7 Minuten Betriebsrat: Theater um drohende Werksschließung scheitert

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Schade: Staatstheater Mainz interessiert sich nicht für die Realität deutscher Gewerkschafter und Betriebsratsmitglieder

von Elmar Wigand

7 Minuten Betriebsrat Staatstheater Mainz
Das Stück 7 Minuten Betriebsrat von Stefano Massini am Staatstheater Mainz spielt im Pausenraum einer französischen Textilfabrik, die von Schließung bedroht ist. (Regie: Carole Lorang | Pressefoto: Bohumil Kostohryz)

Das Wort Enttäuschung beinhaltet paradoxerweise etwas durchaus Gutes. Wir haben uns getäuscht oder sind getäuscht worden. Das haben wir erkannt und überwunden.

Das Stück „7 Minuten Betriebsrat“, eine deutsch-luxemburgische Koproduktion, die am 4. November am Mainzer Staatstheater ihre Premiere feierte, bot mehrere Enttäuschungen.

Die heute in Deutschland alltäglich und systematisch stattfindende Zermürbung, Zerrüttung, Korruption und Einlullung von Betriebsräten liegt bislang unterhalb der Wahrnehmungsschwelle von Mainstream-Medien und Regierungsparteien. Dass eine notwendige gesellschaftliche Debatte um Unternehmerkriminalität in Arbeitsbeziehungen unterbleibt, ist zugleich eine wesentliche Bedingung der Unterdrückung von Betriebsräten.


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Relikte der Novemberrevolution

Als ungeliebte Errungenschaften der Nachkriegszeiten des 20. Jahrhunderts führen die Betriebsräte ein Schattendasein. Über Behandlung des Themas auf der Theaterbühne könnte sich daran durchaus etwas ändern. Leider müssen Betriebsratsmitglieder und Gewerkschafter darauf wohl noch eine Weile warten.

Betriebsräte wie in Deutschland gibt es weltweit nur in Österreich und in Holland. Sie gehören zu den wenigen Überbleibseln der gescheiterten Versuche, im Zuge der Novemberrevolution 1918 eine sozialistische Räterepublik zu errichten.(3)

Das Mainzer Staatstheater weiß davon nichts. Für die deutsche Arbeitswelt, Geschichte, Hintergründe interessiert man sich nicht wirklich, wie im Gespräch mit der völlig überforderten Dramaturgin Carmen Bach deutlich wurde. Es ging ihr mehr um „Gruppendynamiken“.

Der alltäglich wiederkehrende Horror: Aggressive Investoren kaufen Fabrik

Das Stück des italienischen Autoren Stefano Massini spielt im Pausenraum einer Textil-Fabrik in Frankreich. Sie ist von ausländischen Investoren übernommen worden, die Malocherinnen nennen sie „die Krawatten“. In dem Pausenraum, der von Katrin Bombe sehr gelungen gestaltet wurde, versammeln sich elf Arbeiterinnen an rollenden Einzeltischen, die sie wie ein Tangram-Spiel mal zu größeren Tischen zusammen setzen, mal vereinzelt auseinander rücken oder zu Unter-Gruppen formieren. So wie das Proletariat sich mal zusammenfindet, allzu oft aber fragmentiert.

Der Titel des Stückes führt in die Irre, weil es in Frankreich tatsächlich keine Betriebsräte gibt. In Betrieben mit 50 Mitarbeitern ist die Einrichtung eines „Comité d’entreprise“ gesetzlich vorgeschrieben. Dessen korrekte Übersetzung wäre „Betriebsausschuss“.(1) Das Comité d’entreprise ist im Vergleich zu deutschen Betriebsräten völlig zahnlos. Es hat keine Mitbestimmungsrechte sondern wird lediglich angehört und informiert. Der Unternehmer ist bezeichnender Weise Vorsitzender des Gremiums.

Was wir im Theaterstück erleben, ist die interne Vorbesprechung der gewählten Arbeiterinnen vor einer Sitzung des Betriebsausschusses. Das kapiert im Mainzer Theater aber niemand, auch im üppigen Beiheft findet sich keinerlei Aufklärung.

