Frontberichte 11/2020: Wirecard, Egetürk, H&M, Tesla

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Presseschau: Betriebsratsbehinderung und Union Busting in Deutschland

Leo Molatore, Wirecard headquarters, Aschheim (49556187461), CC BY-SA 2.0
  • Wirecard / Aschheim: Kriminelles Unternehmen geht gegen Betriebsratsinitiatoren vor
  • Egetürk / Köln: Dritter Kündigungsversuch gegen Betriebsratsvorsitzende
  • H&M / Hamburg: 35 Millionen Euro Bußgeld für Bespitzelung von Mitarbeiter*innen
  • Tesla / Grünheide: Umgehung der Mitbestimmung und Löhne nach Gutsherrenart?

Wirecard: Kriminelles Unternehmen geht gegen Betriebsratsinitiatoren vor

Nach dem Bekanntwerden des gigantischen Betrugsskandals rund um den Zahlungsdienstanbieter Wirecard AG musste das Unternehmen und zahlreiche Tochtergesellschaften Insolvenz anmelden. Nun entlässt der Insolvenzverwalter Michael Jaffé und seine Kanzlei Jaffé Rechtsanwälte Insolvenzverwalter einen Großteil der Mitarbeiter und geht damit zeitgleich gegen zahlreiche Betriebsratsinitiatoren vor. 

Das gesamte Ausmaß der kriminellen Handlungen der Wirecard AG und ihrerer ehemaligen Vorstände wie Markus Braun (Zur Zeit wegen „gewerbsmäßigen Bandenbetrugs“ in Untersuchungshaft“), Jan Marsalek (flüchtig, wird mit einem internationalen Haftbefehl gesucht), Alexander von Knoop und Susanne Steidl ist bis heute kaum absehbar. In dem gesamten Komplex gerät auch das weltweit tätige Wirtschaftsprüfungsunternehmen Ernst & Young immer mehr in den Mittelpunkt. Dieses hatte Wirecard stets korrekte Bücher bestätigt.

Auf den angekündigten massiven Jobkahlschlag durch den Insolvenzverwalter Michael Jaffé reagierten die Mitarbeiter von Wirecard mit der Forderung nach Gründung eines Betriebsrates. Wirecard ist eines der wenigen DAX-Unternehmen bei dem es bisher keinen Betriebsrat gab. Rund 730 der 1300 Wirecard-Beschäftigten in Deutschland hat Jaffé mittlerweile entlassen.

Betriebsratsgründungen in sieben Wirecard-Töchtern

Gemeinsam mit der Gewerkschaft Verdi bereiteten Mitarbeiter für Ende August 2020 in sieben Tochtergesellschaften der Wirecard AG die Gründung von Betriebsräten und in diesem Zusammenhang Wahlversammlungen für die Wahl der Wahlvorstände vor. Ein Teil der Mitarbeiter und Betriebsratsinitiatoren hatte dann Kündigungsschreiben bekommen, welche auf den 25. August 2020 datiert waren. An diesem Tag fanden drei von insgesamt sieben Wahlversammlungen statt. Vor den Kündigungen durch den Insolvenzverwalter hatte ein Großteil der Betroffenen am Vorabend der Wahlversammlungen noch eine E-Mail erhalten, die sie über ihre Freistellung informierte. Ein recht offensichtlicher Versuch die Betriebsratswahlen zu beeinflussen, wenn nicht gar zu verhindern.


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„Abgesehen von der Missachtung des Kündigungsschutzgesetzes, liegt die Vermutung nahe, dass eine Beeinflussung der Betriebsratswahl zumindest in Kauf genommen wurde“, so Gregor Völkl Gewerkschaftssekretär von Verdi. 

