Presserecht: Werner Rügemer siegt gegen Lobbyisten

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Kritik an Deep lobbying. Think-Tank der Deutschen Post zieht Unterlassungs-Klage gegen kritischen Publizisten zurück

Ohne >> Spenden für unseren Rechtshilfe-Fonds wäre dieser Sieg nicht möglich gewesen.

Pressemitteilung aktion ./. arbeitsunrecht, 21.1.2019 | Kontakt

Das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA, Bonn), finanziert von der Deutsche Post-Stiftung, zieht nach Ausscheiden des Direktors Prof. Dr. Klaus Zimmermann seine Klage gegen den Autoren Werner Rügemer vollständig zurück – kurz vor einem Verhandlungstermin vor dem OLG Hamburg, der für den 8. Januar 2019 angesetzt war; dieser wurde aufgehoben.

Rügemers inkriminierter Beitrag über „Tarnkappen-Professoren“, unternehmensabhängige Wissenschaftler und Think-tanks kann nun wieder bedenkenlos und unzensiert publiziert werden. [Update, 21.1.2019:] Hier ist er: Deep Lobbying – Die unterwanderte Demokratie.

Der Kölner Publizist Werner Rügemer ist Vorstandsvoritzender und Mitbegründer der aktion ./. arbeitsunrecht. Der Verein hatte seit Juni 2014 über den Fonds Meinungsfreiheit in der Arbeitswelt Spenden gesammelt, um die Verfahrenkosten zu bestreiten. Das IZA engagierte die Promi-Kanzlei Redeker Sellner Dahs, für Rügemer war RA Eberhard Reinecke tätig.


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Der Fall IZA ./. Rügemer (OLG Hamburg, Az. 7 U 19/15) sorgte unter kritischen Wissenschaftlern, investigativen Journalisten, Gewerkschaftern und Bürgerrechtlern für einige Aufregung. Er ist für zukünftige Auseinandersetzungen von Bedeutung.

Pressesprecher Elmar Wigand erklärte:

Der Ausgang bestätigt unsere Linie, dass wir keine faulen Kompromisse machen, wenn es um Grundrechte geht. Wir verteidigen uns durch öffentliche Mobilisierung, investigative Recherche und juristische Kompetenz.

Am Ende hat unser Kollege gewonnen und Kläger Klaus Zimmermann seinen Job beim IZA verloren.

Wir freuen uns über diesen Erfolg und hoffen auf weitere Zuspenden in unseren Rechtshilfe-Fonds!

Die erstatteten Prozess- und Anwaltskosten werden in den Fonds Meinungsfreiheit in der Arbeitswelt zurück fließen und zur Abwehr künftiger Maulkorb-Verfahren gegen Gewerkschafter, Betriebsräte und kritische Bürger verwendet.

Einstweilige Verfügung und Klage

Werner Rügemer
Werner Rügemer am Schwarzen Freitag, 13. April 2018 vor dem Kölner Büro von Deliveroo.

Die Klage aus 2013 richtete sich gegen Werner Rügemers Veröffentlichung „Der unterwanderte Staat“ in 8/2013 der Blätter für deutsche und internationale Politik. Zimmermann hatte zunächst durch Einstweilige Verfügung das Verbot von vier Aussagen durchgesetzt:

  1. „Faktenwidrig bezeichnet sich das Institut als unabhängig.“
  2. „Von freier Wissenschaft kann hier beim besten Willen nicht gesprochen werden.“
  3. „Das IZA betreibt Lobbying zugunsten der Unternehmer.“
  4. „Die Finanzierung durch die Deutsche Post AG ist dem breiten Publikum unbekannt.“

Rügemer hatte die Unabhängigkeit des IZA in Zweifel gezogen

Die Verflechtung des IZA mit der Kapitalseite sei augenfällig:

  • Exklusive Dauer-Finanzierung durch die Deutsche Post-Stiftung,
  • Übereinstimmung mit Forderungen der Unternehmerlobby:
    • Polemik gegen den Mindestlohn,
    • Arbeitspflicht für Hilfsempfänger,
    • verlängerte Arbeitszeit;
  • Gefälligkeits-Gutachten für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft INSM,
  • Verteidigung der vier Hartz-Gesetze;
  • vielfältige personelle Vernetzung über policy fellows mit Regierungsparteien und Konzernen einschließlich z.B Friedrich Merz und Blackrock.

Die Unterwanderung des Staates bestehe darin, dass Lobbyisten wie das IZA nicht von außen an den Staat herantreten, sondern durch Dauerbeauftragung etwa für die Bundesregierung, für die Europäische Kommission und die Weltbank als Teil des Staates agieren und Lobbyarbeit hinter etablierten Lobbyverbänden wie BDI und Leitmedien wie der FAZ betreiben (Stichwort: Deep lobbying, siehe: lobbypedia.de).

