KNV: Buchversand als Knochenmühle

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Staatliche Rettungsgelder für Monopol-Zwischenhändler? Die Arbeitsbedingungen bei KNV Logistik in Erfurt sprechen dagegen

KNV Logistik arbeitet ähnlich wie amazon
Amazon-Versand 2015. Die Arbeitsbedingungen bei KNV Logistik in Erfurt sind leider keinen Deut besser. (Bild: Scott Lewis, Lizenz: CC BY 2.0)

von Elmar Wigand

Die Diskussionen in der deutschen Buchhandels- und Verlagsbranche werden momentan von der überraschenden Insolvenz des Zwischenhändlers KNV Logistik am 14. Februar beherrscht. Das Wehklagen ist groß – auch in linken und liberalen Kreisen.

Merkwürdig ist, dass sich niemand für die Arbeiter*innen hinter den Kulissen zu interessieren scheint. Die Bedingungen, unter denen Lohn, Preis, Profit bei KNV realisiert wurden, scheinen nebensächlich wenn etwas vermeintlich Großes wie die „Bibliodiversität“ Deutschlands auf dem Spiel steht. Oder ist das nur eine Sprechblase?

Gezielte Täuschung der Verlage: KNV nimmt Weihnachtsgeschäft 2018 mit

Das Börsenblatt des deutschen Buchhandels brachte seitenweise Solidaritätsadressen, eine KNV-Crowdfunding-Aktion soll gestartet werden. Forderungen nach staatlicher Rettung werden laut, das geflügelte Wort „systemrelevant“ flattert durch den Raum.


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Viele Verlage haben Außenstände bei KNV, die durchaus existenzbedrohend sein können. Sie fühlen sich vom Monopol-Zwischenhändler gezielt getäuscht: KNV hat sich für Weihnachtsgeschäft 2018 noch beliefern lassen und danach Konkurs angemeldet, ohne die offenen Rechnungen zu begleichen. Aber nicht nur das stinkt zu Himmel, auch die Arbeitsbedingungen der rund 1.000 Beschäftigten im KNV-Zentrallager in Erfurt und die Arbeitsbezieungen dort sind erbärmlich; KNV Logistik darf nach Aussage von Beschäftigten und Gewerkschaftern ohne Übertreibung als Knochenmühle gelten. Es gibt keinen Tarifvertrag, keine Gewerkschaft und bislang keinen Betriebsrat. Ein solcher konstituiert sich derzeit auf Intitiative des Mangements (siehe unten).

KNV ist beim Kampf gegen Amazon kein Verbündeter

Dass die Arbeitsbedingungen bei KNV in Erfurt keinen Deut besser sind als in Amazon-Lagern birgt für den Buchhandel ein großes Image-Problem.

Gerade kleine Buchhandlungen, die sich als sympathische, lokale Alternative zu Jeff Bezos kaltherziger Profitmaschine präsentieren, sind zu einem hohen Prozentsatz vom Barsortiment der beiden deutschen Monopolisten KNV und Libri abhängig. Das Versprechen, jedes lieferbare Buch innerhalb eines Tages zu bekommen, stellt für manche Buchhändler bis zu 80% des Umsatzes dar.

Wenn sich nun herausstellt, dass sie hinter den Kulissen von der Ausbeutung ostdeutscher und osteuropäischer Arbeiter profitieren, wackelt das ideologische Fundament.

Von Bernd Schwabe in Hannover - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=21914237
Internationalismus Buchladen Hannover 2012. (Foto: Bernd Schwabe, CC BY-SA 3.0)

KNV wäre 2016 beinahe Ziel des Schwarzen #Freitag13 geworden

Die Arbeitsbedingungen bei KNV sind gut dokumentiert, weil das Erfurter KNV-Lager für den Aktionstag #Freitag13. Mai 2016 nominiert wurde – die Wahl viel dann mit Toys R Us auf einen weiteren Pleite-Kandidaten.1

