Union Busting-News mit Jessica Reisner. Arbeitsunrecht und Betriebsratsbehinderung in Deutschland.
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Lidl / Union Busting im Lager Herne
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Vivantes / Betriebsrat verteidigt Compliance-Abteilung gegen Geschäftsführung
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Tesla / Betriebsrat stimmt Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes zu
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Schweizer Renten / Abstimmung für 13. Rente und gegen späteren Renteneintritt
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Razzien Baugewerbe / Kettenbetrug aufgedeckt
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Protest bei NGG / Lieken-Beschäftigte überreichen Kündigungen
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Pflichtarbeit / 80 Cent Stundenlohn für Geflüchtet im Saale-Orla-Kreis
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Union Busting im Lidl Lager Herne
Herne, Nordrhein-Westfalen: Schon drei mal versuchte das Lidl-Management dem Betriebsratsvorsitzenden im Lager Herne zu kündigen. Bislang scheiterte jeder der Kündigungsversuche. Das berichtet Webseite Workwatch. 1 Im Hintergrund geht es unter anderem um eine bessere Eingruppierung der Angestellten, transparente Verteilung von Überstunden, beschäftigtenfreundliche Schichteinteilungen und den Umzug in ein neues Verteil-Lager. Der Betriebsrat fordert, dass hierbei die Interessen der Beschäftigten berücksichtigt werden.
39 Lidl-Lager versorgen in Deutschland mehr als 3000 Lidl-Filialen. Nur in 4 der 39 Lidl-Lagern gibt es einen Betriebsrat. In den 3000 Filialen dagegen soll es laut dem Bericht keinen einzigen Betriebsrat geben. Insgesamt arbeiten in Deutschland rund 100.000 Menschen in diesen demokratiefreien Zonen von Lidl.
Der seit 2022 in Herne eingesetzte Geschäftsführer Abdelaziz Bouchkhachakh hatte laut workwatch vor seinem Einsatz in Herne in einem Lidl-Lager in Kamp-Lintfort gearbeitet. Der zunächst existierende Betriebsrat in Lager Kamp-Lintfort wurde allerdings aufgelöst. Danach wechselte Bouchkhachakh nach Herne.
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Unser Beobachtung nach ist es im Union Busting durchaus üblich, dass besonders willige Demokratiegegner an verschiedenen Standorten eingesetzt werden, um gegen aktive Betriebsräte und Betriebsratsmitglieder vorzugehen.
Vivantes: Betriebsrat verteidigt Compliance-Abteilung gegen Geschäftsführung
Berlin: Der Vivantes -Betriebsrat verschickte Mitte Februar 2024 ein Schreiben an alle 18.000 Beschäftigten des Klinikbetreibers. Darin berichtet der Betriebsrat, dass ihm mehrere Beschwerden aus dem Compliance-Team vorliegen. Mitarbeitende der Compliance-Abteilung werden demnach von der Geschäftsführung bei ihrer Arbeit behindert. Darüber berichtet der rbb. 2
Die Compliance-Abteilung soll Missstände aufklären, bei denen Unternehmensregeln nicht eingehalten wurden. Solche Vorgänge könnte es bei Vivantes durchaus geben. Dabei geht es unter anderem um die Vergabe von Bauaufträgen. Es steht aber auch im Raum, dass Dienstpläne nachträglich manipuliert wurden, um mehr Personal vorzutäuschen, als tatsächlich auf den Stationen gearbeitet hat. Damit könnten beispielsweise Stationsschließungen verhindert worden sein.
Statt bei der Aufklärung zu unterstützen, sollen die Vivantes-Geschäftsführung und ein Ressortleiter gegenüber Mitarbeitenden der Compliance-Abteilung beleidigend aufgetreten sein. An- und Nachfragen würden sogar gänzlich ignoriert. Die Geschäftsführung verbaue dem Compliance-Team zunehmend die Arbeitsgrundlagen. Sogar von „verbalen Angriffen auf die Kolleginnen und Kollegen der Compliance-Abteilung“ ist die Rede.
Dazu der Betriebsrat in dem Rundschreiben: „Wir fragen uns auch, ob eine unabhängige und funktionierende Compliance überhaupt gewollt ist“. Der Betriebsrat befürchtet, dass die Compliance-Abteilung nur auf dem Papier bestehen soll.
