Lufthansa-Streik: Union Scabs und Lehre der Leere

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Zurück ins Jahr 1865: Gelbe Lufthansa-Betriebsräte organisieren Anti-Streik Demo am Frankfurter Flughafen

Ein Kommentar von Elmar Wigand

Lufthansa Streik Anti-Cockpit Demo 30.11.2016
Das gefällt der Presse: Anti-Streik-Demo in Frankfurt (Bildschirmfoto, Tagesspiegel, 30.11.2016, Ausschnitt)

Es gibt – ganz grundsätzlich gesprochen – zwei Arten, die Geschichte der Menschheit zu betrachten. Einerseits schreitet sie beständig voran. Durch technologischen Fortschritt: Selbst Flüchtlinge in Schlauchboten tragen heute Adidas-Rucksäcke und sind über Smartphones vernetzt.

Andererseits dreht sich die Geschichte doch beständig im Kreise. Ein schönes Beispiel für die Auffassung, dass wir – seit unsere Vorfahren sich entschieden, von den Bäumen zu kommen und den aufrechten Gang zu üben – möglicherweise in einem Rad der ewigen Wiederkehr gefangen sind, lieferte am 30. November 2016 ein gewisser Rüdiger Fell.

Fell sitzt im Betriebsrat des Frankfurter Flughafens und organisierte mit seiner Gruppierung Vereinigung Boden eine Anti-Streik-Demo von rund 200 empörten, braven Flughafen-Beschäftigten, die sich einer ungefähr ebenso großen Streikversammlung der Piloten-Gewerkschaft Vereinigung Cockpit entgegen stellten (FAZ, 30.11.2016).


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Selbsthass der arbeitenden Klasse

Solche Ereignisse gibt es seit Bestehen der Arbeiterbewegung und sie gehören zu den demütigendsten Beispielen für Selbsthass und Verwirrung innerhalb der arbeitenden Bevölkerung. Im Englischen würden gelbe Betriebsratsmitglieder wie Rüdiger Fell, Andreas Scholz und ihresgleichen als „Union Scabs“ bezeichnet – was im deutschen mit „Streikbrecher“ nur unzureichend übersetzt ist. Britische wie amerikanische Arbeiter verziehen beim Aussprechen des Wortes den Mund, als hätten sie saure Milch geschluckt, meist fällt auch das Adjektiv „lousy“.

Es waren die üblichen Frame-Elemente zu hören, die von arbeitgebernahen Stichwortgebern wie Bild, Manager-Magazin, FAZ bei allen effektiven Streiks reproduziert werden: Streik als Geiselnahme, hohe Lohnforderungen als unsolidarische Privilegien einer kleinen Berufsgruppe (Partikular-Interessen), Nestbeschmutzung und Rufschädigung, gar mutwillige Zerstörung des Unternehmens.

Reflexartig ist seit einigen Jahren auch der Ruf nach autoritärem Durchgreifen zu hören: Streikverbote in der Daseinsvorsorge. Und das ist kein Spaß: 2010 beendete das Militär in Spanien einen Fluglotsenstreik, nachdem die Regierung den Notstand ausgerufen hatte (rp-online, 6.12. 2010).

Ist noch Suppe da? Die Lehre von der leeren Schüssel

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Die Internationale Arbeiter-Assoziation gründete sich im Jahr 1864 in London, um sich gegen den Länder übergreifenden Einsatz von Streikbrechern zu koordinieren (siehe: deutschlandfunk.de).

Für mich als Union Busting-Forscher war von den vorgebrachten Versatzstücken nur eines neu. Fell ließ verlauten:

»Was immer die Piloten herausholen, muss am Ende des Tages an anderen Stellen im Unternehmen gegenfinanziert werden«

(Junge Welt, 1.12.2016). In der Schüssel ist nur eine begrenzte Menge Suppe – mit dem Argument sprang Fell quasi direkt ins Jahr 1865 zurück. Damals hielt Karl Marx ein Grundsatzreferat vor der Internationalen Arbeiterassoziation, das als „Lohn, Preis, Profit“ bekannt wurde (mlwerke.de).

Marx trat irrigen Auffassungen entgegen, die sich damals unter Sozialisten breit machten und von Fells historischem Vorgänger, einem „Bürger Weston“, propagiert wurden: Hohe Lohnforderungen bei Streiks seien verkehrt, weil die Lohn-Suppe volkswirtschaftlich nun einmal begrenzt sei, so dass erfolgreiche Gewerkschaften lediglich den weniger kampfstarken Branchen ihren Anteil weg nähmen. Damals wurde Karl Marx wohl klar, dass er nochmal ganz von vorn anfangen müsste. Sein Vortrag geht bis zum römischen Patrizier Menenius Agrippa zurück und dauerte mehrere Stunden.

