Arbeitsunrecht bei H&M. Rede zum #Freitag13. Oktober 2017
Werner Rügemer ist Vorstandsmitglied der aktion./.arbeitsunrecht. Er hielt die folgende Rede am Schwarzen Freitag um 15:00 Uhr vor der H&M-Filiale in der Schildergasse 24 in Köln – anlässlich eines bundesweiten Aktionstags gegen H&M. Sie wurde (in Auszügen) auch in anderen Städten wie Aschaffenburg, Hamburg und Magdeburg verlesen.
Liebe Bürgerinnen und Bürger,
Liebe Beschäftigte von H&M,
wir demonstrieren hier vor der Filiale von H&M für die Menschen- und Arbeitsrechte der Beschäftigten in allen Filialen dieser Stadt und in den 440 H&M-Filialen in ganz Deutschland.
Wir, das ist die Aktion gegen ArbeitsUnrecht, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, Beschäftigte und Angehörige von Beschäftigten, engagierte Bürgerinnen und Bürger.
Die Aktion gegen ArbeitsUnrecht hat eine öffentliche Abstimmung organisiert: Wer ist der schlimmste Arbeitgeber in Deutschland?
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Wer behindert die Betriebsräte am meisten? Welcher Arbeitgeber verletzt die Menschen- und Arbeitsrechte der eigenen Beschäftigten am schlimmsten? Die Abstimmung hat ergeben: Im Herbst 2017 ist es der schwedische Mode-Konzern H&M!
H&M kommt so modern und locker daher.
Man verspricht schöne Mode und fröhliches Leben für alle! Aber was macht der Konzern mit seinen Verkäuferinnen und Verkäufern? Da ist der Konzern keineswegs modern und fröhlich und locker. Er beutet seine Angestellten aus: hässlich, brutal, mittelalterlich. Er macht ihnen das Arbeiten und Leben zur Hölle.
Immer mehr Beschäftigte bekommen zwangsweise einen sogenannten Flex-Vertrag. Der sieht eine Mindestarbeitszeit von 10 Stunden pro Woche vor. Damit verletzt H&M den geltenden Tarifvertrag zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen: der sieht mindestens 18 Stunden vor.
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Damit kann sich die wöchentliche und monatliche Arbeitszeit ständig ändern. Mal sind es 10 Stunden pro Woche, mal sind es aber auch 40 Stunden und in der nächsten Woche die Hälfte. Ständig ändert sich das Einkommen, mal reicht es gerade zum Leben, manchmal eben nicht.
Nur die Chefs bekommen Vollzeit
Die Filialleiter, die store manager und andere Führungskräfte sind die einzigen, die noch Vollzeit-Arbeitsverträge bekommen. Aber die Flexi-Mitarbeiter sitzen zuhause – auf Abruf. In jeder Woche kann sich die Zahl der Arbeitsstunden ändern. Und genauso können sich die Arbeitszeiten ändern.
Kurzfristige Änderungen werden telefonisch durchgegeben. Jeder Mitarbeiter muss jeden Tag auf dem Dienstplan nachgucken: Hat sich was geändert? Muss ich schon morgen kommen statt übermorgen? Um 18 Uhr statt um 16 Uhr? Diese Woche auch am Samstag? Oder am Sonntag?
Die store manager haben auch das Recht, die Mitarbeiter im Urlaub anzurufen und Änderungen der Arbeitszeiten anzuordnen.
Belohnen und Strafen
Wer nicht gleich superflexibel jeder Änderung zustimmt, kann bestraft werden. Dann wird man oft kurzfristig zum Einspringen verdonnert, wenn Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel krank werden. Oder man bekommt zur Strafe gar keine zusätzlichen Stunden und man bleibt auf den 10 Wochenstunden sitzen.
Außerdem sind die Arbeitsverträge immer häufiger befristet. Befristete Verträge werden hintereinander geschaltet: Kettenbefristung. Die Mitarbeiter müssen jedes Jahr bibbern, ob sie im nächsten Jahr wieder einen Arbeitsvertrag bekommen, wieder einen befristeten.
Diese Flexi-Arbeit macht das Leben schwer. Das Einkommen ist unsicher. Besonders Mütter mit Kindern müssen ständig umorganisieren und bringen das Leben ihrer Kinder und ihrer Ehe- und Lebenspartner und Freunde und Bekannten durcheinander.