12 Kündigungsversuche von Wahlvorstandsmitgliedern gescheitert

In 15 Fällen haben die Kündigungen oder Freistellungen gewählte Wahlvorstände und mindestens eine schwangere Mitarbeiterin betroffen. In 12 Fällen konnte Verdi bereits die Rücknahme der Kündigungen erreichen. Bei der schwangeren Mitarbeiterin sei zwar die Kündigung zurückgezogen worden, sie sei aber weiterhin freigestellt. In den drei weiteren Fällen weigert sich der Insolvenzverwalter die Kündigungen zurück zu ziehen, da er davon ausgeht, dass die Kündigungen bereits vor der Wahlversammlung zugestellt wurden und der besondere Kündigungsschutz nicht greift. Verdi kündigte daraufhin an Klage beim zuständigen Arbeitsgericht einzureichen. Außerdem geht die Gewerkschaft davon aus, dass der Insolvenzverwalter für die Kündigungen keinen Sozialplan erarbeitet und beachtet hat und die Kündigungen auch aus diesem Grund nicht rechtmäßig sind. 

Die sieben Wahlvorstände bereiten nun für den 26.10.2020 bei der Wirecard Global Sales GmbH und der Wirecard Service Technologies GmbH, für den 27.10.2020 bei der Wirecard Acceptance Technologies GmbH und der Wirecard Technologies GmbH und für den 29.10.2020 bei der Wirecard AG, der Wirecard Bank AG und der Wirecard Issuing Technologies GmbH die Betriebsratswahlen vor.

Die Wirecard AG mit Sitz in Aschheim bei München ist ein 1999 gegründetes Zahlungsdienstleistungsunternehmen. Das Unternehmen hat nach der Veröffentlichung von massiven Bilanzmanipulationen am 25. August offiziell Insolvenz angemeldet. Seitdem hat der eingesetzte Insolvenzverwalter 730 der 1.300 Beschäftigten von Wirecard in Deutschland entlassen. 2018 hatte Wirecard weltweit noch mehr als 5.000 Angestellte.

Quellen:

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Egetürk: Dritter Kündigungsversuch gegen Betriebsratsvorsitzende

Nachdem wir erst in den letzten Frontberichten (10/2020) positiv darüber berichten konnten, dass das Arbeitsgericht Köln die beiden Kündigungen von Egetürk Wurst- und Fleischwarenfabrikation GmbH & Co. KG gegen die Betriebsratsvorsitzende Gülden I. als unrechtmäßig abgelehnt hatte, flatterte ihr nun bereits die nächste fristlose Kündigung ins Haus.

Am 04.09.2020 entschied zunächst das Arbeitsgericht Köln zugunsten von Gülden I. Beide Kündigungsversuche wurden durch das Arbeitsgericht für unwirksam erklärt (Aktenzeichen 19 Ca 1827/20). Für die erste Kündigung liege laut dem Gericht kein ausreichender Grund vor, die zweite scheiterte bereits aus formalen Gründen. Egetürk musste Gülden I. nach diesem Urteil wieder einstellen.

Dritter Kündigungsversuch statt Weiterbeschäftigung

Am 09.09.2020 wurde Gülden I. dann das Urteil zugestellt, so dass ihrer Rückkehr in den Betrieb und den Betriebsrat zunächst nichts mehr im Weg stand. Am 17.09.2020 sprach Egetürk dann eine dritte fristlose Kündigung aus. Wie die Gewerkschaft NGG berichtet, begründet Egetürk diesen neuerlichen Kündigungsversuch damit, dass Gülden I. falsche Behauptungen aufgestellt hätte. Egetürk wirft ihr falsche Verdächtigungen, üble Nachrede und versuchten Prozessbetrug vor. Diese Gründe klingen ähnlich absurd wie die der vorhergegangenen Kündigungen und werden wohl wenig Aussicht auf Erfolg haben. Trotzdem macht dieses Verhalten der Egetürk Geschäftsführung klar, dass es hier darum geht eine engagierte Betriebsratsvorsitzende mit allen Mitteln loszuwerden

Seit mehr als einem Jahr geht das patriarchal geführte Unternehmen Egetürk Wurst- und Fleischwarenfabrikation GmbH & Co. KG unter der Leitung von Ahmet Emre Eden gegen den Betriebsrat, seine Vorsitzende und die Forderung nach einem Tarifvertrag vor. Dabei scheint ihm jedes Mittel recht zu sein, um gegen das Recht auf Organisierung und Mitbestimmung durch die Belegschaft vorzugehen. Wir berichteten bereits mehrfach ausführlich über die Machenschaften von Ahmet Emre Eden und seinem „Kommunikationsbeauftragten“ Ercan Türkoglu, welcher vermutlich allein zur Bekämpfung von Betriebsrat und Gewerkschaft eingestellt wurde (123).

