Freiheit der Arbeit

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Die universellen Menschenrechte gelten auch für die Arbeitsverhältnisse

Die gegenwärtig vorherrschende Kapitalmacht agiert, wenn sie es für passend hält, bekanntlich außerhalb des Rechtsstaats, außerhalb der parlamentarischen Demokratie und nicht zuletzt außerhalb der universellen Menschenrechte. Diese Feststellung ist banal. Sie wird allerdings dadurch kompliziert (scheinbar), dass gerade Vertreter dieser Kapitalmacht sich weltweit für den Rechtsstaat, für die parlamentarische Demokratie und neuerlich wieder besonders heftig für die Menschenrechte einsetzen.

Dabei werden „die Menschenrechte“ bekanntlich selektiv und widersprüchllich reklamiert, nach dem Motto Franklin D. Roosevelts „Hurensohn hin oder her – es muss nur unser Hurensohn sein“.

So wird in Peking und Moskau die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit für Personen und Gruppen reklamiert, deren politischer Hintergrund im Dunkeln gehalten wird. Gleichzeitig werden im Westen Bloccupy-Manifestationen gnadenlos abgeräumt. Im Protokoll der Frankfurter Polizei nach den verbotenen Demonstrationen gegen die Bankenmacht stand als Grund für Festnahmen: Antikapitalismus.

Freiheit der Meinung? „Rebellen“ wie die Taliban sind einmal gut, wenn es passt, und dann sind sie böse, wenn es auch wieder passt. Libyens Gaddafi wurde hofiert, als es passte und dann zum Mord freigegeben, als es auch wieder passte.


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Die neoliberale Theorie und Praxis kennt keine Menschenrechte.

UN-Menschenrechtsbriefmarke 1952

Die abhängig Beschäftigten können diese Freiheit bekanntlich nicht wahrnehmen. Sie anerkennt ernsthaft nicht einmal die bürgerlichen Gesetze der klassischen Kapitaldemokratien. Ihr oberstes Prinzip ist die „Freiheit des Einzelnen“, wobei es in der Praxis nur die einzelnen Privateigentümer sind, die diese Freiheit wahrnehmen können.

Wenn deshalb etwa Gewerkschafter in den Hinterhöfen und sweat shops des Westens verfolgt und getötet werden, wenn hunderttausende junge Frauen kaserniert werden, um unter menschenunwürdigen Bedingungen Jeans, Computerteile und iPhones für westliche Konzerne zu montieren und nach einigen Jahren gesundheitlich verschlissen sind – da werden keine Menschenrechte reklamiert. Wenn in Deutschland unliebsame Beschäftigte und Betriebsräte ausspioniert und entlassen werden – da bleiben unsere Menschenrechtler taub und stumm.

Welches Vertragswerk wurde 1973 von der Bundesrepublik ratifiziert?

UN-Menschenrechts-Briefmarke 1956

Der UNO-Sozialpakt ist auch in den westlichen Kapitaldemokratien bekanntlich bzw. unbekanntlich unmittelbar geltendes Recht und zwar seit über drei Jahrzehnten. Der Sozialpakt, auf der Erklärung der universellen Menschenrechte fußend, enthält soziale und Arbeitsrechte: das Recht auf Arbeit, auf gewerkschaftliche Organisierung, auf angemessene Entlohnung, auf gleiche Bezahlung von Mann und Frau, auf Wohnung, auf Gesundheitsversorgung, auf Schutz vor Armut. „Universell“ bedeutet: der Staat, wenn er Menschenrechte verletzt, kann sich nicht auf seine Souveränität berufen.

Für die bundesdeutsche Unternehmerschaft, die sich nach dem Nationalsozialismus zu christlich und liberal firmierenden Parteien bekannte beziehungsweise sie finanzierte, legal und illegal, galten auch nach 1945 die Beschäftigten nicht als handelnde und schon gar nicht als frei handelnde Subjekte. Unbarmherzig lehnten Unternehmer und ihre Parteien den Vorschlag ab, die Industrie- und Handelskammern abzuschaffen. Die hatten sich begeistert in das unfreie und deshalb gewerkschaftsfreie NS-Wirtschaftssystem integriert, halfen bei Arisierung und bei der Zwangsvermitgliedschaftung auch der Kleinstgewerbetreibenden wie Markthändler und Scherenschleifer. Der alternative Vorschlag nach 1945 lautete: Ersetzt die Industrie- und Handelskammern durch Wirtschaftskammern, in denen auch die lohnabhängig Beschäftigten vertreten sind! Das wurde abgelehnt. Und die Kleingewerbetreibenden sind  weiter Zwangsmitglieder. Freiheit?

