blick auf die Kampagne PutzfrauenPower, in deren Mittelpunkt der Hotel-Subunternehmer Karly Zingsheim (mehr dazu hier) und die Luxus-Hotel-Kette InterConti steht:

  • Petra Vogel (Bochum), Betriebsratsvorsitzende im Krankenhaus Bergmannsheil + Mitglied der Tarifkommission Gebäudereinigung bei der IG BAU
  • Alina Iordan, Mitstreiterin bei aktion ./. arbeitsunrecht und Ansprechpartnerin für rumänischsprachige Beschäftigte
  • Holger Vermeer, Regionalleiter der IG BAU Rheinland
Petra Vogel, IG BAU-Gewerkschafterin, BR-Vorsitzende Klinikum Bergmannsheil. Bochum: “Arbeitsunrecht hat uns Gebäudereiniger/innen schon so oft unterstützt, wenn es darum ging unsere Rechte durchzusetzen. Arbeitsunrecht ist immer für uns am Ball mit kreativen Aktionen, aber auch als Prozessbegleiter, damit wir nicht alleine unsere Rechte erstreiten müssen. Ihr macht uns Mut!”

Unter den Gästen waren außerdem Mitstreiter wie der Rechtsanwalt Thomas Mössinger, der nach Simone N. nun einen weiteren Fall von Lohnraub im Hotel InterConti Düsseldorf durch das Subunternehmen MACOC begleitet (Sub-Sub-Unternehmer des Hotel-Reinigungsbarons Karly Zingsheim, ZHS).

Zu Gast waren auch lokale Größen, wie unser Anwalt Eberhardt Reinecke, der die aktion ./. arbeitsunrecht gegenüber Maulkorb- und Presseverhinderungs-Kanzleien wie Bub Gauweiler vertritt, aber auch als Anwalt der Nebenklage beim NSU-Prozess in München Großes leistet. Ebenso freuten wir uns – neben vielen anderen – über unsere türkisch-kölschen Gäste Semra Çelik (DIDF, ver.di), Yücel Özdemir (Hayat TV) und Erman Oran (IG BAU).

Cliff Richard auf den Kopf gestellt: „Rote Fahnen soll man hissen“

Musikalisch mischte Ernesto Schwarz aus aus Frankfurt die Feier auf. Er dichtet in bester Joe Hill-Tradition neue, ironische und rebellische Texte auf bekannte Schlager und Kirchenlieder („Danke für meine Arbeitsstelle“). Ernesto reimt engagiert und witzig: Gegen strukturelle Ungerechtigkeiten, gegen Ausbeutung aber vor allem für eine selbstbewusste und fröhliche Kultur der Gegenwehr.

Trotz der Schwere der Themen garantiert sein Programm reichlich Lacher, wenn etwa aus Udo Jürgens‘ „griechischem Wein“ ein „gieriges Schwein“ wird – es geht um den Postchef, McKinsey-Manager und Steuerhinterzieher Klaus Zumwinkel. Schon den zweiten Refrain sangen alle laut mit.

Zu den Lieblingsliedern des Büro-Teams gehört die Umdichtung des Oldies „Rote Lippen soll man küssen“ (Cliff Richard) in „Rote Fahnen soll man hissen“ – am besten bei Streik, anstatt sie in Gewerkschafts- und Parteibüros verstauben zu lassen.

Das eine Prozent: göttlicher Segen?

Spiritueller Höhepunkt war die Segnung des Büros durch den Arbeiterpriester Albert K. Er verspritzte – zum Erstaunen manch religionsferner Gäste – Weihwasser mit guten Wünschen in alle vier Ecken unseres Büros.

Minderster meiner Brüder: Jesus als einfacher Arbeiter

Albert K.: „Das meiste muss man selbst machen, damit eine Aktion erfolgreich wird. Aber Organisation und Planung sind am Ende doch nur 98% oder sogar 99%. Aber dann gibt es noch dieses 1%, das man nicht beeinflussen kann und dass dennoch über Erfolg und Misserfolg entscheiden kann. Nennen wir es Glück, Zufall oder eben auch göttliche Fügung.“

Albert steht in der Tradition der französisch-belgischen Arbeiterpriester, die sich im zweiten Weltkrieg unerkannt unter Zwangsarbeiter mischten, um ihnen während der Verschleppung nach Nazi-Deutschland beistehen zu können.

Manche wurden enttarnt und von der Gestapo verhaftet, einige sogar hingerichtet. Nach dem Krieg beteiligten sich Arbeiterpriester in Frankreich an Streiks und Protesten. So viel echte und gelebte Gemeinschaft mit der Arbeiterklasse entsetzte die Kurie. Die katholische Kirche erließ 1949 das „Dekret gegen den Kommunismus“, vier Jahre später erklärte Papst Pius XII. die Unvereinbarkeit von Priester- und Arbeiterleben.

Arbeiterpriester wie Albert K. leben als einfache Arbeiter, oft im Niedriglohnsektor, unter Arbeiter*innen, um ihren Glauben wirksam werden zu lassen. Aktuell arbeitet er bei einem Sub-Unternehmer am Flughafen.

