Betriebsräte, Gewerkschafter, Arbeitsrechtler und Aktivist*innen beratschlagen in Köln
Pressemitteilung, 8.10.2018
PROGRAMM | ERÖFFNUNGSREDE WERNER RÜGEMER
Am Wochenende des 6.+7. Oktober wurde in der Nähe von Köln Geschichte geschrieben: Über 50.000 Menschen protestierten am Hambacher Forst und feierten den vorläufigen Rodungsstopp.
Eine kleine Runde aus 50 Personen kam indes im Bürgerzentrum Alte Feuerwache zusammen, um über Arbeitsrechte als Menschenrechte und den Schutz von Betriebsräten in Deutschland zu diskutieren.
Immer wieder nahmen Referent*innen und Kongressteilnehmer positiv Bezug auf die beeindruckende Bewegung, die über die letzen Monate in der traditionell eher bewegungsarmen Region hinter Kerpen entstanden ist. In seiner einleitenden Rede sandte Werner Rügemer solidarische Grüße in den Hambacher Forst. Er konstatierte, dass Arbeitsrechte in Deutschland in vielfacher Hinsicht ein unterschlagenes, verfälschtes und ignoriertes Thema seien (Arbeitsrechte als Menschenrechte erkämpfen!).
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Konferenzteilnehmer stellten wiederholt die Frage, wie es gelingen könnte, eine ähnliche Mobilisierung wie am Hambacher Forst für die Rechte von Beschäftigten und Betriebsräten auf die Beine zu stellen. Die Antwort war schnell gefunden, ist aber nicht von heute auf morgen umzusetzen: Dafür ist – neben Öffentlichkeitsarbeit, spektakulären Aktionen und zugespitzten Konflikten – eine beharrliche Organisierung sowohl im Hintergrund wie im Vorfeld nötig: das Schaffen von Bündnissen, Netzwerken und Strukturen.
Der Verein aktion ./. arbeitsunrecht, der sein Büro in der Luxemburger Straße 176 in Köln hat, machte mit der 1. politisch-juristischen Fachkonferenz einen Schritt in diese Richtung. Es kamen Gewerkschafter*innen, Betriebsratsmitglieder, Arbeitsrechtler*innen, Sozialforscher und Bürgerrechtler aus ganz Deutschland zusammen, um Vorträge zu hören, sich auszutauschen und zu diskutieren.
Manche waren weit gereist aus Berlin, Hamburg, Bremen, München, Mannheim. Darunter waren hautpamtliche Gewerkschafter*innen der IG Metall, von ver.di und der NGG, Betriebsratsmitglieder aus dem Einzelhandel, dem Hotelgewerbe, der Postzustellung, der Metallindustrie, dem öffentlichen Dienst, ehrenamtliche Funktionsträger des DGB und Referenten von gewerkschaftsnahen Bildungsträgern.
Schlüsselposition Rechtsanwalt für Arbeitsrecht
Eine große Gruppe bildeten über zehn Rechtsanwält*innen verschiedener Kanzleien. Arbeitsrechtler nehmen als Berufsgruppe eine zentrale Rolle in der Verteidigung von Betriebsräten ein, da sie oftmals – mitunter auch notgedrungen – eine Schaltstelle zwischen Gewerkschaften, Solidaritätskomitees und ihren Mandanten bilden (müssen).
Die Unternehmensseite rüstet im Arbeitsrecht seit Jahren massiv auf, so dass die Rechtsanwälte auf Seiten der Beschäftigten heute weitaus stärker gefordert sind. Oft müssen sie neben juristischer Expertise und Findigkeit auch Öffentlichkeitsarbeit, individuelles Coaching, Lebensberatung und strategische Konfliktführung im Betrieb im Portfolio haben.
Mitunter ist es nicht einfach, die unterschiedlichen Interessenlagen unter einen Hut zu bringen, gelegentlich gar unmöglich. Ein kritisches Podiumsgespräch von RA Daniel Weidmann mit Elmar Wigand zum Thema „erhöhte Abfindungen für Betriebsräte“ gehörte zu den Höhepunkten der Konferenz – auch durch die Beteiligung zahlreicher erfahrener Rechtsanwält*innen an der anschließenden Diskussion.
Union Busting Methoden und Schwierigkeiten der Gegenwehr
Der Bielefelder Rechtsanwalt Stefan Chatziparaskewas referierte zu neuen Vorgehensweisen von Groß-Kanzleien. Sie werden von Konzernen mit scheinbar unbeschränkten Ressourcen ausgestattet, können Teams von fünf und mehr Anwälten für die Vorbereitung einzelner Arbeitsgerichts-Termine einspannen und überfordern sowohl Richter als auch Rechtsanwält*innen auf Beschäftigtenseite gezielten mit aufgeblasenen Schriftsätzen über viele hundert Seiten, die mehrere Aktenordner füllen. Hinzu kommt, dass in dieser Liga nicht mehr nur Beschäftigte, sondern mitunter sogar Arbeitsrichter mit hanebüchenen Schadenersatzforderungen bedroht und unter Druck gesetzt werden.
In einem von RA Martin Bechert und Elmar Wigand moderierten Workshop besprachen die Teilnehmer*innen anschließend wirksame Gegenstrategien. Besonders deutlich wurde dabei, dass neben einem langen Atem vor allem auch schnelles Handeln notwendig ist.
