IG BCE: Nachfolge-Organisation der Deutschen Arbeitsfront?

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Kein Scherz: Gewerkschafts-Ortsverein ehrt greisen Braunkohle-Kumpel für 80 Jahre Mitgliedschaft. Er war 1937 in die NSDAP-Gliederung DAF eingetreten.

Deutsche Arbeitsfront als Vorgänger der IG BCE?
KStA (Rhein-Erft) vom 6.Mai 2017. Zum Vergrößern auf Bild klicken.

Die Regional-Ausgabe Rhein-Erft des Kölner Stadt-Anzeigers wartete am Samstag, 6. Mai 2017 mit einer überraschenden Kurzmeldung auf (siehe Bild). Die Ortsgruppe Sindorf-Ahe-Heppendorf der Industriegewerkschaft  Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) hatte einen 94-Jährigen geehrt, der 1937 in die NSDAP-Unterorganisation „Deutsche Arbeitsfront“ (DAF) eingetreten war. Der KStA schreibt dazu:

Der Vorstandsvorsitzende Michael Rost und der zweite Vorsitzende Herbert Ruf gratulierten ihm. Wilhelm Odenell trat 1937 der damaligen „Deutschen Arbeitsfront“ bei. Auch nach dem Krieg gehörte der heute 94-Jährige weiter der der Gewerkschaft an, wurde Mitglied der IG BCE und arbeitete bis 1984 in der Hauptwerkstatt bei Rheinbraun.

Drei Punkte lassen den Bericht skandalös erscheinen:

  1. Der IG BCE-Ortsverein aus dem Braunkohlerevier sieht die NSDAP-Organisation „Deutsche Arbeitsfront“ offenbar als eine Art Gewerkschaft an. Dabei war die DAF keine Gewerkschaft, sondern eine undemokratische Massen-Organisation nach dem Führer-Prinzip, die Streiks, Mitbestimmung und Betriebsräte strikt ablehnte.
  2.  Die IG BCE betrachtet die Deutsche Arbeitsfront offenbar als eine Art Vorgänger-Organisation, deren Mitgliedschaft bei Jubiläen und anderen Anlässen angerechnet wird.
  3. Die Regional-Redaktion Bergheim des Kölner-Stadt-Anzeiger druckt diesen Stuss auch noch ungefiltert und unkritisch ab.

Es ist sicher verfrüht, in dieser Peinlichkeit mehr zu sehen als Geschichtsvergessenheit, mangelnde Bildung und ein Absinken journalistischer Qualität. Wir sind gespannt, was weitere Recherchen ergeben.

[Hans-Gerd Öfinger hat zu dem Thema – ausgehend von diesem Blogbeitrag – einen Artikel in der Tageszeitung Neues Deutschland vom 19.5.2017 verfasst.]

Wie braun ist die deutsche Kohle?

Zudem sei daran erinnert, dass manche Kohle-Kumpel und ihre Gewerkschafts-Sektionen mit dem Niedergang der Branche seit den 1980er Jahren stark nach rechts gerutscht sind. Ein Aushänge-Schild der rassistisch-populistischen AfD in Nordrhein-Westfalen ist der Essener Bergmann und IG BCE-Gewerkschafter Guido Reil (siehe unser Hintergrund-Beitrag zum AfD-Arbeitnehmer-Flügel).


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Manche der übrig gebliebenen Bergleute erwarten von einem nationalistischen „starken Staat“ möglicherweise Subventionen ihrer Branche und ein hartes Durchgreifen gegen Öko- und Klimaschutz-AktivistInnen. Als Vorbild könnte die Propaganda Donald Trumps in den USA dienen, die Klimawandel-Leugner mit Bergbau-Malochern und Zechen-Romantikern zusammen bringt.

Zum anderen ist die rheinische Braunkohle historisch eng mit dem Aufstieg der Nazis verwoben – man betrachte die Aktivitäten des Rheinbraun-Chefs Paul Silverberg in der Weimarer Zeit (siehe unten).

Geschichtliche Hintergründe zum Nachlesen

DAF: Anti-Gewerkschaftsorganisation mit Zwangs- und Terror-Charakter

Deutsche Arbeitsfront als Vorläufer der IG BCE?
DAF-Führer Robert Ley spricht am 6.2.1942 im Berliner Sportpalast beim Appell der Betriebsgemeinschaft Siemens zur Eröffnung der „Leistungssteigerungs-Aktion“ im Gau Berlin. (Quelle: Wikicommons)

Wikipedia schreibt zur Deutschen Arbeitsfront:

Die DAF wurde am 10. Mai 1933 nach Auflösung der freien Gewerkschaften gegründet. Deren Vermögen wurde zugunsten der DAF beschlagnahmt und das Streikrecht abgeschafft. Der Führer der DAF, Robert Ley, war von Hitler persönlich mit der Zerschlagung der Gewerkschaften beauftragt worden.