Rückschläge vor der Hamburger Presse-Kammer

Das Hamburger Landgericht verfügte auf Antrag von Prof. Zimmermann am 13.1.2014, dass bei Wiederholung der fraglichen Passagen ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro oder eine Ordnungshaft bis zu zwei Jahren fällig sei. Der Streitwert lag bei 80.000 Euro.

Die Verfügung richtete sich auch gegen die Neue Rheinische Zeitung (www.nrhz.de), die den Artikel übernommen hatte. Da solche Vorwürfe in einem Hauptverfahren zu klären sind, forderten wir das IZA auf, die Hauptsachenklage zu erheben.

Prof. Zimmermann ließ sich durch die Bonner Groß-Kanzlei Redeker Sellner Dahs vertreten (Mandanten u.a. Helmut Kohl, Christian Wulff, Papst Benedikt XVI., Angela Merkel) und maß somit der Auseinandersetzung – auch durch die eingesetzten Kosten und Mühen – eine gewisse Bedeutung zu.

Obwohl Rügemer in Köln wohnt und das IZA in Bonn residiert wurde Hamburg als Gerichtsort gewählt. Grund ist der traditionell unternehmensfreundliche Ruf der Pressekammer Hamburg (maßgeblich geprägt durch den Richter Andreas Buske, kanzleikompa.de, 5.12.2011).

Wie kam es zur Rücknahme der Klage?

Bereits in dem Urteil in der 1. Instanz entschied das Landgericht, dass die ersten beiden Äußerungen nicht verboten werden können.

Weil Rügemer wegen der beiden weiteren Äußerungen (insbesondere „Lobbying“) nicht klein beigeben wollte, landete das Verfahren 2015 beim Oberlandesgericht Hamburg. (Az. 7 U 19/15).

Weil das OLG bis 2018 keinen Verhandlungstermin angesetzt hatte, machte der Autor beim zuständigen Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg die höchstmögliche Entschädigung von 1.200,- € pro Jahr geltend. Nachdem sie Ende 2018 ausgezahlt wurde, setzte das OLG für den 8.1.2019 umgehend einen Verhandlungstermin an.

Der Kläger zog daraufhin sofort seine gesamte Klage zurück und übernahm die gesamten Gerichtskosten und die Hälfte von Rügemers Anwaltskosten. Das OLG sagte den Termin ab.

Somit bekommt der Beklagte mehrere tausend Euro Verfahrenskosten zurück, die größtenteils vom Solidaritätskonto „Meinungsfreiheit in der Arbeitswelt“ der aktion ./. arbeitsunrecht (www.arbeitsunrecht.de) übernommen worden waren.

Die Deutsche Post-Stiftung und ihr neoliberaler Think-Tank

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Prof. Dr. Klaus Zimmermann leitete das IZA in Bonn. Seinen angekratzten Ruf als Wissenschaftler wollte er gerichtlich wieder herstellen. Wir halten ihn für einen – am Ende gescheiterten – Lobbyisten im Dienste ungebremster Unternehmer-Interessen. (Foto: NrhZ-Archiv)

Die Deutsche Post-Stiftung wurde 1996 mit der Privatisierung der Deutschen Post von deren Vorstandschef Klaus Zumwinkel eingerichtet. Sie hatte damals als einzigen Zweck die Finanzierung des IZA.

Mit der IZA-Gründung 1998 wurde Prof. Zimmermann zum Direktor berufen – obwohl er gleichzeitig weiter Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW blieb, und dies bis zu seinem dort erzwungenen Weggang 2011.

Präsident der Post-Stiftung ist bis heute Zumwinkel, dessen Ruf durch seine Verurteilung als langjähriger Steuerhinterzieher hier keineswegs leidet. Das Kuratorium der Stiftung bilden mit einseitigen Unternehmer- und Investoreninteressen (Stand 2016) Hans-Dieter Bertram (Ex-Vorstand Deutsche Post DHL), Wilfried Boysen (Ex-Aufsichtsrat Deutsche Postbank, Alpha Centauri Investment GmbH), Wolfgang Hölters (Berater beim Börsengang der Deutsche Postbank und beim Kauf der DHL durch die Deutsche Post), Herbert Henzler (Ex-Chef von McKinsey Deutschland) sowie Prof. Edgar Ernst (Ex-Vorstand Deutsche Post, Aufsichtsrat bei Vonovia, Metro, TUI, zudem Präsident der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung).

Erster Wirkungstreffer: Deutsche Post entlässt Zimmermann!

