Wolt: Lohnraub in kriminogenem Subunternehmer-Dickicht

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Massive Proteste gegen systematischen Lohnraub enden vor dem Arbeitsgericht Berlin nur mit kümmerlicher Abfindung.

Rider bekommt für drei Monate harter Arbeit und monatelangen Gerichtsprozess nur 1.000,- Euro Schweigegeld.

Lieferdienst Wolt stiehlt sich aus der Verantwortung für skandalöse Arbeitsbedingungen.

Angesichts massiver Fahrer-Proteste und guter Kampagnenarbeit ist der Ausgang des Verfahrens deprimierend. Was läuft da schief?

Am 30. November 2023 endete ein skandalöser Fall von Lohnraub vor dem Arbeitsgericht Berlin auf unbefriedigende Weise. Der Prozess brachte zu Tage: Wolt nutzt offensichtlich ein kriminogenes Sub-Unternehmer-System und profitiert von Lohndumping und Lohnraub durch (angebliche) Dritte. Fahrer in Berlin wurden laut glaubhafter Berichte von Ridern systematisch um Lohn betrogen. Wolt nutzt hierfür „Gemeinschaftsunternehmen“ oder auch Sub-Unternehmer und Recruiter. Wolt weigert sich aber kategorisch die Verantwortung für das teils kriminelle Gebahren dieser „Partner“ zu übernehmen.

Ein undurchsichtiges Dickicht aus teils dubiosen Wolt-Partnern dient offensichtlich dazu, Arbeitsrechte und Standards gezielt zu unterlaufen.


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Das Wolt-Management wäscht indes seine Hände in Unschuld. Das Berliner Arbeitsgericht spielt irgendwie mit, die Staatsanwaltschaft bleibt bislang untätig. Dabei geht es um massiven Lohnraub in dutzenden, wenn nicht hunderten Fällen. Genaue Zahlen können nur behördliche Ermittlungen, Hausdurchsuchungen und Razzien zu Tage fördern.

Am 4. April 2023 hatten rund 120 Wolt-Fahrer und Unterstützer*innen in Berlin-Neukölln gegen Lohnraub protestiert. Insgesamt ging es laut Presseberichten um rund 100.000 Euro.12 Ein weiterer Protesttag folgte am 19. Juni 2023 am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg.3 Nur zwei Fahrer waren am Ende vor Gericht gegangen. (Hier liegt ein großes Problem: Es müssten mehr sein. Die ausländischen Arbeiter*innen haben einerseits Angst und andererseits keine Kapazitäten für langwierige Prozesse, weil sie ihr Überleben sichern müssen.)

Der Pakistani Muhammad B. hatte ab November 2022 für den Lieferdienst Wolt Restaurant-Essen ausgeliefert. Aber er wurde nie bezahlt. Nun machte er seine Forderungen gegenüber Wolt geltend. Muhammad forderte 3.000,- Euro für drei Monate Liefertätigkeit im Winter.

Am Ende bekam er von Wolt die Zusage für 1.000,- als „soziale Überbrückungshilfe“. Das milliardenschwere Start-up hatte mit Elika Schneider (Altenburg Rechtsanwälte) ein weiteres Exemplar jener kaltherzigen Jurist*innen aufgeboten, denen Moral, Anstand und soziale Verantwortung offenbar im Studium systematisch abtrainiert worden sind und die an juristischen Fakultäten anscheinend in Serie produziert werden. (Schneider studierte in Mannheim und Oslo.)

Die eiskalt bis dreist auftretende Anwältin dürfte an diesem schneematschigen Vormittag innerhalb dreier Stunden vor dem Arbeitsgericht mehr verdient haben, als der Fahrer Muhammad B. nun als Entschädigung für dreimonatiges Abstrampeln auf den Straßen Berlins erhielt. Eben 1.000,- Euro.4 Und dieses Ergebnis, das für Wolt nur Peanuts darstellt, präsentierte sie so, als wäre es ein Zugeständnis, dass ihr und dem Unternehmen unheimliche Bauchschmerzen bereite. Es war abgeschmackt.

Man könnte einwenden, Frau Schneider sei nur ein ausführendes Organ. Ein Glied in der Befehls- und Wertschöpfungskette. Sie mache nur, was das Unternehmen wünsche. Die Art wie sie auftrat, ließ aber erkennen, dass sie weder ein Unrechtsbewusstsein noch ein Gespür für die innere Brisanz des Sachverhalts zu besitzen schien.

Zwischen ihr als hochbezahlter, ja überbezahlter Anwältin5 und dem unterbezahlten, um Lohn betrogenen Fahrer findet ein knallharter Klassenkampf der Dienstleister statt. Und es besteht ein Kausalzusammenhang: WEIL die Fahrer in einem kriminogenen Sub-Unternehmer-System im Lohn gedrückt, ausgebeutet und betrogen werden, GENAU DESHALB können sich Kanzleien wie Altenburg und andere Dienstleister (PR-Agenten, Unternehmensberater, Rechnungsprüfer etc.), die um solche Start-ups kreisen wie Fliegen um den frischen Dung, an Investoren-Geldern und Risiko-Kapital voll saugen.