Der Thüringer Verdi-Sekretär Ronny Streich kritisierte KNV damals „wegen unregulierter, willkürlich zu Lasten der Mitarbeiter ausgeübter Arbeitsbedingungen“, „betriebsöffentlicher Hetze gegen die Gewerkschaft“, „Lohndumping durch Flucht aus dem zutreffenden Tarifvertrag des Großhandels an den ehemaligen Standorten Stuttgart und Köln und unverbindlicher Orientierung am Tarifvertrag Logistik am Standort in Erfurt.“ (mehr dazu: Dossier KNV Logistik, Freitag13. Mai 2016)

Massenentlassung im Westen, um Arbeitsplätze im Osten zu schaffen

KNV hatte die Logistik-Standorte Köln und Stuttgart ab 2011 geschlossen – 900 Leute verloren ihre Jobs -, um in Erfurt – vermutlich mit massiven EU-Subventionen – neue Arbeitsplätze zu schaffen, an denen teils zwei Drittel weniger Lohn gezahlt wurde.

Das Erfurter KNV-Lager blieb seit seiner Eröffnung am 1. 10.2014 durch Union Busting (Was ist das?) frei von Betriebsräten und aktiven Gewerkschaftern. Mitglieder einer Verdi-Betriebsgruppe, die sich 2015 formiert hatte, feuerte das Management oder trieb sie zur Aufgabe.

KNV-Mitarbeiter des Erfurter Lagers berichteten von abenteuerlichen Zuständen:

„Schichtende ist, wenn der Vorgesetzte dies verkündet und nicht etwa, wenn die Arbeitszeit laut Arbeitsvertrag um ist.“

Wenn die Schicht abgepfiffen wird, seien die Mitarbeiter aufgefordert, fluchtartig den Arbeitsplatz zu verlassen, damit dem Unternehmen keine Zeit entstehe, die nicht ertragsbringend ist. Die Spanne der Arbeitszeit bewegte sich jeden Tag von 5 bis 10 Stunden, wobei die Arbeitszeit spontan festegelegt wurde.

„Der Mitarbeiter erfährt es erst, wenn es soweit ist, d. h. es sind keine Kräfteeinteilung oder Vorausplanungen für Arzttermine, Freizeitgestaltung etc. möglich.“

Beschäftigte systematisch verheizt

Die Arbeiter liefen sich in den Gängen buchstäblich die Hacken wund. Dementprechend groß waren Frustration, Krankenstand, Fluktuation.

2016 hatte KNV Probleme im Erfurter Raum überhaupt Nachschub zu bekommen. Der Radius, in dem angeworben wurde, erweiterte sich stetig und ging 2016 bereits bis nach Polen.

Das schlechte Image von KNV beim Buchhandel verwundert daher nicht. Der Bielefelder Buchhändler Hartwig Bögeholz (Jürmker Bücherstube) berichtet von Qualitätsmängeln:

„Es gab gerade bei KNV-Lieferungen immer wieder Probleme mit beschädigter, nicht verkaufsfähiger Ware durch falsches Packen. Jedes Buch, das wir zurück schicken müssen, kostet uns als Buchhandlung etwa einen Euro durch den Arbeitsaufwand und die Versandkosten.“

Gutes Geld oder schlechte Arbeit

Wer nach Gründen für die KNV-Pleite sucht, sollte hier anfangen: Das Verheizen von Mitarbeitern ist offensichtlich kein nachhaltiges Geschäftsmodell.

Es ist gut möglich, dass in Erfurt auch aktive Resistenz der Arbeiter – Sabotage, schlampige Arbeit – am Werk war – neben systematischer Überlastung. Das Erfurter Werk wurde von Porsche Consulting konzipiert, die auch das Leipziger BMW-Werk zu verantworten haben – einen Spitzenreiter bei der Nutzung von Leiharbeit und Werkverträgen.

Porsche Consulting arbeitet nach der japanischen Kaizen-Methode, die von den schwäbischen Autobauern nach Deutschland übertragen wurde – allerdings ohne die hohe Verantwortung japanischer Firmen für ihre Mitarbeiter zu übernehmen.

Geht es denn anders?