Stadtteilführung Sülz: Fabrikanten und Künstler, Straßenkämpfe und Zwangsarbeit

Elmar Wigand führte ca. 30 Interessierte durch unsere neue Nachbarschaft. Direkt an der Ecke unseres Häuserblocks wurde in der damaligen Gaststätte „Roggendorf“ am 13. Februar 1948 der 1. FC Köln gegründet.


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Der Stadtteil Köln-Sülz war seit seiner Entstehung ab 1844 im Zuge der Industrialisierung ein bunt gemischtes Viertel, das von Arbeitern und Handwerkern geprägt war.

Anders als die bekannten Kölner Arbeiterstadtteile Nippes, Kalk und Ehrenfeld, wo es industrielle Großbetriebe gab, waren in Sülz eher kleinteilige Industriebetriebe und Zulieferer mit bis zu 150 Beschäftigten sowie Hinterhof-Manufakturen und Handwerksbetriebe prägend.

Zudem ist Sülz stark durch die katholische Arbeiter- und Genossenschaftsbewegung geprägt (KAB, GWG Köln-Süd).  Der Unterschied zu anderen Arbeiterstadtteilen war vermutlich, dass Köln-Sülz nicht als wild wuchernder Industriestandort außerhalb von Köln entstand, sondern seit jeher zu Köln gehörte, also im Einfluss- und Gestaltungsbereich der Kirche und anderer Institutionen stand. So hat Sülz durch zahlreiche Plätze und Kleingarten-Anlagen insgesamt ein deutlich harmonischeres Stadtbild.

Peter Müller, genannt „de Aap“ (= der Affe), schlägt am 8. Juni 1952 in Köln den Ringrichter Max Pippow k.o.

Boxer aus der roten Palanterstraße

Doch es gab auch eine rebellische Zone: In der nahe gelegenen Palanterstraße befand sich sowohl in der Weimarer Zeit das rote Herz von Köln-Sülz – hier war an der Ecke Ägidiusstraße auch das KPD-Stadtteilbüro.

1967 eröffnete der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) in einem Hinterhof der Palanterstraße 5b sein Aktionsbüro, das ein Dreh- und Angelpunkt für Stundenten-, Schüler- und Bürgerrechtsproteste wurde.

Und es ist kein Wunder, dass der bekannteste Kölner Boxer, Peter Müller alias Müllers Aap, ebenfalls in der Palanterstraße 22 groß geworden ist. Sein Stil ist vom Straßenkampf geprägt.

Als ein Ringrichter ihn 1952 im Kampf um die deutsche Meisterschaft im Mittelgewicht durch ständige Ermahnungen und Maßregelungen aus dem Rhythmus brachte und ihn obendrein als Zigeuner titulierte, schlug Müllers Aap den Referee kurzerhand k.o. Der Kölner Pubikumsliebling erlangte durch diese kurze Aktion weltweite Berühmtheit, zumal er auch noch zwei in den Ring geeilte Box-Funktionäre durch die Seile bugsierte.

Bild streikender Frauen feierlich enthüllt

Jessica Reisner, Petra Vogel und Alina Iordan enthüllten ein Bild von streikenden Arbeiterinnen, das durch Spenden finanziert wurde und in den kommenden Wochen auf einem LED-Panel in unserem Schaufenster hängen wird.

Das Foto zeigt eine unbekannte 14-Jährige und die legendären Bürgerrechtlerinnen Fola LaFollette und Rose Livingston, die sich 1913 mit einem großen Textilarbeiter_innen-Streik in New York City und Rochester, NY solidarisieren:


Die neue Nachbarschaft

„Letztens fuhren wir hier abends vorbei und sahen, dass Sie noch mit Leuten im Gespräch zusammen saßen. Wir freuen uns sehr, dass das Ladenlokal jetzt so belebt ist und hier richtig etwas los ist“, so die guten Wünsche der Vermieter des Ladenlokals an der Luxemburger Str.

Wir freuen und auch über viele neue Nachbarn, die im Laufe des Nachmittags herein schauten, ein Kölsch mit uns tranken und sich über die Arbeit unserer Initiative informierten. Viele äußerten die Überzeugung, dass Initiativen für Arbeitsrechte und gegen Fertigmacher und kriminelle Unternehmer in Zeiten wie diesen dringend notwendig sind.


Ein ganz herzlicher Dank geht an Berthold Bronisz und Arbeiterfotografie für die gelungenen Fotos auf dieser Seite!