Eine kürzlich in der Probezeit gekündigte Mitarbeiterin der Compliance-Abteilung hat indes beim Betriebsrat eine Beschwerde gegen ihre Kündigung eingereicht. In einer mündlichen Begründung der Kündigung hieß zunächst, dass ihr Lebenslauf nicht zur Neuausrichtung der Abteilung passe. Später lautete die schriftliche Begründung, sie habe die Erwartungen nicht erfüllt. Von ihren Vorgesetzten in der Compliance-Abteilung hatte sie allerdings positive Rückmeldungen erhalten.
Ihre Kündigung sei ein schlechtes Signal an alle Hinweisgeber*innen im Unternehmen, sagt die Gekündigte.
Tesla: Betriebsrat stimmte Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes zu
Grünheide, Brandenburg: Der unternehmensnahe Betriebsrat im Tesla-Werk in Grünheide stimmte der Kündigung des Betriebsratsmitgliedes Gunnar zu. Darüber berichtet die Tageszeitung neues deutschland.3
Eigentlich ist das ein ungeheuerlicher Vorgang, denn aktive und selbstbewusste Betriebsräte stimmen selbstverständlich niemals einer Kündigung zu. Bei Tesla liegt der Fall anders. Denn Führungskräfte initiierten im Februar 2022 im Brandenburger Werk eine Betriebsratswahl. Da hatte der produzierende Anteil der Belegschaft die Arbeit noch gar nicht aufgenommen. Es gewann erwartungsgemäß eine unternehmensnahe Liste, auf der auch der gekündigte Gunnar kandidiert hatte.
Nachdem seine Mitgliedschaft in der IG Metall bekannt wurde, setzte das Management Gunnar zunehmend unter Druck. Ein IG-Metall-Funktionär schildert im »nd« die Kultur im Betriebsrat als sehr hierarchisch und intransparent den Mitgliedern gegenüber. Wichtige Dokumente habe der Betriebsrat nicht Allen zugänglich gemacht.
Gunnar hat sich im Dezember 2023 allerdings für einen Vergleich inklusive Schweigeklausel entschieden. Ein Sieg auf ganzer Linie für die Union Buster und ein verheerendes Signal an die gewerkschaftlich aktiven Kolleginnen und Kollegen bei Tesla.
Die Belegschaft könnte den unternehmensnahen Betriebsrat allerdings bald abwählen. Denn die nächste Betriebsratswahl bei Tesla steht unmittelbar bevor. Allerdings wollte der Wahlvorstand hier vielleicht tricksen. Nach dem Produktionsstopp bis einschließlich 11. Februar 2024 hätten Kandidatinnen und Kandidaten nur vier Tage Zeit gehabt, um einen Wahlvorschlag zu erstellen und Unterschriften zu sammeln. Die IG Metall konnte diesen Plan des Wahlvorstands am Arbeitsgericht Frankfurt Oder jedoch per einstweiliger Verfügung stoppen. 4 5
Der Grund für den Produktionsstopp im Februar 2024 waren Angriffe der jemenitischen Huthis auf Container-Schiffe im Roten Meer. Sie hatten damit einen Liefer-Engpass verursacht.
Aktuell gibt es seit dem Morgen des 05. März 2024 erneut einen Produktionsstopp bei Tesla in Grünheide. Grund ist ein Anschlag auf die Stromversorgung des Werks. Es liegt ein Bekennerschreiben der Vulkangruppe Tesla Abschalten! vor, das auf der Seite de.indymedia.org veröffentlicht wurde.5.1 Die Vulkangruppe bezieht sich in ihrem Schreiben ausdrücklich auch auf die schlechten Arbeitsbedingungen, Arbeitsunfälle und Behinderung der Betriebsratsarbeit im Tesla-Werk Grünheide. Der Produktionsstopp bei Tesla wird laut Geschäftsführung mehrere Tage dauern.6
Schweizer Renten jetzt mit Inflationsausgleich
Schweiz: Die Schweizerinnen und Schweizer stimmten Anfang März 2024 über gleich zwei Rentenfragen ab:
1. Sollten Rentnerinnen und Rentner eine 13. Rente erhalten?
2. Sollten Schweizer Lohnabhängige später Rente in gehen?
Die 13. Rente sollte inflationsbedingte Verluste ausgleichen. Über 58% der Schweizer Stimmberechtigten stimmten für die 13. Rente. In den französisch- und italienischsprachigen Regionen der Schweiz lag die Zustimmung sogar bei mehr als 70, zum Teil mehr als 80 Prozent. Darüber berichtet die Tagesschau.7
Die sogenannte AHV-Rente – die erste Säule der Altersversorgung in der Schweiz wird nach dem Wahlergebnis auf einen Schlag um 8,3 Prozent erhöht. Die AHV-Rente ist eine Art Grundrente für Alle von derzeit maximal 2.450 Franken. Alle in der Schweiz Erwerbstätigen zahlen hier ein. Anders als in Deutschland zahlen auch die Beamten in die Rentenkasse. Das ordentliche Renteneintrittsalter, wie es in der Schweiz heißt, liegt bei 65 Jahren.