Laut Buchhändler Bögeholz gibt es auch andere Beispiele:

„Wir haben in der Region Ostwestfalen mit VVA, CVK und Runge drei Verlagsauslieferungen, die beweisen, dass auch große Logistik reibungslos funktionieren kann. Dass KNV in Erfurt das vergleichsweise schlecht hinbekommen hat, war durch eine Reihe von Fehlern verursacht.“

Dennoch ist sich die gesamte Buchbranche weitgehend im Klaren, dass das Geschäftsmodell Amazon für die Pleite mit verantwortlich ist. Hartwig Bögeholz gibt zu bedenken:

„Amazon ist sicherlich der globale Taktgeber, der die Bedingungen der gesamten Buchbranche bestimmt und Standards absenkt. Hier müssen mit gewerkschaftlichen Mitteln oder auch durch den Gesetzgeber faire Arbeitsbedingungen geschaffen werden – für Kommissionierer und insbesondere für Paketboten.

Die Auslieferungsfahrer von KNV wirkten noch recht stabil und halbwegs zufrieden.“

Staatliche Rettungsgelder für die „Bibliodiversität“?

Simone Barrientos, kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, forderte am 14. Februar 2014 von Staat und Industrie: „Es braucht eine konzertierte Aktion im Interesse der Vielfalt und der Freiheit des Wortes.“ Barrientos‘ Hauptargument für die KNV-Rettung klingt im Lichte oben aufgefüherter Erkenntnisse ziemlich hohl: Erhalt von 1.000 Arbeitsplätzen.2

In einem Gastkommentar der Taz forderte der Verleger Jörg Sundermeier (Verbrecher Verlag) unverholen die staatliche Rettung von KNV, um die „Bibliodiversität“ in Deutschland zu erhalten: „Die Regierung muss ja nicht immer nur die Deutsche Bank retten. Der Buchhandel sollte ihr auch am Herzen liegen.“3

Verdi-Sekretär Ronny Streich fordert dagegen als Bedingung für eventuelle Rettungsbemühungen, „dass die Beschäftigten mit Respekt und Wertschätzung behandelt werden. Dazu gehören vor allem sichere Arbeitsplätze mit tarifvertraglicher Absicherung, menschenwürdigen Arbeitsbedingungen, einer planbaren Perspektive und die Abkehr vom anhaltenden gewerkschafts- und mitbestimmungsfeindlichen Kurs der Geschäftsführung.“

Siehe da: Plötzlich gibt es einen Betriebsrat!

Eine plötzliche Umkehr der KNV-Arbeitsbeziehungen zum Besseren ist kaum zu erwarten. Ab dem 1. März 2019 ist bei KNV Logistik in Erfurt zwar die Gründung eines Betriebsrats (BR) eingeleitet worden, aber auch das ist bei näherer Betrachtung keine Wende zum Besseren. Die Kandidaten stehen dem Management nahe, manche bekleiden selbst Leitungsfunktionen; sie gaben auf der Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstands (Schritt 1 einer BR-Gründung) an, dass sie „die Gewerkschaft raushalten“ wollten.

Vermutlich geht es bei der überraschenden BR-Gründung um Folgendes: Ein gelber Betriebsrat soll als Sprech-Puppe des Managements Rettungsgelder für den „Erhalt von Arbeitsplätzen“ fordern und Lobbyismus für KNV betreiben.


In der Tageszeitung junge Welt vom 23.3.2019 erschien eine Kurz-Version des Beitrags


Fußnoten

1 Toys R Us ging 2017 in die Knie und wird Ende März 2019 in Smyths Toys umbennant.

2 Simone Barrientos: Insolvenz von KNV fordert auch politisches Handeln, Pressemitteilung Team Bundestagsbüro der Linksfraktion, 14.2.2019, https://simone-barrientos.de/2019/02/14/insolvenz-von-knv-fordert-auch-politisches-handeln/

3 Jörg Sundermeier: Die Bibliodiversität ist bedroht, Die Tageszeitung, 18.2.2019, https://www.taz.de/!5570871/ Sundermeiers Forderungen beinhalten in mehrfacher Hinsicht groben Unsinn:

