arbeitsunrecht FM 6/22: Motor Nützel, DAI, Tönnies & Amazon USA

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Union Busting-News mit Jessica Reisner. Arbeitsunrecht und Betriebsratsbehinderung in Deutschland. Nachrichten aus Wirtschaft & Betrieb.

Betriebsratsbehinderung: Motor Nützel Betriebsratgründung beim DAI / Heidelberg Tönnies als falscher Freund von Geflüchteten Amazon USA bekommt Gewerkschaft. (als mp3)

Waldsassen Oberpfalz: Motor Nützel ficht Betriebsratswahl an

Die Geschäftsführung der Autohauskette Motor Nützel mit Hauptsitz in Bayreuth klagt beim Arbeitsgericht Weiden gegen die Betriebsratswahl im Januar 2022. Die Motor-Nützel GmbH ist Vertragshändler und -werkstatt für VW und Audi. Hier arbeiten insgesamt rund 1.000 Beschäftigten in 13 Autohäusern in Oberfranken und in der Oberpfalz, bislang offensichtlich ohne Mitarbeitervertretung.

2018 hatte die oberfränkische Motor-Nützel-Gruppe aus Bayreuth fünf Niederlassungen der Autohauskette übernommen. Das Arbeitsklima verschlechterte sich seitdem deutlich, so Beschäftigte.

In der Folge kündigten 20 Mitarbeiter der Niederlassungen im Landkreis Tirschenreuth. Die Verbleibenden beschlossen Abhilfe zu schaffen einen Betriebsrat zu gründen.

Schon die Vorbereitung der Wahlen war von Störmanövern begleitet. So wurden im Herbst 2021 alle Fahrzeuge aus einem Ausstellungsraum in Waldsassen abgezogen, die Lackiererei geschlossen und zwei Mitarbeiter entlassen. Trotzdem beteiligten sich im Januar 2022 82 zwei Drittel der Beschäftigten an der Wahl des siebenköpfigen Betriebsrats, so die IG Metall.


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Auch bei fünf weiteren Autohäusern von Motor Nützel an anderen Standorten haben die Beschäftigten Anfang März 2022 einen Wahlvorstand gewählt, um erstmals Betriebsräte zu gründen.

Die Unternehmensleitung von Motor Nützel besteht aus den fünf Geschäftsführern Ralf Beck, Roman Fehling, Horst Hoffmann, Michael Krasser, Alexander Pflaum.

Die Aktion gegen Arbeitsunrecht wünscht den rund 1000 Beschäftigten erfolgreiche Betriebsratswahlen und gute Nerven bezüglich aller weiteren Störmanöver der Geschäftsleitung.


Quelle

Wenn Wachstum „unabdingbar“ ist, klingt das nach einem ziemlichen Problem… (Bild: Screenshot Fachzeitschrift Autohaus, 16.10.2018, Foto: Motor Nützel-Gruppe)

Heidelberg: Die Beschäftigten des Deutsch-Amerikanisches Instituts DAI wählen erstmalig einen Betriebsrat

Grund für die Betriebsratsgründung ist laut Beschäftigten die toxische Arbeitsatmosphäre.

Von „Mobbing“, „unterschwelligem Sexismus“ und „Missmanagement“ ist in einem Brief die Rede, welcher der Redaktion von mannheim24.de vorliegt. Die Verfasser fordern die Absetzung der beiden Geschäftsführer Jakob Köllhofer und Ingrid Stolz.

Dass die Atmosphäre einigermaßen aggressiv ist, ist leicht vorstellbar. Das Deutsch-Amerikanische Institut Heidelberg ist eine Einrichtung, die sich dem internationalen Austausch widmet. Ein Schwerpunkt ist dabei der transatlantische Dialog zwischen Deutschland und Amerika.

Am 28. März 2022 haben die Mitarbeiter dann erstmals einen Betriebsrat gewählt. Die Aktion gegen Arbeitsunrecht wünscht den gewählten Vertreter*innen und Nerven und gutes Gelingen. Auf dass die Arbeitsatmosphäre beim DAI sich deutlich verbessern möge.


Quelle


Przemyśl an der polnisch-ukrainischen Grenze: Tönnies nutzt Notlage Geflüchteter aus

Der Fleischkonzern Tönnies hat in der zweiten Märzhälfte 2022 versucht Arbeitskräfte an der ukrainisch/polnischen Grenze anzuwerben. Konzernsprecher Fabian Reinkemeier bestätigte, dass drei Mitarbeiter in einem Aufnahmelager an der Grenze zu Polen aktiv waren.

Die Tönnies-Mitarbeiter suchten nach Produktionshilfen für die Fleischverarbeitung in Rheda-Wiedenbrück. In einem Flyer, der von freiwilligen Helfer*innen in dem Aufnahmelager sicher gestellt wurde, bietet Tönnies: Elf Euro brutto pro Stunde plus steuerfreie Zuschläge, Weihnachts- und Urlaubsgeld, 24 Tage Urlaub. Und – für die Flüchtenden sicher besonders relevant: Eine Unterkunft für 254 Euro pro Monat. Dieser Betrag, so wird im Flyer angegeben, wird vom Gehalt abgezogen.