Die Sensation liegt in folgendem Punkt: Bislang konnten die Schweizer Wirtschaftsverbände Abstimmungen zum Ausbau des Sozialstaates immer kontern. Mantramäßig hatten die Wirtschaftsverbände zu diesem Zweck das Kosten-Argument penetriert. Das positive Abstimmungsergebnis wird deshalb als Zeitenwende begriffen.
Schweizer Jungliberale hatten dagegen vorgeschlagen nicht die Rente, sondern das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Diesen Vorschlag schmetterten die Schweizerinnen und Schweizer mit 75 Prozent „Nein“-Stimmen ab.
Der Politikwissenschaftler Urs Bieri hat eine Vermutung, was die Abstimmung beeinflusst haben könnte: die Schweizerinnen und Schweizer erlebten 2023 , wie schnell die Schweiz der Skandalbank Credit Suisse mit milliardenschweren Garantien zur Seite stand. Uns würde das freuen. Denn auch in Deutschland sind Gelder ja durchaus vorhanden. Sie werden jedoch nicht ausreichend in Belange der Bevölkerung und soziale Absicherung investiert.
Razzien Baugewerbe: Kettenbetrug aufgedeckt
Deutschland: Bei Razzien gegen Schwarzarbeit in der Baubranche in mehreren Bundesländern kam es Ende Januar 2024 zu Festnahmen. Mehr als 800 Einsatzkräfte hatten zeitgleich 90 Wohn- und Geschäftsräume in Hessen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen durchsucht. Darüber berichtet die Webseite der Tagesschau.8
Nach Angaben des Hauptzollamtes in Gießen wurde unter anderem in Mainz die Wohnung und die Baufirma eines 57-jährigen Mannes durchsucht. Bei der Razzia seien zahlreiche Beweismittel sichergestellt worden, darunter Computer und Mobiltelefone, 70.000 Euro Bargeld, mehrere Waffen sowie drei Fahrzeuge im Gesamtwert von rund 100.000 Euro. Die Beamten nahmen den Mann und neun weitere Personen fest. Im Fokus stehen außerdem 34 weitere Personen, gegen die ermittelt wird.
Die Tätergruppen sollen in ein Kettenbetrugsgeflecht aus mehreren Firmen miteinander verstrickt gewesen sein. Bei einem Kettenbetrug wird Schwarzgeld generiert. Das funktioniert über vorgetäuschte Zahlungen von Scheinrechnungen über nicht erbrachte Bauleistungen. Mit dem Schwarzgeld bezahlen die Kriminellen dann Schwarzarbeiter und erwirtschaften natürlich Gewinne. Der Schaden durch Steuerhinterziehung und Sozialversicherungsbetrug soll in diesem Fall über 10,4 Millionen Euro betragen.
NGG: Protest von Lieken-Angestellten
Dortmund: Am Freitag, dem 1. März 2024 protestierten Beschäftigte des Brotherstellers Lieken vom Standort Lünen bei der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten. Darüber berichtet der WDR.9
Die Lieken Beschäftigten und nun teil ehemaligen Gewerkschaftsmitglieder üben scharfe Kritik an der NGG. Sie kritisieren die schlechte Erreichbarkeit von Gewerkschafts-Funktionären und den mangelnden Rückhalt. Die Solidarität empfinden sie als einseitig.
Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende wird wie folgt zitiert: Wir fühlen uns einfach nicht ernst genommen. Im Gegenteil: Wenn es der Gewerkschaft passt, dann sollen wir uns mit den Kollegen vor das Firmentor stellen und streiken. Im umgekehrten Fall, wenn wir mal was haben und Unterstützung bräuchten, kommt nichts. Oder aber, unsere Initiativen, Ideen oder Vorschläge werden torpediert.- Beim Protest überreichten die Lieken-Angestellten der NGG 55 Kündigungen.
