Oder: Kein Betriebsrat bei Hertha BSC.
Ist der DFB Teil der Lösung oder das Problem? Was hat Fußball mit der Arbeitswelt zu tun?
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„Es gibt keine Neutralität mehr auf der Welt. Du musst entweder Teil der Lösung sein, oder Du wirst Teil des Problems“, soll der Informationsminister der Black Panther Party, Eldridge Cleaver, Ende der 1960er gesagt haben.12
Der Deutsche Fußball Bund (DFB) ist eher Teil des Problems. Ab Mitte Januar 2024 rollte eine Welle von Demonstrationen und Großdemonstrationen durch Deutschland, die sich gegen Rechtsextremismus und für „die Demokratie“ einsetzten.3
Der DFB wollte als größter Fußballverband der Welt und staatstragende Säule nicht abseits stehen. Oder zumindest ein bisschen auf der richtigen Seite. Man schickte die Vizepräsidentin Célia Šašić vor, die als Afrodeutsche merkwürdigerweise für Vielfalt und Toleranz zuständig ist. Wer in ihrem Statement nach dem Wort „Demokratie“ sucht, wird die alte griechische Idee dort ebenso wenig finden, wie im Leitbild des Verbandes. Warum auch? Der 1900 im Kaiserreich gegründete DFB ist schließlich 18 Jahre älter als die deutsche Demokratie und kam auch ohne sie stets gut zu Rande.
Allerdings fördere der Fußball laut DFB „Teilhabe und Zugehörigkeit„. Menschen mit „familiärer Einwanderungsgeschichte“ seien eine Bereicherung von der alle „profitieren“ könnten. „Wo andere mit populistischen Gedanken spalten, bringt der Fußball zusammen.“ Verklemmter geht es kaum. Welche anderen? Die AfD bleibt unerwähnt, Rassismus ebenso. Dazu halbgares Geschwafel: „wo populistische Gedanken spalten…“
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Häufiger Irrtum: Was ist eigentlich Pouplismus?
Populismus ist es, dem Wahlvolk falsche Versprechungen zu machen und vorzugaukeln, was es hören will, um nachher etwas anderes zu tun oder gar das Gegenteil. Helmut Kohls Versprechen von „blühenden Landschaften“ und der nachfolgende Kahlschlag der DDR durch die Treuhand war ein Musterbeispiele für Populismus — ebenso Gerhard Schröders „Agenda 2010“.
Nicht „populistische Gedanken“ sind das Problem, sondern der Widerspruch aus populistischen Reden und Taten. Der Populismus der Regierungsparteien hat der AfD den Boden bereitet. Die Faschisten Bernd Höcke und Martin Sellner sind Volksverhetzer aber eher keine Populisten. Denn sie meinen es bitter ernst. Auf der anderen Seite ist populäre Politik noch lange kein Populismus.
Was hat hat Fußball mit der Arbeitswelt zu tun?
Laut Verdi gibt es nur in sechs der 36 Vereine der 1. und 2. Bundesliga einen Betriebsrat. Den Anfang machte der glorreiche FC St. Pauli im Jahr 2002. Inzwischen gehören der VfL Wolfsburg, Schalke 04, HSV und BVB zur wirtschaftsdemokratischen Elite des deutschen Profifußballs; 2022 gesellte sich der VfB Stuttgart hinzu.4
Profi-Vereine sind mittelständische Unternehmen mit 50 bis zu 500 abhängig Beschäftigten. Doch ihre symbolische Bedeutung ist weitaus größer als ihre Jahresumsätze zwischen 12 Millionen (1. FC Magdeburg) und 626 Millionen (FC Bayern). Beim Fußballgucken und beim intensiven Austausch der Fans über die Geschicke ihres Vereins geschieht eine spielerische, exemplarische Verarbeitung der Arbeitswelt, des Betriebs und seines wirtschaftlichen Umfelds. Der Verein steht als Sinnbild für die Firma, die Mannschaft ist das Kollegium, die Tabelle ist der Aktienkurs, ein Abstieg ist der Bankrott…
Demokratie in Wirtschaft und Betrieb muss auch im deutschen Fußball erst noch erkämpft werden.
Im Januar 2024 scheiterte eine Betriebsratsgründung bei Hertha BSC. Die Wirtschaftskanzlei Heuking installierte stattdessen im Auftrag des Managements ein rechtlich unverbindliches alternatives Vertretungsorgan namens „Belegschaftsausschuss“. Man darf getrost davon ausgehen, dass die 300-köpfige Belegschaft der wirtschaftlich am Abgrund taumelnden Hertha, zuvor intensiv mit Zuckerbrot und Peitsche bearbeitet wurde.