Im Oktober 1934 wurde die DAF offiziell der NSDAP angeschlossen. Sie war nach dem Führerprinzip, bis hinab zum Blockwart, gegliedert.
Die DAF sollte die deutschen Arbeiter in das neue „Dritte Reich“ integrieren und damit ihren bisherigen Organisationen den Boden entziehen. (https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Arbeitsfront)

Die deutsche Kohle und die historischen Nazis

Die Rheinisch-westfälischen Kohle-Unternehmer, ihre Konzerne, Verbände und Syndikate gehörten zu den energischsten Befürwortern und Förderern Adolf Hitlers. Das lag sicher auch an der Stärke der Gewerkschaften und Betriebsräte im Bergbau, die seit dem großen Bergarbeiter-Streik von 1889 zu einer der stärksten Bastionen von Sozialisten und Kommunisten in der deutschen Wirtschaft aufgestiegen waren.

Die Zerschlagung von Arbeiter-Organisationen war das erste Ziel der Kohle-Barone, üppige Kriegsgewinne und die Eroberung ausländischer Kohlegebiete das nächste.  

Am wichtigen Geheimtreffen vom 20. Februar 1933 mit Adolf Hitler nach dessen „Machtergreifung“ nahmen u.a. folgende Kohle-Magnaten teil:  Ernst Tengelmann, Vorstandsvorsitzender der Gelsenkirchener Bergwerks-AG, Karl Büren,  Generaldirektor der Braunkohlen- und Brikett-Industrie AG, Hugo Stinnes junior, Mitglied des Aufsichtsrats des Rheinisch-Westfälischen Kohlen-Syndikats, Hans von und zu Löwenstein, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Bergbauvereins, Erich Fickler, Generaldirektor der Harpener Bergbau AG, Aufsichtsratsvorsitzender Rheinisch-Westfälisches Kohlen-SyndikatPaul Stein, Vorsitzender und Generalbevollmächtigter der Gewerkschaft Zeche Auguste Victoria in Marl-Hüls, Herbert Kauert, Vorstandsmitglied der Gelsenkirchener Bergwerks-AG) ( https://de.wikipedia.org/wiki/Geheimtreffen_vom_20._Februar_1933 )

Rheinbraun-Chef für die NSDAP

Der Kölner Braunkohle-Unternehmer Paul Silverberg
„Kampf auf Leben und Tod in die Arbeiterköpfe hinein gehämmert“ Der Kölner Braunkohle-Unternehmer Paul Silverberg unterstützte die Nazis schon ab 1929.

Eine besonders bizarre Rolle nahm der Rheinbraun-Chef Paul Silverberg ein. Er war als einer der einflussreichsten Kölner Industriellen der Weimarer Zeit ein Befürworter der Nazis, obwohl er nach deren Rasse-Ideologie als waschechter Jude galt – dass seine jüdischen Eltern ihn evangelisch taufen ließen, sollte ihm später nicht helfen. 

Werner Rügemer schreibt über Silverberg: „Er gehörte mit Fritz Thyssen zu den ersten führenden Unternehmern, die sich schon frühzeitig in der Weimarer Republik für Hitler einsetzten. Schon während der Weltwirtschaftskrise unterstützte der Rheinbraun-Chef die NSDAP finanziell. Er polemisierte öffentlich gegen die „doktrinären marxistischen Gewerkschaftsführer“.

Den Nationalsozialisten bescheinigte er dagegen, sie seien keine Doktrinäre, sie hätten vielmehr erkannt, dass die deutsche Industrie neue Märkte brauche, dass dies ein Kampf auf Leben und Tod sei und nur gewonnen werden könne, wenn die deutschen Arbeiter mitziehen – diese Überzeugung habe die NSDAP wirkungsvoll in die Arbeiterköpfe hinein gehämmert.

[…] Silverberg verstand es dann nicht, dass er ab März 1933 innerhalb von zwei Monaten wegen seiner ihm nun plötzlich öffentlich auferlegten Eigenschaft als Jude von seinen bisherigen Geschäftsfreunden gnadenlos abserviert wurde. Dass er sich für Hitler eingesetzt hatte, half ihm nichts. Er wurde aus allen Aufsichtsräten und aus allen Funktionen in der Unternehmerlobby entfernt.“ (http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=12156)

Silverberg emigrierte 1934 in die Schweiz, wo er bis zu seinem Tod 1959 lebte. (https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Silverberg)


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