Profit umverteilen? Mit großen Löffeln!

Nun ist der Suppe in der Luftfahrt-Branche tatsächlich begrenzt, mag man einwenden. Vom ökologischen Standpunkt ist sogar zu wünschen, dass die Schüssel kleiner wird. Hier kommt der Profit ins Spiel. Profit ist einbehaltener Lohn. Ihn gilt es umzuverteilen und davon hat die Lufthansa offenbar noch eine ganze Menge, genau 1,4 Milliarden im Jahr 2016, 5 Milliarden in den letzten fünf Jahren (Vereinigung Cockpit, 14.11.2016).

Karl Marx‘ Botschaft an die Bürger Fell & Weston war :

»Wenn irgend etwas die Arbeiter hindert, mehr aus der Schüssel herauszuholen, ist es weder die Enge der Schüssel noch die Dürftigkeit ihres Inhalts ist, sondern einzig und allein die Kleinheit ihrer Löffel.«

Der Umkehrschluss wäre außerdem irrsinnig: Wenn die Lufthansa-Piloten nicht erbittert Widerstand leisteten, würde das Management seine aggressiven Manöver zur Zerschlagung des ehemaligen Staatsbetriebs und zur Auslagerung möglichst vieler Bereiche an Billig-Airlines keineswegs stoppen, sondern mit doppelter Wucht betreiben. Wer daran zweifelt, möge das Schicksal der Deutschen Post AG im Zeitalter von McKinsey betrachten (siehe: Nominierung zum Schwarzen Freitag, 13. Mai 2016).


Der Beitrag erschien in leicht gekürzter Form am 3.12.2016 in der Tageszeitung Neues Deutschland,


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5 Kommentare

  1. Wenn, um für die Gelder für Piloten zu sparen, in der Technik die Arbeitszeit erhöht wird für ggf. weniger Geld und dadurch Fehler entstehen, weil sie nicht mehr so ausgeruht und entspannt sind, dann kann das kein noch so entspannter und gut ausgebildeter Pilot wieder retten. Also Herr Wigand, bleiben Sie lieber am Boden!!!

  2. Den großen Löffel halten Aktionäre und Management. Wenn Teile des Bodenpersonals ihren Löffel Weg gelegt haben, können Sie nicht erwarten von anderen Berufsgruppen mit der Schöpfkelle versorgt zu werden.

  3. Merkwürdig einseitiger Kommentar!
    Jemand der Solidarität fordert sollte doch auch selbst solidarisch sein, oder?
    Schon als die hochverdienenden piloten sich outsourcten fand ich die Reaktion der linken (hüstel) Gewerkschaften merkwürdig und komplett unsokidarisch….
    Hat es jemals gegeben dass wenn höhere Manager richtig viel Geld mehr bekamen, dass dann die Putzfrau auch richtig viel bekam?
    Piloten legen ein Land lahm und Solidarität ist gefragt, Kindergärtnerinnen streiken und alles drückt auf die Tränendrüse weil die Werktätigen nicht so verfügbar sind!

    Wie wärs mit ner statistik wie viele Stellen wegen der erhöhten Pilotenkosten „sozial ausgeglichen“ wurden und wie viel weniger dann die Vorstandsetagen bekamen?

    Schon damals dachte ich: es gibt zuviele „Piloten“ die sich aus den Gruppen aussondern und von anderen Solidarität und Unterstützung erpresserisch einfordern!

    • Liebe Marla Meyer,

      Kommentare dürfen bzw. sollen ruhig einseitig sein. Das gehört sozusagen zu deren Definition. Ferner ist auch die Aufgabe dieses Blogs nicht „ausgewogene“ Berichterstattung. Wir stehen auf der Seite von Beschäftigten und Gewerkschaften.

      Dass die Piloten das Land lahmlegen ist ja wohl Mumpitz. Sie legen die Lufthansa lahm. Ich bin mit denen noch nie geflogen und bevorzuge die Bahn.

      Wenn ich aber mal wieder fliegen sollten, dann will ich gut ausgebildete, entspannte, hoch qualifizierte Piloten haben. Sonst kriege ich Angst.

      MfG
      Elmar Wigand

  4. GDL und der Hass von vielen in Deutschland auf den Vorsitzenden der Gewerkschaft lässt grüßen. Kürzlich lag ein älterer Herr von über 80 Jahren in einer Bankfiliale am Boden, mehrere, so die Kameras vor Ort, zeigten Kunden, die über den Herren, welcher wenig später im Krankenhaus verstarb hinweg stiegen?

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