† Wir trauern um Keno Böhme

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Unser Mitstreiter ist von uns gegangen.

R.I.P. Keno Böhme / Liefern am Limit / NGG / aktion ./. arbeitsunrecht
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Keno wurde nur 23 Jahre alt. Wir sind traurig, dass wir nicht wenigstens versuchen konnten zu helfen, weil wir ahnungslos und zu weit entfernt waren.

Wir haben Keno durch gemeinsame Organisierung und den Kampf für Arbeitsrechte kennen und schätzen gelernt. Mit der Riders-Plattform Liefern am Limit, die Keno mit Sarah, Orry und Marc gegründet hatte, und der NGG haben wir dafür gesorgt, dass Deliveroo in Deutschland die Segel streichen musste – die bis dato schlimmste Union Busting-Firma in der Essensauslieferung.

Dazu trug der Aktionstag Schwarzer #Freitag13 Nr. 6 am 13. April 2018 maßgeblich bei, den wir mit ihm vorbereitet und durchgeführt haben. Im Vorfeld haben wir sämtliche 1.547 Vertragsrestaurants von Deliveroo in Deutschland per Brief angeschrieben und sie aufgefordert, ihre Geschäftsbeziehungen zu kündigen.1 Die Adressen hatte Keno aus dem Netz gesaugt, das Geld für Porto und Verschickung kam über Spenden zusammen. Keno sprach auf einer großen Kundgebung vor dem Deliveroo-Büro in der Venloer Straße, Köln-Ehrenfeld (siehe Foto + Video); wir zogen mit einer Fahrrad-Demo quer durch die Innenstadt, die Rufe „Shame on you Deliveroo!“  hallen immer noch in unseren Ohren. Der Tag endete mit einer langen Grillparty, während der Keno der aktion ./. arbeitsunrecht e.V. beitrat.


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Persönlich war Keno ein begeisterter Radfahrer und Fahrradkurier für Deliveroo und Lieferando. Er liebte es, sich mit KollegInnen zu treffen, ein Bier zu trinken oder einfach das offene Gespräch zu suchen. Seine charakterlichen Begleiter waren Einsichtsfähigkeit, die Offenheit für Neues, aber auch eine Impulsivität, mit der er Angelegenheiten verfolgte, vor allem sein innerer Antrieb, die Rider zu organisieren. Er hat die Betriebsratsgründungen bei Foodora und Deliveroo in Köln unterstützt, sowie Betriebsratswahlen im Bundesgebiet generell. 2018 wechselte er als Projektsekretär zur NGG, um in einem professionelleren Rahmen die Arbeitsbedingungen der Lieferdienste zu verbessern. Zu Hilfe kamen ihm dabei seine IT- und Social-Media Kenntnisse.

Was wir über unseren Freund jedoch nicht wussten, war die Dimension seiner seelischen Belastungen. Keno hat sich über Karneval 2020 in seiner Wohnung in Köln-Ehrenfeld das Leben genommen.

Psychische Erkrankungen nehmen sprunghaft zu in dieser kalten, sinnentleerten, auf Profit und Konsum gerichteten Welt, die keine Gemeinschaft und Kollektivität mehr kennen will, sondern nur noch das Individuum. Einer Gesellschaft, die einsam macht, Selbstopitimierung predigt und den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen will, halten wir Solidarität und gemeinsame Gegenwehr entgegen. Oft reicht das jedoch leider nicht aus.

Lasst uns daher Kenos Tod als Mahnung verstehen: Einerseits um stärker über das nachzudenken, was uns krank und unglücklich macht, andererseits was wir brauchen, um als Kämpfer*innen für soziale Gerechtigkeit ein langes und erfülltes Leben zu haben. Und wie wir unsere Liebsten vor unumkehrbaren Schritten wie im Fall Kenos abhalten können.

Jessica Reisner & Elmar Wigand | aktion ./. arbeitsunrecht, Büro Köln
Semih Yalcin | BR- und GBR-Vorsitzender Lieferando


Anmerkung

1 Deliveroo hatte seinen Ruf durch gezielte Kündigung von Betriebsratsmitgliedern, Nicht-Verlängerung sachgrundlos befristeter Verträge und Umstellung aller Arbeitsverhältnisse auf Schein-Selbständigkeit vollkommen ruiniert. Im August 2018 zog sich Deliveroo zunächst aus 10 von 15 Städten zurück, im August 2019 verließ das Unternehmen Deutschland komplett.


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4 Kommentare

  1. Wer mit 23 schon genug hat vom Leben hier und für sich keinerlei Perspektiven mehr sieht….schafft es leider meistens nicht den Kopf noch mal klar zu kriegen und wenigstens das Seelentelefon zu nutzen.
    Gerade starke Menschen,die viel helfen, lassen sich nur schwierig Hilfe an sich heran.
    Ich weiß das, aber ich hatte dann sehr sehr viel Glück.
    Schrecklich ist es, wenn dann auf das Paket welches ma trägt immer noch schwerer wird,und noch mal schwerer, weil da niemand ist der was abnimmt.
    Was Ämter damals schon nicht taten(habe meine leidvollen Erfahrungen)aber das was da jetzt abgeht ist ein absolutes untergraven jedwedes menschenlichlichen.
    Ich bin sehr traurig, dass dieser Kämpfer nicht mehr konnte.
    ich bin wirklich sehr traurig😪
    Trotzdem,für die anderen
    Kopf hoch:🖖

  2. Kenos Tod hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen, obwohl ich seit 8 Monaten aus der Branche raus bin. Mein erster Gedanke war „das war er nicht selbst!“. Ich habe extrem gerne als Essenskurier gearbeitet, es brauchte schon ein substantielles Trauma in Form der Übernahme von Foodora durch Lieferando, um mich von diesem Weg wieder abzubringen. Aber ich habe auch keine Ahnung von Kenos psychischen Problemen gehabt. Ich denke oft, dass die Leute mit psychischen Problemen in Wirklichkeit die gesünderen sind, weil wir in einer Welt leben, die man beim besten Willen nicht mehr als gesund bezeichnen kann. Andererseits habe ich einen unbändigen Zorn in mir gegen die, die das mehr zu verantworten haben als wir alle (denn unschuldig ist niemand an dem Zustand der Welt), und solange ich nicht einige von denen ihr Karma habe empfangen sehen, werde ich mich nicht freiwillig aus der Welt verabschieden.

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