Arbeitnehmerfreundlichkeit ist nur Fassade
H&M verkündet öffentlich, dass man gern mit Betriebsräten zusammenarbeitet. Aber viele Beschäftigte trauen sich nicht. Wer sich zur Wahl stellt, dem wird dann schon mal der befristete Arbeitsvertrag nicht verlängert. In der H&M-Filiale in der Kölner Schildergasse bespielsweise gibt es bis heute keinen Betriebsrat.
H&M hat jetzt drei Betriebsratsmitgliedern in Bonn, Leverkusen und Tübingen gekündigt. Wenn das Arbeitsgericht die Kündigung abweist – H&M geht in die nächste Instanz.
Die ideale H&M-Verkäuferin sieht so aus:
- Sie ist jederzeit verwendbar,
- hat keine Kinder,
- hat keine festen Beziehungen,
- ist immer superfreundlich zu den Kunden,
- gehorcht sofort und dankbar und mit strahlendem Gesicht allen Anordnungen des Store Managers,
- braucht keine der vorgeschriebenen Ruhepausen,
- arbeitet besonders gern am Samstag und Sonntag,
- ist aus geheimnisvollen Gründen nicht auf das wechselnde H&M-Gehalt angewiesen,
- duldet jede Rechtsverletzung des Arbeitgebers,
- ist kein Gewerkschaftsmitglied,
- wählt keinen Betriebsrat.
Kurz: Sie verzichtet auf alle Menschen- und Arbeitsrechte, auf einen sicheren Arbeitsplatz, auf ein ausreichendes Einkommen, auf eine sichere Wohnung, auf eine ausreichende Rente.
Ich lese Ihnen mal ein paar Passagen aus dem typischen H&M-Arbeitsvertrag in Deutschland vor:
Zunächst einmal enthält er die Standard-Festlegung auf 10 Mindeststunden pro Woche.
Weiter:
- H&M behält sich vor, den Mitarbeiter an einen anderen Arbeitsort zuzuweisen.
- Der Mitarbeiter hat keinen Anspruch auf Anwendung künftiger Tarifänderungen.
- Der Mitarbeiter erklärt sich bereit, Mehr-, Nacht-, Schicht-, Samstags- sowie Sonn- und Feiertagsarbeit zu leisten.
- Das Recht zur fristlosen Kündigung bleibt unberührt.
Und weiter aus dem Standard-Arbeitsvertrag von H&M:
Der Mitarbeiter ist damit einverstanden, dass H&M personenbezogene Daten über den Mitarbeiter erhebt und verwendet, soweit es zur Wahrnehmung berechtigter Interessen von H&M dient und die schutzwürdigen Interessen von H&M die schutzwürdigen Interessen des Mitarbeiters überwiegen.
Weiter aus dem Standardvertrag:
Während der Dauer des Anstellungsverhältnisses wie auch nach dessen Beendigung ist der Mitarbeiter verpflichtet, über Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse von H&M stillzuschweigen.
Weiter aus dem Standard-Vertrag:
Alle vom Mitarbeiter beabsichtigten Veröffentlichungen, die die Belange von H&M berühren, bedürfen der schriftlichen Zustimmung von H&M.
Da herrscht also Zensur: Über die Arbeitsbedingungen bei H&M müssen die Mitarbeiter in der Öffentlichkeit schweigen. Der Konzern weiß also selbst, dass er Unrecht tut.
ILO-Kernnormen als Lippenbekenntnis
H&M setzt viele Versprechen über Transparenz und Ethik und Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit und Menschenrechte in die Welt. Aber H&M profitiert von menschenrechtswidrigen Arbeitsverhältnissen – in Deutschland und in vielen anderen Staaten.
H&M produziert die Kleider, Schuhe, Bettwäsche, Duftkerzen und Handtaschen undsoweiter nicht selbst, sondern lässt sie produzieren, natürlich möglichst billig, vor allem in armen Staaten mit Niedrigstlöhnen und niedrigsten Arbeitsstandards, in Indien und Bangladesh zum Beispiel. In 1.900 Fabriken weltweit wird für H&M geschuftet.
Mehr, mehr, mehr! Immer weiter wachsen
So fährt der H&M-Konzern einen rabiaten weltweiten Expansionskurs. Im Jahr 2016 hat H&M 427 neue Geschäfte eröffnet. 2016 war der Umsatz in den 4.300 Filialen in 64 Ländern mit 160.000 Mitarbeitern wieder höher als im Jahr zuvor.
In Deutschland hat der schwedische Konzern 440 Geschäfte und 20.000 Mitarbeiter. Das sind mehr als in jedem anderen Staat. Weil Schröder- und Merkel-Deutschland der größte Niedriglohnsektor in Europa ist.
