Union Busting am HPI in Potsdam: Angebliche Whistleblowerin klagt auf Wiedereinstellung

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Hasso Plattner-Institut hatte seine Buchhalterin wegen angeblicher Weitergabe interner Dokumente fristlos gekündigt.

Wir vermuten: Kündigungsgründe wurden konstruiert, um an einer management-kritischen Stimme ein Exempel zu statuieren.

  • Presse-Berichte von Correctiv und Tagesspiegel deckten am 1. März 2024 schmutzige Methoden des HPI-Managements und seiner Dienstleister auf.

  • Anna B. wird des Geheimnisverrats und der Rufschädigung beschuldigt. Sie bestreitet die Vorwürfe.

  • Interne Dokumente belegen über 200.000 Euro für Union Busting-Kanzlei Pusch Wahlig und PR-Agentur Lutz Meyer & Company.

  • Kanzlei Pusch Wahlig höhlt das deutsche Recht aus. Um einen Betriebsrat zu verhindern, installierte die Kanzlei ein Pseudo-Gremium („Institutsrat“) ohne rechtlichen Schutz und erforderliche Durchsetzungkraft — und verdiente gut daran.

  • Standesrechtlich fragwürdig: Top-Union Buster Tobias Pusch kämpft in eigener Sache. Es geht ihm womöglich mehr um seinen eigenen Ruf als das Wohl seiner Mandantschaft.

  • Warum hat das HPI Angst vor einem Betriebsrat? Betriebräte sind Brückenköpfe für gewerkschaftliche Organisierung und Tarifbewegungen.

  • Forschung und Lehre am HPI sind prekär. Viele Verträge sind sachgrundlos befristet. Mit einem Betriebsrat könnte sachgrundlose Kettenbefristung eingedämmt werden.


Elmar Wigand ist als Pressesprecher erreichbar unter: presse@arbeitsunrecht.de | +49 176 588 656 23 | Presse-Verteiler: https://arbeitsunrecht.de/presse/


Berlin, 8. Juli 2024 | als pdf

Die Aktion gegen Arbeitsunrecht ruft zur Prozessbeobachtung auf und erklärt sich solidarisch mit der Buchhalterin Anna B. und allen kritischen Beschäftigten und Studierenden des Hasso Plattner-Instituts in Potsdam.

Donnerstag, 11. Juli 2024, 10:45 Uhr | Arbeitsgericht Potsdam, Behlertstraße 3A, Haus C, 14467 Potsdam

Anna B. wurde wegen der angeblichen Weitergabe interner Informationen und Rufschädigung des HPI gefeuert. Brisante interne Rechnungen des HPI gelangten an die Öffentlichkeit. Sie waren Grundlage und Anlass für kritische Presseberichte des Correctiv, des Tagesspiegel und der Aktion gegen Arbeitsunrecht, die Anfang März 2024 erschienen.


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Anna B. bestreitet die Vorwürfe. Sie klagt auf Wiedereinstellung. Ihr Anwalt Rojat Akay (Kanzlei Vieker & Chatziparaskewas) hat errechnet, dass möglicherweise über 130 Personen Zugang zu jenen Dokumenten gehabt haben könnten, die Anna B. angeblich weiter geleitet haben soll. Dazu gehören neben der HPI-Verwaltung und IT-Dienstleistern vermutlich auch Mitarbeiter der Kanzlei Pusch Wahlig und der PR-Agenur Lutz Meyer & Company.

Ohne Beistand ins Kreuzverhör genommen

Nach Presseanfragen, in denen das Correctiv das HPI-Managment mit internen Unterlagen und Rechnungen konfrontierte, begann die Suche nach Schuldigen bzw. nach einem Sündenbock. Anna B. wurde während der Arbeit ins Kreuzverhör genommen. Die HPI-Buchhalterin wurde ca. 40 Minuten, ohne Beistand auf sich allein gestellt, von vier Personen aus dem HPI-Management bedrängt, fühlte sich in die Ecke getrieben und bedroht. Kurz darauf wurde sie fristlos entlassen. Angebliche Aussagen aus diesem unsauberen Verhör werden ihr nun als Kündigungsgründe präsentiert.

Wir kritisieren diese Art der Drangsalierung von Mitarbeitern als unzumutbar. Das sind Methoden autoritärer Regime.

Genau deshalb ist ein Betriebsrat wichtig: Betriebsratsmitglieder hätten Anna B. Beistand leisten können. Genau hier zeigt sich, dass ein vom Management konstruierter „Institutsrat“, der mit Günstlingen des Managements besetzt wird, im Ernstfall wertlos ist. (Faustregel für alle Beschäftigten zur eigenen Sicherheit und seelischen Gesundheit: Niemals ohne Beistand in kritische Personalgespräche gehen!)

Tobias Pusch in Aktion. Ein Union Buster kämpft um seinen Ruf

Standesrechtlich problematisch erscheint uns, dass der umstrittene Hardcore-Jurist Tobias Pusch im Verfahren höchstpersönlich gegen Anna B. antritt. Pusch verteidigt hier nicht nur seine Mandantschaft, also das HPI, sondern nicht zuletzt seine eigenen Interessen. Pusch hat den Löwenanteil der Honorare eingestrichen, um deren Veröffentlichung es im Verfahren geht (Stundensatz 420,- Euro). Seine Kanzlei Pusch Wahlig hat durch die Enthüllungen seiner anti-demokratischen Aktivitäten womöglich eine größere Rufschädigung erlitten als das HPI. Pusch Wahlig fällt bereits seit Längerem als skrupellose Fertigmacher-Kanzlei unangenehm auf. (Etwa durch Betriebsratsbehinderung bei Flaschenpost, Sixt, Flink und einer mutmaßlich hohen Dunkelziffer an Fällen.)