Mit der zweifachen fristlosen Kündigung der seit 27 Jahren im Betrieb beschäftigten Betriebsratsvorsitzenden Gülden I. am 17.03.2020 und 15.05.2020 und dem Sammeln von Unterschriften in der Belegschaft zu ihrer Absetzung durch Ercan Türkoglu hatte das Union-Busting im Frühjahr 2020 einen Höhepunkt erreicht. Mit der jetzt am 09.09.2020 erfolgten neuerlichen Kündigung geht die Auseinandersetzung in die nächste Runde.

Derzeit ist die Egetürk Wurst- und Fleischwarenfabrikation GmbH & Co. KG Marktführer für türkische Fleischprodukte in Europa. Nach eigenen Angaben hat der Konzern einen europäischen Marktanteil an Halal-Produkten von mehr als 70%. Im Gewerbegebiet Köln-Feldkassel steht die 63.000 m² große Produktionshalle. Der Konzern produziert dort mit 170 Mitarbeitern rund 150 Tonnen türkischer Fleischprodukte täglich

Quellen:

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H&M: 35 Millionen Euro Bußgeld wegen Bespitzelung von Mitarbeitern

Bereits im Januar 2020 (Frontberichte 02/2020) berichteten wir darüber, dass der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz, Johannes Caspar, ein Bußgeldverfahren gegen den deutschen Ableger der Modekette H&M wegen der Bespitzelung seiner Mitarbeiter einleitete. 

Bereits im November 2019 wurde bekannt, dass Führungskräfte des zentralen Kundencenters von H&M in Nürnberg Notizen aus Gesprächen mit Teamleitern anlegten und Informationen über ihre Gesundheit und sonstigen persönlichen Umstände der MitarbeiterInnen sammelten, und zwar von der Krebserkrankung bis zum Ehestreit.

Diese speicherten die Führungskräfte in speziellen Ordnern auf den Servern des Kundenzentrums. Mehr als 60 GB Daten sollen so zusammen gekommen sein. Nur durch Zufall entdeckten MitarbeiterInnen des Kundenservices diese Dateien. Der H&M Deutschlandzentrale blieb nichts anderes übrig, als die Existenz der Dateien und die Bespitzelung der MitarbeiterInnen offiziell einzugestehen.

Nun hat der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz, Johannes Caspar, ein Bußgeld in Höhe von 35,3 Millionen Euro gegen H&M verhängt. Bis Mitte Oktober hat der Konzern nun Zeit das Bußgeld und einen eventuellen Einspruch dagegen zu prüfen oder dieses zu akzeptieren. 

„Der vorliegende Fall dokumentiert eine schwere Missachtung des Beschäftigtendatenschutzes“, so der Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar. „Das verhängte Bußgeld ist dementsprechend in seiner Höhe angemessen und geeignet, Unternehmen von Verletzungen der Privatsphäre ihrer Beschäftigten abzuschrecken.“

Immer wieder macht der schwedische Modekonzern Hennes & Mauritz durch negative Schlagzeilen über massives Union Busting und skrupelloses Vorgehen gegen engagierte und unliebsame KollegInnen auf sich aufmerksam.

Damit gewann der Konzern im Oktober 2017 die Nominierung zum Schwarzen #Freitag13 und wurde von der aktion ./. arbeitsunrecht als Horror-Arbeitgeber skandalisiert. In rund 20 Städten organisierte sich Protest gegen die Flex-Verträge und Union Busting bei H&M  (Freitag13 Oktober 2017). Auch in zahlreichen weiteren Fällen berichteten wir bereits über das aggressive Vorgehen des Konzern gegen MitarbeiterInnen (12). 

Im Zusammenhang mit der Corona-.Krise werfen Beschäftigte H&M einen Missbrauch von Kurzarbeitergeld vor. H&M ließ sich 60%/67% des Lohns der Beschäftigten sowie Sozialversicherungsabgaben von der Agentur für Arbeit bezahlen, während „billigere“ studentische Beschäftigte und Flex-Kräfte gleichzeitig zur Mehrarbeit verdonnert worden sein sollen.