Als potenzielle Arbeitskräfte kommen aber nur Alleinstehende ohne Familie in Frage. Familienangehörige könnten in den von Tönnies angebotenen Dienstwohnungen nicht untergebracht werden. Transport nach Deutschland und Unterkunft waren an die Bedingung geknüpft, dass die Ukrainer*innen noch im Aufnahmelager einen Arbeitsvertrag unterschreiben. Kinder und Kranke hatten somit keine Chance über Tönnies aus dem Lager zu kommen.

Helfer*innen vor Ort berichten, dass gerade die Sorge um die Unterbringung von Angehörigen für viele Flüchtende jedoch das drängendste Problem darstellt. In der akuten Notsituation seien die Flüchtenden kaum in der Lage ein solches Angebot überhaupt richtig einzuordnen, so Kritiker.

Tönnies steht als Vorreiter der Schlachtbranche seit Jahren in der Kritik. Erst nach jahrelangem Engagement konnten Arbeitsrechts-Aktivisten zum Beginn des Jahres 2021 ein Verbot von Werkvertrags- und Leiharbeit in Teilen der Fleischindustrie durchsetzen. Die alten Strukturen, die durch mafiöse Subunternehmen geprägt waren, sind jedoch laut vielen gleichlautenden Berichten noch immer vorhanden und aktiv.

Unserer Einschätzung nach werden wir noch von vielen Fällen hören, in denen deutsche Unternehmerinnen und Unternehmer sich die Not ukrainischer Kriegsflüchtlinge zu Nutze machen werden. Schließlich sind es Osteuropäer und Osteuropäerinnen, die die deutsche Infrastruktur am Laufen halten. Sei es in der Logistik, in der Land- oder Fleischwirtschaft, in der Altenpflege, oder im Baugewerbe. Der Niedriglohnsektor ist auf einen permanenten Nachschub von Arbeiter*innen angewiesen. Tönnies wird nicht der Letzte sein, der das vielstimmig geforderte „in Arbeit bringen“ von Geflüchteten auch noch als gute Tat darstellt.

Echo-Online berichtete bereits, dass Landwirte aus Darmstadt-Dieburg Geflüchteten aus der Ukraine Arbeit bei der Spargel- und Erdbeerernte anbieten.

Nach vielfältiger Kritik stoppte das Unternehmen Tönnies die Anwerbungsversuche.


Quellen


New York: Der erste Standort von Amazon USA bekommt eine Gewerkschaft

Nach jahrelanger Blockade durch das Unternehmen werden Beschäftigte des Online-Versandhändlers Amazon in den USA bald erstmals von einer Gewerkschaft vertreten.

Bei einer Abstimmung in einem Amazon-Lager im New Yorker Bezirk Staten Island sprach sich eine Mehrheit der Beschäftigten für die Gründung der ersten Gewerkschaftsvertretung aus. Und dies, ohne dass eine etablierte Gewerkschaft hinter dem Vorhaben stand. Die Abstimmung wurde von der Amazon labor Union ALU gewonnen. Einer der Hauptverantwortlichen war ein entlassener Ex-Mitarbeiter von Amazon, Christian Smalls.

Christian Smalls war vor knapp zwei Jahren entlassen worden, nachdem er auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie in New York in seinem Lagerhaus einen Protest für einen besseren Schutz vor Covid-19 organisiert hatte. Monatelang hat er seitdem vor den Toren seines ehemaligen Arbeitsplatzes Flugblätter verteilt, um eine Gewerkschaft zu bilden.

Amazon selbst hatte die Lagerhallen mit „Vote No“-Flugblättern gepflastert und die Mitarbeiter zu verpflichtenden Informationsveranstaltungen während der Arbeitszeit eingeladen. Mitarbeiter*innen berichten, dass eine Vielzahl von Union Bustern eingestellt wurden, die Einzelgespräche mit Kolleginnen und Kollegen führten.

Es fühle sich toll an, gegen ein billionenschweres Unternehmen auf der Siegerstraße zu sein, sagte Christian Smalls nach der Auszählung.

Anders als in Deutschland stimmen die Beschäftigten amerikanischer Unternehmen darüber ab, ob in ihrem Betrieb eine Gewerkschaft alle Beschäftigten vertritt. Erreicht die Gewerkschaft, dass mehr als 50% der abgegebenen Stimmen für eine Vertretung sind, werden alle Beschäftigten des Betriebs durch die Gewerkschaft vertreten. Diese Abstimmungen werden in den USA häufig von massiven Anti-Gewerkschaftskampagnen der Unternehmen begleitet.

Laut dem Magazin Jacobin war ein erfolgreicher Oranizing-Schachzug möglichst alle Beschäftigtengruppen zu erreichen und Organizer*innen aus allen Gruppen zu gewinnen. Noch wichtig aber scheint gewesen zu sein, dass die Gewerkschafter selbst im Betrieb arbeiteten. Die Union-Busting Argumentation der third-party, dass also die Gewerkschaft als dritte Partei von Außen in den Betrieb stößt und sich als Störfaktor mit eigenen Interessen zwischen Belegschaft und Management drängt, konnte so erfolgreich entkräftet werden.


Quellen


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