Das kriminogene Dickicht: Recruiter, Gemeinschaftsunternehmen und ein Handy-Laden in Neukölln…

Mohammad B. war über einen Recruiter für Wolt angeheuert worden, der sich Imran Ali nannte und offenbar in einem Handy-Laden namens Mobile World in Neukölln, Karl-Marx-Allee 153 residierte. Da sämtliche Kommunikation über die Wolt-App lief — Arbeitsverträge, Schichtplanung, die Koordination der Aufträge etc. — war der Fahrer im Glauben, dass er nicht nur für Wolt arbeiten würde, sondern auch von Wolt angestellt worden sei. Eben über einen Recruiter, der dafür eine Provision erhalten habe.

Wolt stellt sich nun frech auf den Standpunkt: Imran Ali kennen wir nicht. Der Vertrag sei tatsächlich mit einer „GB Trans GmbH“ geschlossen worden, die ein sog. Gemeinschaftsunternehmen von Wolt und anderen sei. RA Bechert vermutete, dass solche Unternehmen vor allem gegründet würden, um Schutzvorschriften für Beschäftigte wie das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz oder den Mindestlohn zu umgehen.

Zum Start-up-Blendwerk gehören auch immer hohle englische Berufsbezeichnungen. Hier soll die „GB Trans GmbH“ ein „Fleet Partner“ von Wolt sein.

Erstaunlich ist, dass Wolt keinerlei Haftung, Absicherung oder auch nur Kulanz für das Gebahren seiner angeblichen Sub-Unternehmer und „Gemeinschaftsunternehmen“ gegenüber den Fahrern übernimmt. Trotz Arbeitskräftemangel scheint es ihnen scheißegal zu sein, was aus den Leuten wird, die den einzigen direkten menschlichen Kontakt zu den Kunden herstellen.

Was bleibt außer Image-Korrektur, Konsumstreik und Boykott?

Dass Wolt nur 1.000,- Euro zur Befriedung dieses Skandals heraus rücken wollte, zeigt entweder, wie schwach und ineffizient sowohl die Proteste als auch die Prozessstrategie letztendlich waren.

Oder es zeigt, dass Geld in der Start-up-Branche einerseits in großem Stil verbrannt wird — für Programmierer, Anwälte, Berater, Manager undsoweiter — dass die systematische Ausbeutung von Ridern und Pickern aber dermaßen zum Kerngeschäft zu gehören scheint, dass hier keinen Jota zurück gewichen wird. Es scheint zur Firmenphilosophie, zur Management-Raison zu gehören, keinerlei Verantwortung zu übernehmen.

Ähnliche kriminogen Milieus und Sub-Unternehmer-Dickichte gibt oder gab es in der Fleischindustrie, etwa bei Tönnies oder im Kurier-, Express und Paketgewerbe. Immer wieder ist Amazon Prime im Gerede. Auch der Name Uber fällt häufig in diesem Zusammenhang.

Der Imageschaden für Wolt dürfte durch die anwesende Presse bereits jetzt ein vielfaches der 1.000,- Euro Peanuts-Abfindung erreicht haben. Es gilt, in Zukunft die Schlagkraft derart zu erhöhen, dass Unternehmen gern und bereitwillig Kulanz zeigen. Oder vom Markt verschwinden.

Dass geht nur über Image-Kampagnen, die sich an Kund*innen, Restaurants und Fahrer*innen wenden. Nach diesem Prozesstag kann die Botschaft nur sein: Wolt muss seinen Kurs gegenüber den Beschäftigten jetzt radikal ändern. Oder: Wolt muss weg.

Solange es per Gesetz keine Generalunternehmerhaftung für App-Unternehmen gibt, müssen wir als Gewerkschafter*innen und kritische Konsument*innen diese Haftung in Form von zähneknirschender Kulanz erzwingen.

Unter Wert verkauft

Und wir brauchen einen Fonds, der kümmerliche Zahlungen wie die heutigen 1.000,- Euro garantieren und ersetzen kann. Damit streitbare Arbeiter*innen wie der Wolt-Rider Muhammad sich das Recht auf Berufung leisten können. Für dieses Linsengericht sollte niemand seine Rechte verkaufen müssen.


Fußnoten / Quellen

1 Bosse Kröger: Revolte bei Wolt, taz, 5.4.2023, https://taz.de/Lieferdienste-in-Berlin/!5923057/

2 Victoria Robertz: Protest der Wolt-Rider — Hunderttausende Euro offene Löhne und niemand will verantwortlich sein, Capital, 5.4.2023, https://www.capital.de/wirtschaft-politik/protest-gegen-lieferdienst-wolt–rider-fordern-offene-loehne-von-subunternehmer-33349960.html

4 Stundensätze von 300,- Euro sind für Union Busting-Anwälte das Minimum, die Skala ist nach oben offen.

5 Wenn wir den gesellschaftlichen Nutzen ihrer Tätigkeit betrachten, dann ist die Arbeit von Elika Schneider sozialschädlich und eigentlich recht wenig Wert. Nach David Graeber gehört sie als Totschlägerin in Nadelstreifen in die Kategorie der Bullshit-Jobber*innen.


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