Holger Vermeer, Regionalleiter IG BAU Rheinland. „Ob im Gebäudereiniger-Handwerk oder auf der Baustelle, eine Zusammenarbeit und Vernetzung mit der aktion ./. arbeitsunrecht und der Gewerkschaft IG BAU im Sinne der ArbeitnehmerInnen ist absolut wichtig.“

Alina Iordan, aktion./.arbeitsunrecht, Würzburg: „Wer seine Rechte kennt, weiß was er wert ist!“ Auf rumänisch: „Cine isi cunoaste drepturile , știe ce are valoare!“

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Begrüßungsansprache zur Büro-Eröffnung am 21. Mai 2017

von Werner Rügemer

Dr. Werner Rügemer, Mitbegründer und Vorstandsmitglied der aktion ./. arbeitsunrecht

Liebe Freundinnen und Freunde, und, falls für diejenigen, die sich nicht vorschnell als Freundinnen und Freunde sehen, also liebe Gästinnen und Gäste,

ich begrüße euch herzlich. Wir freuen uns, dass Ihr zur Einweihung des Büros der aktion ./. arbeitsunrecht gekommen seid.

Wir, das sind zunächst die Mitglieder des Vorstands des Vereins, also Jessica, Markus, Elmar und ich, Werner. Unser fünftes Mitglied Torben aus Würzburg kann heute leider nicht hier sein.

Vor drei Jahren haben wir den Verein aktion ./. arbeitsunrecht gegründet, im Untertitel Initiative für Demokratie in Wirtschaft und Betrieb. Inzwischen haben wir über 250 Mitglieder, auch einige Fördermitglieder und Spender. Wir können damit jetzt die professionelle Tätigkeit aus dem bisherigen Küchenkabinett herausholen und dieses Büro betreiben.

Für eine wesentliche Veränderung

Für jede Revolution ist bekanntlich ein Büro notwendig, unter anderem. Bitte erschreckt nicht beim Begriff Revolution, er bedeutet „wesentliche Veränderung“, und eine solche wollen wir in den Arbeitsverhältnissen.

Diese wesentliche Veränderung ist angesichts des systemischen Arbeits-Unrechts dringend nötig. Unternehmer, ihre Vorstände, Geschäftsführer und Berater der Union Busting-Dienstleister können sich bisher millionenfache Rechtsbrüche leisten, straflos, mit Duldung und Förderung der Justiz und der Regierungen.

Neben einem Büro gibt es für die wesentliche Veränderung weitere Bedingungen. Zum Beispiel mehr Mitglieder in unserem Verein. Und zum Beispiel auch mehr Geld. Dafür liegen hier auch die entsprechenden Formulare bereit. Dieses unser erstes Büro ist natürlich nur der erste Schritt. Denn je mehr wir mit unseren bisherigen, geringen Möglichkeiten der Arbeit angefangen haben, desto mehr und zahlreicher eröffnen sich die notwendigen Aktivitäten.

Die meisten Anfragen können wir bisher nur unzureichend beantworten.

Langfristige Aktivitäten sind ebenso notwendig wie mittelfristige Kampagnen und auch kurzfristige Aktionen, zentral und dezentral. Dafür wollen wir in Zukunft Arbeitsplätze und verschiedenste Arbeitsmöglichkeiten schaffen, ein größeres Büro eröffnen, vielleicht Ortsgruppen initiieren, internationale Verbindungen knüpfen, Seminare und Veranstaltungen durchführen, ein Institut gründen, exemplarische Rechtsstreite durchziehen, Recherchen in Auftrag geben, in die öffentliche und politische Diskussion eingreifen, nur zum Beispiel.

Macht mit, beteiligt euch!

Das wichtigste dabei sind natürlich Menschen wie Ihr, mehr Menschen, die mitmachen, aus Freude, aus Überzeugung, mit Leidenschaft, mit Wissen, mit Fähigkeiten zur arbeitsteiligen Zusammenarbeit. Wir hoffen auch, dass aus unserem heutigen Zusammentreffen sich weitere Möglichkeiten und die Lust ergeben, bei uns in der einen oder anderen Form mitzumachen. Arbeitsteilig mitmachen bedeutet übrigens auch, sich selbst zu entwickeln, selbst kundiger, konfliktfähiger, stärker und übrigens auch freundlicher zu werden.

Neue Formen entwickeln und erproben

Bisherige Organisationsformen, etwa in den jetzt so gewordenen Gewerkschaften, sind für heute oft nicht geeignet, wir müssen neues entwickeln. Damit haben wir bereits angefangen, wie viele andere auch, in Deutschland, in der Europäischen Union und in anderen Regionen der Welt. Wir haben die Gegnerbeobachtung, die in den Gewerkschaften erlahmt ist, verschärft.

Der Blick muss dabei auch über den Tellerrand des kriegsgebärenden Kapitalismus hinausreichen. Auch hier geht es um eine wesentliche Änderung. Ein Ausdruck dafür ist unser Motto: Arbeitsrechte sind Menschenrechte!

Was wir im einzelnen gegenwärtig tun und planen und was euch auch zur Mitarbeit animieren soll, das werden jetzt Markus, Albert, Rainer, Jessica, Petra, Holger, Mona und Alina euch präsentieren. Ernesto wird musikalisch dazwischen funken und funkeln.

Am Ende wird uns Elmar durch den Stadtteil führen.

Herzlich willkommen!


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