  • Erstens sollte die Deutsche Bank keineswegs mit Steuergeldern gerettet oder mit der halbstaatlichen Commerzbank fusioniert, sondern in die geordnete Insolvenz überführt werden.
  • Zweitens müsste KNV so grundlegend zivilisiert werden, dass man den Laden vermutlich doch besser dicht macht. Das Unterfangen ist vergleichbar mit der Kernsanierung eines vermoderten Altbaus ohne Denkmalschutz.
  • Drittens geht es bei den Rufen nach staatlicher Rettung wohl hauptsächlich um die Außenstände des Verbrecher-Verlags und vieler anderer Verlage bei KNV-Erfurt. Soviel Ehrlichkeit sollte schon sein.
  • Viertens fordert er Rettungsgelder für ein Unternehmen, dass ihn selbst betrügt – durch das Weihnachtsgeschäft 2018 – Arbeiter*innen systematisch ausbeutet und vermutlich EU-Subventionen erschlichen hat, um Arbeitsplätze im Westen zu vernichten und Lohndumping im Osten zu betreiben.

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2 Kommentare

  1. Ddieser Artikel greift nun wirklich zu kurz: ja, es kann nicht angehen, dass Mitarbeitende schlecht behandelt werden, gar Arbeitsbedingungen ähnlich denen bei Amazon ertragen müssen.

    Die Schlussfolgerung aber, „dass der Laden vermutlich besser dicht gemacht wird“ ist ziemlich unüberlegt. Erstens verlieren dann die Leute ihre Arbeitsplätze und zweitens bedeutet das ziemlich sicher eine Erstarkung von Amazon, da die anderen Barsortimente den KV – Anteil an Barsortimentslieferungen nicht auffangen können.
    Das wiederum bedeutet, dass die Leistung, die der stationäre Buchhandel erbringt, einbricht und das spielt Amazon auch in zweiter Linie in die Hände.

    Bezos hat nichts anderes im Sinn, als alle Konkurrenten platt zu machen. Dadurch käme er einen großen Schritt weiter, kann das im Sinne des Verfassers sein?

    Ein bisschen sollte man über das Thema Arbeitsbedingungen hinaus denken – gute Arbeitsbedingungen nützen nämlich nichts, wenn es keine Arbeit mehr gibt.

    Es muss ein Konzept gefunden werden, das die Arbeitnehmer*innen-Recht stärkt und gleichzeitig die Bibliodiversität erhält. Die auf Vermutungen basierende Schelte an die Adresse Jörg Sundermeier ist im Übrigen unsachlich und diffamierend.

    • Sehr geehrte Frau Bietz,

      Die Devise „Hauptsache Arbeit“ ist in manchen Situationen eben nicht zielführend. Nämlich dann, wenn es sich um Arbeit handelt, die krank macht, die demokratische Minteststandards unterläuft oder in Richtung Lohnsklaverei geht.

      Wie es bei KNV zugeht, habe ich ja oben geschildert.

      Vermutlich sind wir uns im Groben einig, doch geht unsere Einschätzung an einer Frage auseinander: Ist dieser Laden reformierbar?

      KNV ist m.E. sogar ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Es wäre zu prüfen, ob nicht Insolvenz-Verschleppung vorliegt, da die wirtschaftliche Schieflage bereits vor dem Weihnachtsgeschäft bekannt gewesen sein dürfte, zum Weihnachtsgeschäft aber noch die Lieferungen der Verlage entgegen genommen wurden. Zahlungsziel: 90 Tage. Just als diese Zahlungen fällig wurden reichte das Management die Insolvenz ein.

      Wir sind uns einig: Amazon lacht sich ins Fäustchen. Wir boykottieren Amazon im Übrigen. Aber das ändert nichts an den unschönen Tatsachen. Denn mit einem Konstrukt wie KNV im Rücken kann der Buchhandel den Kampf nicht gewinnen.

      Bei KNV handelt es sich a) um eine Knochenmühle b) um Arbeitsplatzvernichter (in Stuttgart + Köln) c) um Lohndrücker d) wahrscheinlich um EU-Subventions-Abgreifer e) möglicherweise um Betrüger (Insolvenz-Verschleppung).

      Elmar Wigand

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