Die weltweite Ausbeutung der Beschäftigten lohnt sich, jedenfalls für die Eigentümer von H&M. Der Gewinn für die Eigentümer im Jahr 2016 betrug 1,8 Milliarden Euro. Die Gewinnrate betrug damit sagenhafte 12 Prozent.1
Vater Stefan Persson ist der Haupteigentümer von H&M. Er steht mit 20 Milliarden an Privateigentum auf Platz 50 der reichsten Unternehmer der Welt. Seine drei Kinder sind ebenfalls schon Multimilliardäre.
H&M nutzt in Schröder- und Merkel-Deutschland auch die Möglichkeiten der Steuerflucht, pardon: der Steuergestaltung. H&M Deutschland hat seinen rechtlichen und Steuersitz nämlich gar nicht in Deutschland, sondern in den Niederlanden. Jeder deutsche Mitarbeiter von H&M unterschreibt seinen Arbeitsvertrag mit Hennes & Mauritz B.V. & Co. KG in der Kalverstraat 112, Amsterdam. Dort müssen Holdings ausländischer Unternehmen fast keine Steuern zahlen. Die deutschen Mitarbeiter aber müssen natürlich ihre Steuern in Deutschland zahlen.
Professionelle Steuerflucht für 10 Millionen im Jahr
Damit die lukrative Steuerflucht gut klappt, bezahlt der Persson-Clan einen Steuerfluchthelfer. Er heißt Ernst & Young und ist einer der vier großen sogenannten Wirtschafts“prüfer“. Der Prüfer prüft auch, wie die internationale Steuerflucht am besten funktioniert und wie zum Beispiel der deutsche Staat am besten beschissen werden kann. Die Perssons zahlten an Ernst & Young im letzten Jahr 10,7 Millionen Euro für Steuerberatung. (2)
Für die leitenden Angestellten sorgt Persson auch gut. Für sie hat er einen eigenen Pensionsfonds eingerichtet, Alecta. Der ist auch Aktionär von H&M und profitiert von der Ausbeutung und den Steuerfluchten.
Dann profitieren auch weitere H&M-Aktionäre von der Ausbeutung der einfachen Beschäftigten in Deutschland, den USA, Frankreich, Bangladesh, Indien und soweiter und von der Steuerflucht in der Europäischen Union.
Da profitieren Investmentfonds der schwedischen Banken Swedbank und SEB und Clearstream Banking aus Luxemburg und State Street Bank und JPMorgan Chase aus den USA. (3)
Liebe Bürgerinnen und Bürger, liebe Käuferinnen und Käufer!
-
- Protestieren Sie gegen das Arbeits-Unrecht bei H&M!
- Unterstützen Sie die Wahl von Betriebsräten in allen Filialen von H&M!
- Gehen Sie in die H&M-Geschäfte und fragen Sie die Beschäftigten nach ihren Arbeitsbedingungen!
- Gehen Sie in den H&M-Geschäften zu den Filialleitern, pardon store managern, und fragen Sie sie nach den Flexi-Arbeitsverträgen der Mitarbeiter!
- Fragen Sie nach der Herkunft der Produkte!
- Fragen Sie nach der Steuerflucht!
Mehr Informationen:
>> Zu den Hintergründen | Material: Flugblatt, Plakat + Online-Banner
Falls Sie sich an kommenden Aktionen beteiligen wollen: Tragen Sie sich mit Ihrer PLZ in den Aktionsnewsletter ein!
Quellen + Fußnoten
(1) H&M Annual Report 2016, S. 54
(2) H&M Annual Report 2016, S. 93
(3) Annual Report S. 55
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Die Reaktionen auf Ihre Aktion H&M laufen leider sehr verhalten hier auf.
Medien berichten zwar, allerdings wohl vorwiegend im Internet.
Um eine breiteres Interesse an weiteren geplanten Aktionen den Einzelhandel
betreffend, zu generieren, schlage ich vor Anreize zu schaffen.
Reizen Sie den Gierreflex der Konsumentenschaft:
Kündigen Sie Ihre Aktionen mit dem Hinweis an, dass mit der Teilnahme an der
jeweiligen Aktion ein nie dagewesenes Einkaufserlebnis im Nachgang verbunden
sein wird. Das klappt. Und Sie werden keinen Ärger mit den Unternehmen
bekommen. 😉
Eine Zusammenfassung der Aktionen ist in Arbeit. Aber Natürlich könnten Leser*innen auch Links zu Presseberichten in die Kommentare setzen.
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