Elmar Wigand analysierte die Union Busting-Methoden eines Helmut Naujoks anhand erfolgreicher Betriebsratsbehinderung am Frankfurter Flughafen und bei der Meyer-Werft in Papenburg. Die Kampaignerin Jessica Reisner zog eine Bilanz des Aktionstags Schwarzer #Freitag13, der seit dem 13. März 2015 bislang siebenmal stattfand und gruselige Arbeitsbedingungen bei ausgewählten Unternehmen skandalisierte.
Die Stimmung war konstruktiv, wenngleich nicht ohne Kontroversen, insbesondere wenn es um das schwierige Verhältnis von selbst organisierten Protesten und hauptamtlichen Gewerkschaftsapparaten ging. Die Teilnehmerinnen waren sich einig, dass ein stärkerer Fokus gelegt werden sollte auf Mobilisierung der Öffentlichkeit, Bewusstseinsbildung, intensive Recherche zu aggressiven Unternehmen, ihren Achillesfersen und Verstrickungen in schmutzige, möglicherweise illegale Geschäfte und Praktiken.
Am Samstag, 6. Dezember 2018 trug Werner Rügemer seine Recherche-Ergebnisse zur Novemberrevolution 1918 in Köln vor, deren Arbeiter- und Soldatenräte die Urform der Betriebsräte in Deutschland bildeten. Die Festungsstadt Köln war im 1. Weltkrieg einer der wichtigsten Rüstungsstandorte für die Feldzüge gen Frankreich und Belgien. Die Revolution, die das massenhafte, sinnlose und für Deutschland nicht zu gewinnende Morden beendete, erreichte Köln zwar recht schnell, blieb hier allerdings – anders als in Berlin oder München – gleichermaßen unblutig wie ergebnislos. Hinter den Kulissen ließen zwei prominenten Figuren alle Versuche, eine sozialistische Räterepublik auch in Köln zu erreichten, gezielt ins Leere laufen: der Zentrumspolitiker, Oberbürgermeister und spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer und der Publizist Wilhelm Sollmann (Rheinische Zeitung, SPD). Der Frankfurter Sänger und Gitarrist Ernesto Schwarz streute Lieder der aufständischen Matrosen ein, zudem den zeitgenössischen Song „Organisieren“, der von einem Amazon-Arbeiter aus Leipzig geschrieben wurde.
Bei der öffentlichen Podiumsdiskussion am Sonntagnachmittag, dem 07.10. trat unter anderem Alexander Simon von der Kampagne Make Amazon Pay auf, die den mittlerweile 5 Jahre andauernden Kampf der Beschäftigten für bessere Arbeitsbedingungen durch gezielte Störaktionen und Protest unterstützt. Dabei war auch Benedikt Hopmann, der schon im Fall Emmely mit einem Solidaritäts-Komitee zusammen arbeitete und der die Buchreihe Widerständig im VSA-Verlag heraus gibt. Zwei Betriebsratsmitglieder schilderten ihre abenteuerliche Betriebsratsgründung, mit anschließendem Streik und Union Busting in einem in einem typisch Berliner Unternehmen, wo die Chefs ihre Untergebenen routinemäßig umarmen, duzen und Überstunden schwarz und in bar auszahlen.
Resümé: Gut gelungen. Sollte wiederholt werden
Der Berliner Anwalt Benedikt Hopmann, der zahlreiche Arbeitsrechtsfälle bis vor das BAG und den Europäischen Gerichtshof gebracht hat, lobte den offenen Diskussionsstil und das Format der Konferenz:
Die Idee Anwälte, Betriebsräte und Gewerkschafter gezielt zusammen zu bringen, hat mir sehr gut gefallen.
Der Vorstandsvorsitzende der aktion ./. arbeitsunrecht, Werner Rügemer, äußerte sich hoch zufrieden:
Die Konferenz hatte ein hohes inhaltliches Niveau.
Auch die Kampaignerin Jessica Reisner war positiv gestimmt:
Unser Konzept ist aufgegangen: Wir wollten einen Rahmen schaffen, der nicht zu groß sein sollte, um intensiv zu diskutieren und gezielt Teilnehmer*innen anspricht, die bereits viel Erfahrung mit der Angriffen auf Betriebsräte haben und entsprechender Gegenwehr. Das hat sehr gut geklappt.
Die aktion ./. arbeitsunrecht freute sich, zahlreiche neue Mitglieder in ihren Reihen begrüßen zu dürfen, die während der Konferenz beitraten.
Der Verein plant, für den Herbst 2019 eine Nachfolgeveranstaltung. Aus den Vorträgen und Referaten soll eine Broschüre entstehen, die Beiträge werden in den kommenden Wochen nach und nach auf der Website https://arbeitsunrecht.de veröffentlicht.
Wer steht dahinter?
Die aktion ./. arbeitsunrecht hat sich 2014 gegründet. Sie geht auf Forschungen von Werner Rügmer und Elmar Wigand zu Union Busting in Deutschland zurück, die von der IG-Metall-nahen Otto Brenner Stiftung veröffentlicht wurden (OBS AH 77). Der Verein ist bundesweit aktiv für Arbeitsrechte, Koalitionsfreiheit, industrielle Demokratie und betriebliche Mitbestimmung.
Die aktion ./. arbeitsunrecht hat 2017 den taz.panter Preis der Jury gewonnen.