Wer sich fragt, warum der Glaube an „die Demokratie“ in Deutschland schwindet, findet im Fußball viele Antworten. Ein undemokratischer Geist durchzieht alle Ebenen. Dass ein Mannschaftskapitän in Deutschland zumeist vom Trainer bestimmt wird, mag vielleicht noch angehen. Aber er könnte auch gewählt werden. Dass ein Mannschaftsrat nicht gewählt, sondern vom Trainer handverlesen wird, ist hingegen indiskutabel.
Dass Red Bull Leipzig als angeblicher Fußballverein nur 20 stimmberechtigte Mitglieder hat, ist absurd. Das sieht jeder. Aber auch die Auslagerung von Profi-Abteilungen in Aktiengesellschaften oder ähnliche Konstrukte dienen nur dazu den Profi-Betrieb demokratischer Kontrolle durch die Mitglieder zu entziehen. Auch hier ist Schalke 04 ein Bollwerk. Die Fans wehren sich seit Jahren erfolgreich gegen die Ausgliederung ihrer ersten Mannschaft aus dem Verein.
Im Januar und Februar brachten aktive Fans den Profi-Fußball gezielt zum Stillstand, indem sie Tennisbälle, Schokotaler und andere Ding aufs Feld warfen. Sie forderten, dass eine korrupte, intransparente Abstimmung wiederholt wurde. Die abgekartete Abstimmung am 11. Dezember 2023 machte die den Einstieg von aggressiven Finanzinvestoren in die Bundesligavermarktung möglich. Warum abgekartet? Der Hannover 96-Mäzen Martin Kind soll gegen das klare Mandat seines Vereins insgeheim für den Verkauf von Vermarktungsrechten an einen Investor gestimmt haben.
Die Sabotage der Fans zeigte Wirkung. Die Finanzhyäne Blackstone verabschiedete sich aus den Verhandlungen5 und der Präsident des VfB Stuttgart meinte: „Unser Verständnis von Demokratie – auch im Fußball – sollte sein: Die Mehrheit entscheidet.“ Claus Vogt forderte deshalb „im Sinne der Demokratie und im Sinne unseres Fußballs […] eine erneute, transparente Abstimmung aller 36 Vereine in der DFL.“6
Fußball und Demokratie in einem Atemzug? Es geht doch!
PS:
Nach Abgabe des Textes waren die Proteste der Fans tatsächlich erfolgreich. Die DFL beugte sich dem Druck der Massen und sagte den Einstieg von Investoren in die Rechtevermarktung Ende Februar 2024 auf absehbare Zeit ab (NDR, 22.2.2024).
Elmar Wigand ist Pressesprecher der aktion ./. arbeitsunrecht. Der Verein unterstützt aktive Betriebsräte, konfliktbereite Gewerkschafter*innen und solche, die es werden wollen. Mehr infos: https://arbeitsunrecht.de/ueber-uns/
Quellen / Anmerkungen
1 Die genaue Quelle des Zitats ist unklar. Siehe: Roz Payne Sixties Archive — Eldridge Cleaver Quotation: https://rozsixties.unl.edu/items/show/567 Cleaver trat der Black Panther Party of Self-Defence (BPP) 1966 bei. Er war Redakteur ihr Organisationszeitung und ein berühmter Essayist.
2 Dass Eldrigde Cleaver später selbst Teil des Problems wurde, zeigt wie unbarmherzig diese binäre Entweder-oder-Logik sich gegen ihre Urheber richten kann. Und wie vorsichtig wir mit solchen einfachen Wahrheiten und ihren Propheten sein sollten. Cleaver wurde nach einem Richtungsstreit mit Huey Newton 1975 aus der BPP ausgeschlossen, wechselte die Seiten, wurde wiedergeborener Christ, Anti-Kommunist und Republikaner. Ein trauriges Schicksal.
3 Auslöser war ein Treffen von Mitgliedern aus AfD, CDU, Werteunion und der Identitären Bewegung in Potsdam am 25. 11. 2023, bei dem offenbar massenhaftes Herausdrängen von Einwanderern nach einem Wahlsieg der AFD konkret geplant oder angedacht wurde. Die Rechercheplattform Correctiv veröffentlichte die Informationen Mitte Januar 2024 und löste damit ein politisches Erdbeben aus.
4 Fanny Schmolke: Raus aus dem Abseits, Verdi publik, 3.2.2022, https://publik.verdi.de/ausgabe-202201/raus-aus-dem-abseits/
5 Möglicher DFL-Partner springt ab: Fan-Proteste verzeichnen ersten Erfolg, sportschau.de, 14.2.2024, https://www.sportschau.de/regional/swr/swr-moeglicher-dfl-partner-springt-ab-fan-proteste-verzeichnen-ersten-erfolg-100.html
6 Hellmann korrigiert: „Weiß nicht, wie Kind abgestimmt hat“, sportschau.de, https://www.sportschau.de/fussball/bundesliga/dfl-investor-hellmann-kind-abstimmung-100.html