Eingeschrumpfter Restbestand von 1791

Eleanor Roosevelt mit der Erklärung der Menschenrechte, Nov. 1949

Die heute von den Vertretern der dominierenden Kapitalmacht reklamierten Menschenrechte sind ein eingeschrumpfter Restbestand der Grundrechte, die im Ersten Zusatz zur US-Verfassung („First Amendment“) aus dem Jahre 1791 festgehalten wurden: Freiheit der Rede, der persönlichen Meinung, der Presse und der Religionsausübung. Doch inzwischen hat sich der Kapitalismus entwickelt und fortentwickelt, und die kapitalistische Führungsmacht hantiert immer noch mit dem Grundrechtsverständnis aus der kapitalistischen Prähistorie.

Es kann zudem gefragt werden, ob wenigstens diese Rechte im eigenen Staat realisiert werden. Freiheit der persönlichen Meinung und der Presse – herrscht nicht stattdessen die von wenigen Konzernen oktroyierte Gleichmacherei und professionelle Desinformation? Diffamierung des Islam – Freiheit der Religionsausübung?

Rechtsbruch in Gesetzesform

UN-Briefmarke 1963

Die Hartz-Gesetze I bis IV als Gesamtmachwerk sind nicht nur ein Bruch mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (Menschenwürde, Schutz des Eigentums und der Privatsphäre, Berufsfreiheit), sondern weitergehend mit den universellen Menschenrechten (Recht auf Arbeit, Verbot der Zwangsarbeit).

Die Finanz- und Wirtschaftskrise wurde nicht nur durch die Deregulierung des Finanz- und Wirtschaftsrechts befördert. Die Krise wurde auch durch die Deregulierung des Sozial- und Arbeitsrechts vorangetrieben. Nicht zufällig wurden in den Vorreiterstaaten des Neoliberalismus, USA und Großbritannien, gleich zu Beginn Gewerkschaften überwacht, geschwächt und auch zerschlagen. So konnten die privaten Kapitalakteure mächtiger und freier werden, auf Kosten der Freiheit der anderen.

UN-Briefmarke 1957

Die gegenwärtigen „Spar“auflagen der Finanzakteure für den griechischen Staat hebeln soziale und Arbeitsrechte unbekümmert aus: Tarifverträge und erworbene Rentenansprüche werden für ungültig erklärt. Den griechischen Gewerkschaften wurde zugleich und auf einen Schlag die bisherige Finanzierung entzogen. Dagegen wurde die überaus üppige staatliche Alimentierung der korrupten Großparteien beibehalten – allen „rigorosen“ Sparauflagen zum Trotz.

Das Einfordern von universellen Rechten auch im Produktionsprozess

Ein Staat, der die Egoismen einer gierigen, rechtlosen Minderheit über die Rechte und die Freiheit der Mehrheit stellt – kann der als Anwalt der Menschenrechte auftreten? Und was ist von Medien zu halten, die die herrschende Menschenrechts-Hetze begleiten und vorantreiben?

Für die Entmachtung der gegenwärtigen Kapitalmacht ist es elementar, dass die regulär und prekär Beschäftigten, die Noch-Beschäftigten, die an der Beschäftigung Gehinderten und alle von Beschäftigung Abhängigen nicht nur höhere Löhne und Gehälter und höhere Transfers fordern. Vielmehr müssen sie ihre Arbeits- und Sozialrechte als universelle und unkündbare Menschenrechte einfordern: Freiheit in der Arbeit, Recht auf Arbeit, Recht auf Bildung von Gewerkschaften und betriebliche Vertretung, Recht auf sicheres Leben und auf Wohnung, Schutz vor Armut, Recht auf politischen Streik.

Wir wollen nicht einfach „mehr vom Kuchen“, sondern wir wollen die Menschenrechte!

Dass zu ihnen auch mehr beziehungsweise sehr viel mehr vom gemeinsam gebackenen Kuchen gehört, versteht sich von selbst. Aber wer mit der Forderung „mehr vom Kuchen“ nur die von allen Menschenrechten befreite kapitalistische Gier und Macht hilflos nachäfft, wird selbst nie „mehr vom Kuchen“ bekommen, oder nur in Ausnahmefällen und nie auf Dauer.

Menschenrechte müssen gegen die Vertreter von privatmächtigen Einzelinteressen erkämpft werden. Schon der bürgerliche Nationaldichter Goethe schrieb:

Wer das Recht auf seiner Seite hat, muss derb auftreten. Ein höflich Recht will gar nichts heissen.

Der Artikel erschien zunächst in lunapark21, Nr. 18 / Sommer 2012

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Weiter führende Links

Menschenrechte

EU und Griechenland

  • Politikanalyse:   „Griechische Gewerkschaften und die Krise – Ein wichtiger Akteur unter Druck“, Zoe Lanara, Friedrich-Ebert-Stiftung März 2012 (pdf-download)
  • Hintergrundartikel, EU im Notstandmodus, Florian Rödl in Blätter für deutsche und Internationale Politik, Mai 2012.

Zur Zwangsmitgliedschaft in der IHK

Zur Rolle der Industrie- und Handelskammern in der Nazi-Zeit

 


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