Karl-Johan Persson führt heute das schwedische Familienunternehmen. Er ist der Enkel des einstigen Unternehmensgründers Erling Persson. Die deutschen Läden gehören der H&M Hennes & Mauritz B.V. & Co. KG an. Laut Wikipedia soll H&M bis zu ein Viertel des jährlichen weltweiten Umsatzes von rund 20 Milliarden Euro in Deutschland machen. Weltweit Beschäftigt der Konzern rund 160.000 Mitarbeiter. 

Quellen:

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Tesla: Mitbestimmung umgehen und Löhne nach Gutsherrenart?

Obwohl es bisher lediglich vorläufige Baugenehmigungen gibt, ist der US-amerikanische Elektroautohersteller Tesla bereits seit Monaten im Brandenburgischen Grünheide kräftig am bauen. Hier soll die erste Tesla Fabrik in Deutschland entstehen. Nach den Unternehmensplänen sollen ab Sommer 2021 in der neuen Fabrik jährlich rund 500.000 Elektroautos vom Band rollen. Mit der Fabrik sollen zudem rund 12.000 Arbeitsplätze entstehen. In der gesamten Region könnten es sogar bis zu 40.000 sein, träumen sich Lokalpolitiker herbei.

Doch nicht nur bei Umweltschützern regt sich Protest gegen die neue Fabrik. Auch Gewerkschafter und Politiker sehen in der Ansiedlung des US-amerikanischen Unternehmens bereits jetzt eine Menge Konfliktpotential. 

So soll Tesla für die Erschließung des europäischen Marktes und die Fabrik in Deutschland bereits eine Europäische Aktiengesellschaft (SE) gegründet haben. Die Industriegewerkschaft IG Metall befürchtet, dass Tesla damit die in Deutschland gesetzlich garantierten Mitbestimmungsrechte der Belegschaft aushebeln will. 

„Wir erwarten, dass Tesla die deutsche Mitbestimmungskultur respektiert, die gerade in der deutschen Automobilindustrie intensiv und erfolgreich gelebt wird“, so IG Metall Bezirksleiter Stefan Schaumburg. Das Tesla dazu eher nicht bereit ist, darauf deutet ein Gesprächsangebot hin, welches der IG Metall Vorstand im März an Tesla gesandt hat. Bisher hat Tesla dieses Gesprächsangebot schlicht ignoriert. 

Fraglich ist auch inwieweit sich Tesla an bisherige Standards anderer großer deutscher Autohersteller und die dort geltenden Tarifverträge halten wird. IG Metall Chef Jörg Hoffmann kündigte bereits an, Löhne die nach Gutsherrenart festgesetzt werden auf Dauer nicht zu akzeptieren. Tesla Geschäftsführer Elon Musk hatte bisher nur angekündigt, dass die Arbeit im deutschen Werk „super Spaß machen“ würde. 

Arbeitsbedingungen nach US-Vorbild?

Wenn Tesla versuchen sollte seine amerikanischen Arbeitsbedingungen etwa wie in seiner Gigafactory in Nevada, mit einer 70-Stunden-Woche, nicht ausreichenden Sanitäranlagen und Teilen der Produktion in Zelten anstatt einer Fabrikhalle, auch in Deutschland durchzusetzen, wird der Konzern wohl schnell auf den Widerstand der Gewerkschaft stoßen. 

Die Tesla Inc. ist eines der wertvollsten US-amerikanischen Automobilunternehmen. Weltweit beschäftigt der Konzern, der neben Elektroautos auch Stromspeicher- und Photovoltaikanlagen produziert mehr als 48.000 Mitarbeiter. Bereits am 3. Januar 2017 hat Tesla das in Prüm in Rheinland-Pfalz ansässige Maschinenbauunternehmen Grohmann Engineering übernommen. Heute heißt das Unternehmen Tesla Grohmann Automation GmbH. Auch hier hatte es bereits Auseinandersetzung um einen Tarifvertrag gegeben. Die IG Metall konnte zwar höhere Löhne und eine Arbeitsplatzsicherung, aber keinen Tarifvertrag durchsetzen.

Quellen:


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