Die NGG bestreitet die Vorwürfe und spricht von einem Machtkampf des Betriebsrats gegen die Gewerkschaft. Warum dem so sein sollte, bleibt jedoch unklar.
Pflichtarbeit für 80 Cent/Stunde
Saale-Orla-Kreis, Thüringen: Der neue Landrat des Saale-Orla-Kreises, Christian Herrgott von der CDU, will etwa 150 Geflüchtete zur Arbeit verpflichten. Die Maßnahme betrifft Menschen mit und ohne Arbeitserlaubnis, die in Sammelunterkünften untergebracht sind. Wer sich weigert die Arbeit aufzunehmen, muss mit finanziellen Sanktionen rechnen.10
4 Stunden täglich sollen die Geflüchteten für 80 Cent pro Stunde gemeinnützige Arbeit verrichten. Die Maßnahme bedeutet laut Herrgott einen hohen zusätzlichen Aufwand für die Kommunen und die Träger. Die Betroffenen müssen schließlich zu ihren Einsatzorten kommen und dort auch angeleitet werden. Die Thüringer Integrationsbeauftragte Mirjam Kruppa kritisiert, dass der Eindruck geschaffen werde, die Geflüchteten wollten nicht arbeiten und fordert eine grundsätzliche Abschaffung des Arbeitsverbotes. In den Gemeinschaftsunterkünften gäbe es auch jetzt schon viele Menschen, die sich freiwillig einbringen, sagte Kruppa MDR Thüringen. Womöglich gibt es auch Überschneidungen zu Arbeiten, die durch Unternehmen mit sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erledigt werden könnten.
Christian Herrgott ist nicht nur Landrat, sondern auch Generalsekretär der CDU in Thüringen.
Quellen
1 Workwatch: Verteilzentrum Herne: Lohnt sich Lidl?, Veröffentlichungsdatum nicht feststellbar https://www.work-watch.de/2024/01/verteilzentrum-herne-lohnt-sich-lidl/
2 Tobias Schmutzler: Betriebsrat bezweifelt Aufklärungswillen der Vivantes-Führung, 23.02.2024, https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2024/02/berlin-klinikkonzern-vivantes-compliance-vorwuerfe-betriebsrat.html
3 Christian Lelek: Grünheide: Tesla feuert Mitglied des Betriebsrats, neues deutschland, 04.03.2024, https://www.nd-aktuell.de/artikel/1180281.union-busting-gruenheide-tesla-feuert-mitglied-des-betriebsrats.html
4 RBB: IG Metall erwirkt Abbruch der Betriebsratswahl bei Tesla, 13.02.2024, https://www.rbb24.de/wirtschaft/beitrag/2024/02/tesla-betriebsrat-wahl-abgebrochen-igmetall-arbeitsgericht-frist-gruenheide.html
5 Sebastian Grüner: Wahlvorstand bei Tesla weist IG-Metall-Kritik zurück, golem, 10.02.2024, https://www.golem.de/news/betriebsratswahl-wahlvorstand-bei-tesla-weist-ig-metall-kritik-zurueck-2402-182063.html
5.1 AGUA DE PAU: Vulkangruppe Tesla abschalten! : Anschlag auf Stromversorgung, de.indymedia.org, 5.3.2024.
6 rbb: Tesla-Produktion steht tagelang still – Innenminister will Täter „jagen“, 05.03.2024, https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2024/03/brandenburg-oder-spree-erkner-strom-ausfall-tesla-trafo-station-brand.html
7 Kathrin Hondl: Ein klares „Ja“ zum Ausbau des Sozialstaates, Tagesschau, 03.03.2024, https://www.tagesschau.de/ausland/europa/schweiz-rentenerhoehung-100.html
8 Tagesschau: Razzia wegen Schwarzarbeit am Bau auch in RLP, 21.02.2024 https://www.tagesschau.de/inland/regional/rheinlandpfalz/swr-razzia-gegen-schwarzarbeit-am-bau-100.html
9 WDR: 01.03.2024 https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/dortmund-protest-gegen-gewerkschaft-ngg-100.html
10 MDR Thüringen: 80 Cent pro Stunde: Landrat will Flüchtlinge zur Arbeit verpflichten, 27.02.2024 https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/ost-thueringen/saalfeld-rudolstadt/fluechtlinge-arbeit-landkreis-100.html
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