In den Verfahren in 1. und 2. Instanz hatte das Gericht Vergleiche vorgeschlagen. Danach fühlte sich Zimmermann schon obenauf. In seinen ausführlichen Kommentaren dazu feierte er sich fröhlich und selbstgerecht als Sieger, sodass dies dem Aufsichtsrat der Deutschen Post selbst unangenehm wurde. Das Image des Konzerns und seiner Stiftung stand infrage. Deshalb wurde Zimmermann Ende 2015 entlassen („Unrühmlicher Abgang“, Handelsblatt, 17.12.2015). Danach wurde das IZA umstrukturiert.

Zimmermann hatte schon 2011 auch als Präsident des DIW zurücktreten müssen: Der Berliner Rechnungshof hatte die Verschwendung von Fördergeldern, zu häufige Abwesenheit und Unregelmäßigkeiten bei Abrechnungen moniert. Deutsche Post und Zumwinkel und viele internationale Ökonomie-Institutionen hielten und halten trotzdem an ihm fest, ebenso wie die Universität Bonn, die Zimmermann eine Professorenstelle einrichtete.

Werner Rügemer kommentiert das so:

„Unregelmäßigkeiten“ und multifunktionale Selbstbereicherung scheinen organisch zu der hier vertretenen Ökonomie zu gehören.

Danke für die Solidarität!

Werner Rügemer zeigte sich am Ende hoch zufrieden mit dem juristischen Sieg:

Ich bedanke mich für die vielfältige Solidarität, die, wenn auch mit langer Verzögerung, zur Aufhebung der Klage geführt hat.

Zum einen hat die Aktion gegen Arbeitsunrecht das Solidaritätskonto Meinungsfreiheit in der Arbeitswelt eingerichtet. Darauf gingen zahlreiche Spenden ein. Die mehreren tausend Euro Verfahrenskosten konnten somit gedeckt und das Verfahren durchgehalten werden.

Enorm wichtig war die Solidarisierung des wissenschaftlichen Beirats von attac. Auch der Support von 30 Leuten vor dem Hamburger Gericht hat gut getan und Druck entfaltet.

Schließlich bedanke ich mich für die engagierte und kenntnisreiche Unterstützung durch meinen Kölner Anwalt Eberhard Reinecke. Ohne ihn hätte ich mich durch den deutschen Medienrechts-Dschungel nicht durchgefunden.

Bitte verklagen Sie uns auch, Herr Zimmermann!

53 Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats von attac veröffentlichten im Mai 2014 eine Solidaritätserklärung, den Offenen Brief an Prof. Zimmermann: „Wir halten Rügemers Darstellung für zutreffend! Verklagen Sie uns auch!“ (attac.de, 23.5.2014)

Der Offene Brief war von Prof. Elmar Altvater († 1. Mai 2018) initiiert worden. Zu den Unterzeichnern gehörten u.a. Armin Bernhard, Claudia von Braunmühl, Christoph Butterwegge, Klaus Dörre, Ulrich Duchrow, Heide Gerstenberger, Peter Grottian, Andreas Fisahn, Frigga Haug, Clemens Knobloch, Lydia Krüger, Hans-Jürgen Krysmanski, Stephan Lessenich, Ingrid Lohmann, Birgit Mahnkopf, Mohssen Massarat, Jürgen Schutte, Christa Wichterich, Winfried Wolf.

Zensur beenden, Originalversion veröffentlichen!

Im Gegensatz zur Redaktion der Neuen Rheinischen Zeitung und zu Werner Rügemer hatte die Redaktion der Blätter für deutsche und internationale Politik die von Zimmermann zu Beginn geforderte, kostenpflichtige und strafbewehrte Unterlassungs-Erklärung unterzeichnet. Deswegen sind bis jetzt auf der Blätter-Internetseite die fraglichen Passagen gelöscht.

Für juristische Laien bemerkenswert: Weil die Unterlassungs-Erklärung weiterbesteht, kann die Zeitschrift trotz Rücknahme der Klage auch weiterhin nur die gekürzte Fassung veröffentlichen.

Eine weitere Absurdität: Der offene Brief des Attac-Beirates zur Solidarität mit Werner Rügemer ist auf den Seiten der Blätter inzwischen hinter einer Bezahlschranke versteckt (siehe: blätter.de, 16.5.2014, abgerufen 18.1.2019).

[Update, 21.1.2019:] Die Redaktion der Blätter für deutsche und internationale Politik sagte zu, die Unterlassungserklärung für ungültig erklären zu lassen und die Originalversion des Artikels auf der Website wieder zugänglich zu machen.


Weitere Informationen:


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2 Kommentare

  1. Es freut mich außerordentlich, dass gründliche Arbeit und Hartnäckigkeit gegenüber Korruption und Manipulation sich letztendlich doch gelohnt haben, soviel Nerven dieser Kampf sicher auch gekostet haben wird.

    Herzlichen Glückwunsch!!!

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