Die Unternehmerseite fordert von den Beschäftigten scheinbar nicht viel, um das Werk zu retten. Das Gremium soll einer Kürzung der täglichen Mittagspause um sieben Minuten zustimmen. Und zwar bis 20 Uhr. Innerhalb einer Stunde. Die Zeit läuft an einer Digitaluhr ab. Wir ahnen, dass es um eine Finte geht, einen Test. Das Komitee zermürbt und zerfleischt sich, polarisiert sich am Ende in zwei unversöhnliche Lager.

Handwerklicher Schnitzer erzeugt Langeweile

Das Stück beginnt mit einem groben dramaturgischen Fehler. Die Grundkonstellation ist bereits bekannt durch den Titel, Ankündigungstexte und Programmheft. Dennoch soll im ersten Kapitel Spannung erzeugt werden mit den Fragen: Was fordert das Management wohl? Warum bleibt Blanche, die gewählte Sprecherin der im Betriebsausschuss vertretenen Arbeiterinnen (sehr überzeugend gespielt von Andrea Quirbach), mehrere Stunden in einer Besprechung mit dem Management? Was steht in den persönlichen Briefen, die das Management jeder Arbeiter-Vertreterin zukommen lässt? Wir wissen es bereits.

Hier sind offenbar dramaturgische Grundregeln nicht verstanden worden, die Alfred Hitchcock sehr einleuchtend als Unterschied zwischen Suspense und Surprise (Spannung und Überraschung) erklärt.(4) So beginnt das Stück langweilig und vorhersehbar. Nachher wird es etwas besser, ohne dass man je an den Lippen der Darstellerinnen hängen würde.

Stefano Massini wurde zu seinem Stück inspiriert durch Proteste rund um die Schließung einer Fabrik für Bademoden und Unterwäsche der Firma Lejaby in Yssingeaux, einer kleinen Stadt in der Auvergne, im Jahr 2012.(2) Auch dazu nichts im Beiheft, stattdessen ein pseudo-schlauer Text von Judith Butler über Abhängigkeit und „Vulnerabilität“ oder gequirlter Blödsinn von Oliver König/Karl Schattenhofer über „Die Gruppe als Grundform des sozialen Lebens“.

Spannendes Thema mit großem Potential

Es gibt in Deutschland schätzungsweise 130.000 Betriebsratsgremien und fast eine Million Betriebsratsmitglieder, die – nebenbei bemerkt- durch ihre Steuern auch die deutsche Theaterlandschaft mitfinanzieren. Vielleicht wäre es eine gute Idee, dass die eine oder andere Spielstätte sich mal tatsächlich für deren alltäglichen Kleinkrieg interessiert. Ein spannender Stoff wäre garantiert und möglicherweise sogar ein Publikumsmagnet.

Formale Vorbilder könnten fesselnde Stücke sein wie „Die Lücke“ (Schauspiel Köln, Regie+Text: Nuran David Calis, Dramaturgie: Thomas Laue) zum NSU-Attentat in der Kölner Keupstraße und „Bonnopoly“ (Theater Bonn, Regie: Volker Lösch, Text: Ulf Schmidt) zum Korrutionsskandal um das World Conference Center Bonn.


Die nächsten Termine: 28.12.2017, 5.01.2018, 12.01.2018, 25.02.2018, 26.02.2018, 22.03.2018, 3.04.2018, 8.04.2018, 11.04.2018. Karten + Informationen http://www.staatstheater-mainz.com/web/veranstaltungen/schauspiel-17-18/7minuten


Der Beitrag erschien in leicht geänderter Form in der Tageszeitung junge Welt, 25.11.2017

Fußnoten

1 Vergleiche: Werner Altmayer: „Mitbestimmung à la française. Ein Ländervergleich“, Arbeitsrecht im Betrieb, Juli 2000, S. 422-28. http://www.euro-betriebsrat.de/pdf/AiB072000.pdf

2 Rudolf Balmer: Arbeitskampf in Frankreich. Nichts zu danken!, taz, 2.4.2012. http://www.taz.de/!5097009/

3 100 Jahre Kampf für Frieden, Gerechtigkeit + Demokratie. Vorläufer der Betriebsräte in Deutschland: Matrosenunruhen 1917 in Wilhelmshaven leuten Ende des 1. Weltkriegs ein, arbeitsunrecht.de, 5.9.2017. https://arbeitsunrecht.de/100-jahre-kampf-fuer-frieden-gerechtigkeit-demokratie/

4 François Truffaut: Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?, München 2003. https://www.goodreads.com/quotes/728496-there-is-a-distinct-difference-between-suspense-and-surprise-and


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