Durch interne Dokumente konnte im Fall der Betriebsratsverhinderung am HPI erstmals die finanzielle wie organisatorische Dimension von Union Busting nachgewiesen werden. Das hat politische Brisanz: Es ist an der Zeit, dass der § 119 BetrVG (Betriebsratsbehinderung als Straftat) endlich nachgeschärft wird, damit sich eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft solcher Vorgänge annimmt.

Es handelt sich bei Betriebsratsbehinderung nicht um ein Kavaliersdelikt sondern um demokratiefeindliche Umtriebe, die hart zu bestrafen sind!

Rechtsnihilismus und Vertrauensverlust: Fall steht exemplarisch für den Zustand der Republik

Die Erosion des Rechtsstaats und der Demokratie, die wir derzeit auf der politischen Ebene mit dem Aufstieg der AFD erleben, beginnt nicht zuletzt in Betrieben, Unternehmen und Behörden. Wenn Vorgesetzte und ihre Dienstleister Betriebsratsgründer und Gewerkschafter*innen ungestraft drangsalieren und mit schmutzigen Methoden fertig machen können, führt das zu einem nicht wieder gut zu machenden Vertrauensverlust.

Bei vielen Beschäftigten bleibt hängen: „Die Sonntagsreden zur sozialen Marktwirtschaft, Vielfalt und Demokratie enthalten nichts als Lippenbekenntnisse. Am Montag auf der Arbeit kriegst Du auf den Deckel, sobald Du Deine Meinung sagst. Ändern kannst du sowieso nichts. Wenn Du Dich engagierst, gefährdest Du am Ende sogar Deinen Arbeitsplatz.“

Warum die Angst vor einem Betriebsrat?

Viele Dozenten, Wissenschaftler*innen und Hilfskräfte am HPI sind lediglich mit sachgrundlos befristeten Arbeitsverträgen ausgestattet. Über einen Betriebsrat könnte sich eine Gewerkschaft im Betrieb etablieren, denn Betriebsratsmitglieder genießen Kündigungsschutz.

Die sachgrundlose Befristung könnte in einem nächsten Schritt durch einen Tarifvertrag eingedämmt werden. Ein solcher Tarifvertrag wird von Gewerkschaften durch Streik erstritten, sollte sich der Arbeitgeber uneinsichtig zeigen. Alternativ kann ein Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung abschließen, die sachgrundlose Befristung eindämmt.

Die Aktion gegen Arbeitsunrecht ist aus menschlichen wie demokratischen Gründen prinzipiell gegen sachgrundlose Befristungen. Solche Verträge haben kein anderes Ziel, als die Beschäftigten im Zustand von Unsicherheit und Abhängigkeit zu halten. Wer unangenehm auffällt oder Konflikte riskiert, kann durch simple Nicht-Verlängerung der Verträge kalt entsorgt werden.

Welcher Geist weht am Institut des SAP-Milliardärs?

Die Studentenvertretung Uni Potsdam äußerte sich bereits am 1. April 2017 in einer Pressemitteilung sehr kritisch zur Angliederung des Hasso Plattner Instituts an die Hochschule:

Der AStA der Universität Potsdam hält die Vermischung von staatlicher Bildung und Privatwirtschaft im Rahmen der eigenen Hasso-Plattner-Fakultät für problematisch. […] Das HPI ist privat finanziert und auch inhaltlich abhängig vom Software-Milliardär Hasso Plattner.

Der damalige Direktor des HPI, Christoph Meinel, hatte aus seiner anti-demokratischen Grundeinstellung schon damals keinen Hehl gemacht. Meinel bezeichnete in einem Interview mit dem RBB die demokratische Kontrolle der Universität durch ihre Gremien als „Wermutstropfen“ des Angliederungsmanövers.

Der ASTA warnte vor einem Ausverkauf der Universität an Privat-Investoren. Die Hochschule drohe zu einer „Ausbildungsfabrik“ zu verkommen:

„Bildung, als öffentliches Gut, verliert an dieser Universität immer weiter an Bedeutung. Vielmehr wird sie zu einem Industriezweig, in den private Unternehmer*innen wie Hasso Plattner investieren können. Investitionen werden allerdings nur gemacht, wenn daraus unmittelbarer Profit erwartet werden darf.“

Die damalige Skepsis war offensichtlich berechtigt und wurde nun durch das Union Busting am HPI bestätigt.


Wer sind wir?

Die „Aktion gegen Arbeitsunrecht e.V. – Initiative für Demokratie in Wirtschaft & Betrieb“ ist ein gemeinnütziger Verein, der sich seit 2014 für Arbeitsrechte als Menschenrechte einsetzt.

Wir unterstützen Betriebsräte, Gewerkschafter*innen und Beschäftigte und beleuchten die Schattenseiten der deutschen Wirtschaft.

Wir dokumentieren und analysieren Union Busting (d.h. die systematische und professionelle Bekämpfung arbeitgeber-unabhängiger Organisierung) und Fertigmacher-Methoden. Wir entwickeln Gegenstrategien und beraten Betroffene.

Zu unseren Mitgliedern gehören Lohnabhängige, Rechtsanwälte, Publizisten, soziale Aktivisten + Bürgerrechtler*innen.

Träger des taz.panter Preis 2017.


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